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März 2006 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
Das Leben der AnderenAuch wenn der deutsche Film beim diesjährigen Berlinale-Wettbewerb nicht gerade unterrepräsentiert war, gab es zumindest einen deutschen Vertreter, der dort leidlich vermisst wurde. Wahrscheinlich lag es wieder an irgendwelchen Exklusivität und Welt-Premieren versichernden Statuten, daß Das Leben der Anderen, ein Debütfilm, der gerade mit mehreren Bayrischen Filmpreisen ausgezeichnet worden war (darunter bestes Buch, beste Nachwuchsregie und Ulrich Mühe als bester Darsteller), das Niveau der deutschen Wettbewerbsbeiträge nicht noch weiter erhöhen konnte (auf die Elementarteilchen hätte man beispielsweise gut verzichten können). Statt Romeo und Julia auf dem Dorfe, einer Exorzismusgeschichte, die sogar schon in Hollywood verfilmt wurde oder einer selbstverliebten Verfilmung eines französischen Skandalromans bietet Das Leben der Anderen immerhin die erste authentisch wirkende und nicht als (n)ostalgische Komödie verbratene Schilderung eines der (aus rückwirkender Sicht) interessantesten Aspekte des DDR-Alltags: Die Überwachung der Bürger durch den gutfunktionierenden „Staatssicherheits“-Apparat. Der von Ulrich Mühe gespielte Stasi-Experte und - Ausbilder Hauptmann Gerd Wiesler wird in den Akten als HGW XX/7 abgekürzt, doch weitaus stärker als die Anonymität eines solchen Kürzels (THX 1138) oder die orwellsche Übermacht des Staates über dem Individuum ist es die emotionslose Roboterhaftigkeit Wieslers, die einen im Film an dystopische Science-Fiction-Szenarien erinnert. Mit seinem fast kahlen Schädel und der grau-grauen Dienstkleidung mit kantigen Ornamenten erinnert er ein wenig an den Androiden Data (oder eher dessen bösen Zwilling Lore), der mit einer erschreckenden Teilnahmelosigkeit jedes minutiöse Detail des jeweiligen Überwachungs-Objekts aufnimmt, katalogisiert und fast immer in dubio contra reo interpretiert. Der nächsten Stasi-Generation bringt er bei, wie man Schuldige im Dauerverhör bricht, selbst die linientreusten Dichter wie Georg Dreyman (Sebastian Koch, bekannt aus Gloomy Sunday und diversen TV-Produktionen), einem persönlichen Protegé von Margot Honecker, unterstellt er sogleich umtriebige Absichten und macht dessen Überwachung zu seinem persönlichen Steckenpferd, wobei gerade die fehlende Emotionslosigkeit und Objektivität seiner Vorgesetzten in ihm die ersten Zweifel an der Richtigkeit seiner Tätigkeit erregen. Seinem Oberstleutnant Grubitz (Ulrich Tukor) sind Karrierepläne allemal wichtiger als das Wohl des Staates oder des Individuums, und der Minister Hempf missbraucht seine Machtposition, um die ihn als abstoßend empfindende Schauspielerin Christa-Maria Sieland (Martina Gedeck) sexuell gefügig zu machen oder ihren Freund, den allzu braven Stückeschreiber Dreyman, auf „legalem“ Wege auszuschalten. Ein „Berufsverbot“ existiert in diesem Staat nicht, aber wer nicht nach den ungeschriebenen Regeln agiert, wird schon mal von den Rädern der Staatsmaschinerie zermahlen. Ohne die Geschichte im Detail vorwegnehmen zu wollen, gibt es irgendwann mal einen Moment, an dem der Stasi-Roboter HGW eine einzelne Träne verliert. Sogar von Data weiß man, daß er gelbe Tränen weint, und bei einer musikalischen Darbietung des Androiden bricht sogar der reinrassige Vulkanier Sarek (der Vater von Spock) in Tränen aus, Emotionen sind in einem Überwachungsstaat immer gefährlich, und wenn HGW im Fahrstuhl seines Plattenbaus von einem kleinen ballspielenden Jungen auf seine Stasi-Tätigkeit angesprochen wird, scheint er erstmals ethische Grundregeln zu realisieren, die ihn schon bald zu einer Gefahr für die Maschinerie, sich selbst, aber auch für die von ihm überwachten Personen werden lässt. Das vom Regiedebütant Florian Henckel von Donnersmarck (ein schwieriger Name, den man sich dennoch merken sollte) erstellte Drehbuch besticht durch seine Subtilität und Ambiguität gerade der stärksten Momente. Wenn HGW im Verlauf des Films dreimal auf CMS (Gedeck) trifft, so kommunizieren die beiden fast immer über mehrere Masken miteinander, für den Zuschauer ist dies ähnlich spannend anzuschauen wie Datas Kommunikation mit Tasha Yar oder deren verräterischer Schwester Ishara. Solche Momente entdeckt man im besten Fall mal in Werken erfahrener Autoren, daß Florian Henckel von Donnersmarck (FHD) bereits in seinem Debüt solch ein Gespür für menschliche Nuancen zeigt, lässt einen hoffen. Die Hoffnung (auch für den deutschen Film) stirbt bekanntlich nie, doch ein Film wie Das Leben der Anderen wirkt wie eine Blume, die sich durch den grauen Asphalt gekämpft hat und nun hoffentlich von möglichst vielen Menschen wahrgenommen wird, insbesondere solchen, die sich einbilden, der deutsche Film sei so tot wie die DDR. |
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