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März 2006 | Thomas Vorwerk, Gangolf Seitz und Kathi Hetzinger für satt.org | |||
Brokeback MountainIm Land der begrenzten Möglichkeiten Brokeback Mountain ist kein „schwuler Western“, wie es unter anderem mal im Spiegel stand. Nicht jeder Film, in dem Cowboys (in diesem Fall eigentlich Schaf- und keine Rinderhirten) die Hauptrolle spielen, ist ein Western, die Genregrenzen sind da schon klar umrissen, und in Brokeback Mountain gibt es keinen Sheriff, keine Indianer, keine Outlaws und keine Schießereien auf der mittäglichen Hauptstraße. Brokeback Mountain ist ein zu Herzen gehender Liebesfilm (manch einer würde auch von einem Melodram sprechen), der in den 1960ern spielt. Der Rodeoreiter Jack (Jake Gyllenhaal) und der Farmarbeiter Ennis (Heath Ledger) hüten auf dem Brokeback Mountain eine Saison lang eine Herde Schafe. Ihr Chef gibt ihnen die Arbeitsanweisung, daß Ennis das Lager führen soll, Jack hingegen sich des nachts in einem eigentlich für die Hunde gedachten Zelt in der Nähe der Herde positionieren soll. Entgegen den Vorschriften der Forstverwaltung sollen so weniger Schafe an Raubtiere verloren werden. Nach einigen Missgeschicken kümmern die beiden sich nicht mehr ganz so genau um die Vorschriften ihres Chefs, tauschen etwa die Plätze und bei einer gemeinsam im Zelt verbrachten Nacht wird aus der weitergegebenen menschlichen Wärme (oberhalb der Baumgrenze merkt man vom Sommer nur wenig) etwas mehr, was insbesondere in den Sechzigern und unter Cowboys auch dann ein Problem darstellen könnte, wenn Ennis nicht schon verlobt wäre und auch nach dem gemeinsamen Sommer heiratet. So wie Jack und insbesondere Ennis nach der ersten gemeinsamen Nacht vergeblich versuchen, totzuschweigen, was sich zwischen ihnen entwickelt hat (“I ain’t queer.“ - „Me neither.“), handelt auch der Rest des Films davon, wie beide versuchen, heterosexuelle Ehen zu führen, jedes Wiedersehen (erstmals nach vier Jahren) aber sofort zu einer Leidenschaft führt, von der ihre Frauen nur träumen können. Wirklich träumen tut davon aber nur eine Frau, Ennis' Gattin Alma (Michelle Williams), die wohl auch die einzige Person des Films ist, die unter der Männerliebe leidet. Jack und Ennis leiden nur darunter, daß sie ihre Liebe nicht ausleben, sondern jeweils ein Leben führen, das ohne des anderen immer wie eine Lüge wirkt. “We could have had a good life - all we have is Brokeback Mountain.“ Diese Dialogzeile erinnert mich immens an das „We’ll always have Paris“ aus Casablanca, und als unglücklich endende Liebesgeschichte könnte Brokeback Mountain ein ähnlicher Klassiker werden, nur mit dem Unterschied, daß der Film nicht mit der Männerfreundschaft zwischen Rick und Renault endet, sondern hier gezeigt wird, wie die getrennten Liebenden in den Folgejahren unter der Trennung leiden. Die eine Ehe ist eine Farce, die andere wird immerhin ein gutes Jahrzehnt später geschieden, und sowohl Jacks Ausflug zum mexikanischen Straßenstrich als auch sein etwas mysteriöser Tod fügen sich in ein Amerika-Bild der ausgehenden Sechzigern, wie man es schon in Filmen wie Born on the Fourth of July oder Easy Rider sah. Was man im angeblichen „Land der Freiheit“ nicht versteht, wird totgeschwiegen oder sogar totgeschlagen. Wie aktuell der Film ist, lässt sich auch daran erkennen, daß der amtierende Präsident der USA meinte, er wolle sich Brokeback Mountain „lieber nicht“ anschauen. Von ihren Gefühlen überrumpelt Der Film kritisiert in betörenden Bildern, die im Kontrast zu der tragischen Story stehen, die verklemmte Moral der konservativen amerikanischen Gesellschaft. Schon als neunjähriges Kind wird Ennis Del Mar (Heath Ledger) von seinem Vater zur Leiche eines ortsbekannten Homosexuellen geführt, der von „rechtschaffenen“ Männern (dem Vater selbst?) in freier Landschaft erschlagen worden war. Zehn Jahre später verdingt sich Ennis, der mittlerweile beide Eltern verloren hat und sich nur mühsam durchs Leben schlägt, bei einem unsympathischen