Für einen Hollywood-Film beginnt Inside Man, Spike Lees persönliche Version eines spannenden, temporeichen Bankraub-Thrillers, bereits vor dem Vorspann ungewöhnlich: mit Bollywood-Musik. Dann erscheint Clive Owen, der leider fast den gesamten Film unter einer weißen Maske und einer Sonnenbrille verschwindet; er gibt Dalton Russell, den genialen Verbrecher, der den Zuschauer in das Was (der perfekte Bankraub), Wo (eine alteingesessene New Yorker Filiale der Manhattan Trust Bank), Warum („Because I can.“) und vor allem das Wie des Films einführt und den Film auch weiterhin mit seinem Voice-over begleitet.
Fotos © 2006 Universal Studios
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Nach den ersten Minuten des straff durchorganisierten Bankraubs kommt dann auch Russells Gegenspieler ins Bild, Detective Frazier (Denzel Washington), der seine (zweite) Chance als Leiter des Geisel-Verhandlungsteams nicht vermasseln darf. Später gesellt sich noch die im Hintergrund agierende, aber unglaublich mächtige 'Vermittlerin' Madeline White (Jodie Foster) dazu, deren Auftraggeber der Gründer und Vorstandsvorsitzende der Bank (Christopher Plummer) selbst ist. Dieser bemüht sich, ein lange Zeit gut gehütetes Geheimnis, das in einem Safe der Bank lauert, auch weiterhin zu schützen – ein Geheimnis, das ihm mehr bedeutet als alles Geld der Welt. Zwischen diesen Figuren entspinnt sich ein komplexes Katz-und-Maus-Spiel, das immer wieder ungewöhnliche Wege einschlägt, die auf all dem aufbauen, was man aus Bankraub- und Geisel-Dramen der letzten Zeit so kennt. Lee und seinem wunderbaren Darstellerensemble (vor allem Jodie Foster zeigt endlich wieder einmal, was sie kann) dabei zuzusehen, wie sie mit typischen Hollywood-Konventionen spielen, ohne dabei an Spannung einzubüßen, macht von Minute zu Minute mehr Spaß.
Zu Spannung und Unvorhersehbarkeit gesellt sich ein ausgefeilter visueller Plan des Kameramanns Matthew Libatique, den man bisher vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Darren Aronofsky (in Pi und Requiem for a Dream) kennt. Hier wählt er eine, bzw. zwei Handkameras, ungewöhnliche Winkel und viele Nahaufnahmen, das ganze wird unterstützt von einem rasanten Schnitttempo, so dass dem Zuschauer kaum Zeit bleibt, Luft zu holen. Dennoch sind die Bilder weit davon entfernt, einzig als flotte Untermalung der Handlung zu dienen; sie entwickeln ein Eigenleben, das den Rhythmus des Films ebenso wie unsere Wahrnehmung der Orte und Figuren bestimmt. Gleich während des Vorspanns sieht man New York einmal so ganz anders: alte Fassaden, geschmückt mit Skulpturen und Ornamenten in Großaufnahmen zeigen eine Seite der Stadt, die wir so bisher nicht einmal aus Woody Allen-Filmen kannten, und die uns zurückführt in eine längst vergessene und dennoch stets präsente Vergangenheit – ein wiederkehrendes Thema des Films.
Eine weitere Stärke des Films ist die für Lee typische Auseinandersetzung mit ethnischen (religiösen, Geschlechter- …) Konflikten, die hier ganz beiläufig – wie das in New York eben der Fall ist – immer wieder auftauchen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Wenn sich etwa ein Sikh, der in der Bank arbeitet, bei den Polizisten darüber beschwert, dass er aufgrund seines Turbans immer sofort als Verdächtiger gelte, oder wenn Frazier in Bezug auf Albanien und Armenien fragt, was denn der Unterschied zwischen den beiden sei, so wird die Rassenproblematik von allen Seiten beleuchtet, ohne dabei von der Thriller-Handlung abzulenken. Nicht zuletzt sorgen diese Momente auch häufig für Humor: eine der weiblichen Geiseln, die aufgrund ihrer Oberweite verdächtigt wird, in Wirklichkeit die (so beschriebene) Täterin zu sein, entgegnet: „So what are you telling me? That I violated section 34, double D, is that it?“ Lees und Drehbuch-Neuling Russell Gewirtzs Herangehensweise ist es, den vielen unterschiedlichen Einflüssen, die ihre Heimatstadt ausmachen, einen filmischen Raum zu eröffnen. Das spiegelt sich auch in der Musik, nicht nur in der Bollywood-Musik vom Anfang, sondern auch wenn diese später wieder aufgegriffen wird – diesmal mit Hip Hop-Klängen angereichert.
Wie das schwul-lesbische Kino der diesjährigen Berlinale ist auch Lees 'schwarzes Kino' im Moment offensichtlich an einem Punkt, an dem nicht mehr der Kampf für Gleichberechtigung im Mittelpunkt steht, sondern an dem die Problematik eine gewisse Selbstverständlichkeit erlangt hat und nicht mehr explizit thematisiert werden muss. Lee wendet sich daher dem klassischen Genre-Kino zu, ohne jedoch seine eigene Handschrift aufzugeben, und verbindet beides zu einem intelligenten, unterhaltsamen, neuartigen Kinoerlebnis – und das alles ohne body count.