Schafzüchter in Wyoming, für den er während der Sommersaison auf dem felsigen Brokeback Mountain die Schafe hüten soll. Zusammen mit dem gleichaltrigen Rodeoreiter Jack Twist (Jake Gyllenhaal) verbringt er den kurzem Sommer in den Bergen. Die Nächte sind in dieser Gegend bitterkalt, und so rückt man im Zelt zusammen und kommt einander näher, als es die Konvention gestattet. Eine tiefe Liebe entsteht, die auszuleben den beiden aber nicht möglich ist. Nachdem die Schafe im Herbst wieder von den Bergweiden heruntergetrieben sind, trennen sich die Wege der beiden Cowboys. Der Traum einer gemeinsam bewirtschafteten Farm ist utopisch, das ist beiden klar. Beide heiraten: Jack ein wohlhabendes all-American girl in Texas, Ennis ein einfaches Mädchen in Wyoming. Beide bekommen Kinder. Nach vier Jahren treffen sie sich eher zufällig wieder, ziehen gemeinsam in die Wildnis und verbringen eine kurze glückliche Zeit miteinander. Die Treffen wiederholen sich. Ennis’ Frau Alma (Michelle Williams) ahnt die wirklichen Hintergründe und lässt sich scheiden. Ennis’ ärmliche Verhältnisse erlauben ihm nicht so viel Freizeit wie dem wohlhabenden Jack, die Treffen werden seltener. Jack versucht daheim in Texas ein Verhältnis mit einem anderen Mann. Offenbar wird das ruchbar, jedenfalls wird Jack eines Tages mit zerschmettertem Gesicht tot im Straßengraben gefunden, angeblich zerfetzt von einem geplatzten Autoreifen, vermutlich aber der Lynchjustiz „rechtschaffener“ Männer zum Opfer gefallen. Ergreifend an diesem Film sind zunächst die Bilder, die der tragischen Liebesgeschichte der zwei Cowboys in eine eindrucksvolle Umgebung stellen. Die ruhige Kamera zeigt die Schönheiten der felsigen Rocky Mountains und der endlosen amerikanischen Ebenen in Bildern wie aus einem Fotoband. Der ruhige Duktus des Films mag ein Symbol für das Naturell der zwei Helden sein, die ohne große Schulbildung und ohne die Möglichkeit tieferer Selbstreflexion von ihren Gefühlen überrumpelt werden. Hilflos wirken sie in ihrer Liebe, und völlig von der Welt abgeschnitten, denn da ist niemand, dem sie sich offenbaren können. Nun ist Wyoming ohnehin keine Gegend, in der man auf Schritt und Tritt einem Menschen begegnet. In dieser Weltverlassenheit auch noch eine zusätzliche Isolierung erfahren zu müssen, macht die Tragik der Helden aus. Dazu kommt die ständige Gefahr entdeckt zu werden. Ennis weiß aus seiner Jugend, dass seine Liebe zu Jack ein Spiel mit dem Tod ist, und Jack muss es am eigenen Leibe erfahren. Mit seinen poetischen Bildern formuliert der Film eine bittere Anklage gegenüber einer intoleranten konservativen Gesellschaft, die keine Abweichungen gelten lässt. Nicht überraschend entsteht ein solcher Film in der Bush-Zeit und will die Amerikaner darauf hinweisen, dass sich nicht nur in der vom Film beschriebenen Phase zwischen den sechziger und den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts nichts geändert hat, sondern dass sich die Intoleranz bis in die heutige Zeit gehalten hat und im Gegenteil von oben her geradezu gefordert und gefördert wird. Ein immens politischer Film, dem seine Gegner aber wegen seiner großen Kunst die Anerkennung nicht werden versagen können. Passend zur beeindruckenden Bildregie die diskrete Musik von Gustavo Santaolalla, nie aufdringlich, aber angemessen das Geschehen kommentierend. Und die Schauspieler: die beiden Helden überzeugen sowohl als milchbärtige Neunzehnjährige wie auch als gereifte Familienväter. Michelle Williams Darstellung der einfachen Supermarkthilfe, die von ihrem Mann mit einem anderen Mann betrogen wird, ist absolut authentisch. Bedrückend die kurze Szene von Ennis’ Besuch bei den Eltern seines verstorbenen Freundes, die verarmt, griesgrämig, aber rechtschaffen das Klischee der American Gothic ausfüllen. Warum leben in einem so weiten, leeren wunderschönen Land Leute, deren Gemüter so verklemmt und eng sind, die sich selbst durch rigide Regeln der Freiheit berauben, denen die Großzügigkeit der Natur sich nicht mitgeteilt hat? Ang Lee kann die Frage nicht beantworten, aber sein Plädoyer für eine menschlichere, offenere, tolerantere Welt ist ergreifend. Ein Film und seine Vorführung: Bei Brokeback Mountain handelt es sich wohl um den am sehnsüchtigsten erwarteten Film der jüngeren Filmgeschichte. Bereits vor seinem Kinostart in Deutschland kann man zu Recht von einem Mythos oder Kult sprechen, ausgelöst durch die allgemeine Kenntnis des provokanten Inhalts des Films, durch Berichte über Reaktionen auf den Film in den USA, seine bereits beachtliche Anhäufung von Preisen, sowie durch die größtenteils enthusiastischen Besprechungen. Die erste offizielle öffentliche Vorführung in Deutschland fand nun endlich am 27. Februar um 22:00 Uhr im Kino International in Berlin statt – im Rahmen der vom Stadtmagazin Siegessäule und dem Filmpreis Teddy veranstalteten schwul-lesbischen Filmreihe Mongay – und war erwartungsgemäß komplett ausverkauft. Bereits eine halbe Stunde vor Filmbeginn hatten sich riesige Trauben vor den Eingängen zum Kinosaal gebildet; das zu ca. 90% männliche Publikum hatte es eilig, sich einen guten Platz zu sichern. Es wurde viel spekuliert über die nötige Anzahl von Taschentüchern oder die (äußerst geringen) Chancen der Anwesenheit von Heath Ledger, der immerhin zwei Wochen vorher in der Stadt gewesen war, um den australischen Film Candy auf der Berlinale vorzustellen. Nach der durch den Andrang hervorgerufenen leichten Verzögerung wurde eine kurze Einführung vor dem Film durch vorzeitiges Klatschen des Publikums abgebrochen, das es nun wirklich nicht mehr erwarten konnte. Noch schnell zwei Trailer (zielgruppenspezifisch zu Transamerica und The Producers) – und los ging’s. Dass die jeweils spezifischen Umstände der Rezeption zur Wahrnehmung eines Films beitragen, ist einerseits selbstverständlich, andererseits wird dieser Punkt von der Kritik meist ignoriert. Zu diesen Umständen gehören das Publikum (kichernde Teenie-Girls können genauso nerven wie Tratschtanten oder Chipsfresser), die Projektion (ob z.B. die falsche Linse gewählt wurde und dadurch sämtliche Mikrofone im Bild zu sehen sind) und die eigene Situation (ob man z.B. in Begleitung ist oder allein, in guter körperlicher und geistiger Verfassung etc.); vor allem gehört dazu jedoch auch die persönliche Erwartungshaltung. In diesem Fall waren Neugier und Vorfreude schlicht enorm, und je höher die Erwartungen, umso schwieriger ist es natürlich auch, sie zu erfüllen. Einerseits gelang es Brokeback Mountain, der kollektiven Hoffnung auf einen unvergesslichen Kinoabend gerecht zu werden: Die Atmosphäre während des Films war dicht und fast greifbar, das Publikum reagierte heftig und einheitlich auf den Film, es gab praktisch keine Störfaktoren (wie ablenkendes Geplapper, Geknister oder unpassendes Gelächter). Das kollektive Empfinden war so stark ausgeprägt und so deutlich wahrnehmbar, dass es keinen anderen Schluss als eine allgemeine Begeisterung von der Schönheit von Lees Film zulässt. Aber auch ein Hauch von Enttäuschung war spürbar. Und möglicherweise hat, neben dem Hype, der um den Film gemacht wurde, gerade die Intensität des kollektiven Erlebens dazu beigetragen. Worauf genau freut man sich bei einem solchen Film? Auf starke, nachempfundene Gefühle, auf unmittelbare Erkenntnisse, auf ein zwar kollektiv geteiltes, aber dennoch vor allem höchst individuelles Erlebnis. Der geteilte Ausdruck von Empfindungen während des Films konstatiert zwar dessen Effektivität, nimmt ihm aber auch etwas von seiner Einmaligkeit – von dem Gefühl, eine direkte, persönliche, unverwechselbare Verbindung zum Film zu haben. Wie viel stärker wird dagegen die Begeisterung für einen Film, wenn man ihn etwa gegen Andere verteidigen muss? Der letzte Kick – die Einzigartigkeit der eigenen Wahrnehmung – fehlte bei dieser Vorführung von Brokeback Mountain. Doch das allein erklärt noch nicht die leichte Unzufriedenheit beim Verlassen des Kinosaals. Sie erklärt sich wohl eher daraus, dass Brokeback Mountain die Erwartungen dieses speziellen Publikums, oder zumindest meine eigenen, nicht erfüllen konnte. Wer etwa auf der Berlinale Fabulous! The Story of Queer Cinema gesehen hat, hörte folgenden Kommentar zu Brokeback Mountain: eine große, universelle, epische Liebesgeschichte, bei der man vergisst, dass es sich um zwei Männer handelt, die sich so hoffnungslos wie tragisch ineinander verlieben. Doch das Gegenteil ist der Fall: Man kann es nicht vergessen, da es gerade die Homosexualität ist, die die Liebe tragisch macht, bzw. nicht die Homosexualität an sich, sondern die Einstellung der Gesellschaft zu einer Liebe, die es ihrer Meinung nach nicht geben darf. Letztendlich ist Brokeback Mountain nicht so viel anders als viele, zugegeben deutlich weniger erfolgreiche Filme, die auch eher nicht aus Hollywood stammten, die sich für Toleranz und Gleichberechtigung aussprechen. Sicher, ein hehres Vorgehen, aber für das Publikum dieser speziellen Vorführung ein wenig überholt. Man will so langsam einfach keine Menschen mehr sehen, die sterben müssen, nur weil sie es wagen, sich in die falsche Person zu verlieben. Die diesjährigen Teddy- und Panorama-Publikumspreis-Gewinner Maximo Oliveros blüht auf und Paper Dolls dagegen hoben den Umgang mit Homosexualität auf eine Stufe, auf der sie endlich tatsächlich als gesellschaftliche und menschliche Selbstverständlichkeit angenommen wird. Eine Kritik an Brokeback Mountain, die auf diesem Fundament aufbaut, rechtfertigt auch einen Vergleich etwa mit Die Brücken am Fluss: was die melodramatische Wirkung angeht, ist das wohl immer noch der eindrucksvollere Film. Dass es sich hier um eine heterosexuelle Liebesgeschichte handelt, macht von einer solch modernen Warte aus gesehen keinen Unterschied. Doch der erste Eindruck eines Films bleibt zwar immer in Erinnerung, er prägt die Wahrnehmung eines Films, er ist jedoch auch nicht alles. Der Filmtheoretiker Rick Altman hat den Film einmal als scarred palimpsest’ beschrieben, das keine einzelne, einheitliche Bedeutung in sich trägt, sondern aus vielen übereinander gelagerten, potentiell widersprüchlichen diskursiven Schichten besteht – der Filmvorführung unter anderen. Wenn erst mal die Reflexion nach dem Film einsetzt, wird schnell klar, dass die Geschichte kaum anders hätte erzählt werden können ohne dabei an Wahrhaftigkeit einzubüßen. Mein Einwand schmälert den Film an sich in keiner Weise, da Filme, die Intoleranz thematisieren, niemals ihren Wert verlieren und überholt sein werden – schon gar nicht wenn sie es mit einer solchen Qualität und einem solchen Erfolg tun. Dass Brokeback Mountain letztlich doch nicht den Oscar für den besten Film bekam (trotz bestem Drehbuch und bester Regie …), zeigt ebenfalls, dass solche Filme noch lange nicht überflüssig sind. Die Bilder und Dialoge von Brokeback Mountain verankern sich mit der Zeit immer tiefer im Gedächtnis, so tief, dass man irgendwann nicht mehr weiß, wie man jemals ohne sie sein konnte. Die leichte Enttäuschung nach dem ersten Kinobesuch ist längst überwunden, und aus der kollektiven Erfahrung ist so eine ganz und gar individuelle geworden. Meiner Meinung nach ist Brokeback Mountain nicht nur der beste Film des Jahres (bzw. der letzten Jahre), sondern auch Ang Lees bisher bester Film: Er steht seinen bisherigen Filmen an Dichte, Tiefe und Aussagekraft in nichts nach, übertrifft sie aber an anderen Stellen. Er ist einerseits sehr spezifisch in seiner zeitlichen und thematischen Einordnung, aber dennoch durch und durch universell in seiner Schilderung einer unmöglichen, tragischen Liebe – eine Art moderne Romeo und Julio-Geschichte. Und – das lässt sich jetzt schon mit Sicherheit sagen – filmgeschichtlich ist Brokeback Mountain der bedeutungsvollste von Lees (bisherigen) Filmen: er wird für alle Zeit als der Film in Erinnerung bleiben, der die homosexuelle Liebe ins kommerzielle Hollywood-Kino, in Kleinstadt-Kinos und die Oscar-Verleihung brachte. |
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