In Australien sind die Filme mitunter etwas heftiger als anderswo. Man erinnere sich an Russell Mulcahys Razorback (über ein monströses Wildschwein) oder George Millers Mad Max, der wegen seiner Brutalität lange Zeit Kultstatus genoß („Wenn Du überleben willst, musst Du Dir nur die Hand absägen …“). Auch bei Wolf Creek geht es teilweise hart zur Sache, doch der Film wirkt in der ersten Hälfte teilweise recht harmlos verglichen mit den amerikanischen Vorbildern, die eine Gruppe junger Menschen in die Fänge degenerierter Killer jenseits der nächsten Schnellstrasse fallen lassen.
So lässt sich Wolf Creek sehr viel Zeit beim Vorbereiten einer zunächst ausgelassenen Party-Stimmung, die erst ganz langsam ins Bedrohliche umschwingt. Und statt bereits nach zehn Minuten mindestens einen Blow-Job dauernarkotisierter Sex-Maniacs anzudeuten, dauert es hier sicher 35-40 Minuten, bis sich ein junges Paar hier erstmals küsst - noch dazu an einem ausgesprochen romantischem Ort: dem Rand eines riesigen Meteoritenkraters, der uns auch den Filmtitel beschert.
Wenn die drei jungen Leute (2 Engländerinnen und ein aus der Großstadt Sydney stammender Australier) auf dem Weg zu diesem Ausflugziel an einem Schild vorbeikommen, daß die „vorerst letzte“ Tankstelle anpreist, erwartet der erfahrene Zuschauer eine verfallene Ruine, aus der erst nach langem Rufen (und einer Hausinspektion, die mindestens ein paar Knochen oder seltsame Organe in Einmachgläsern offenbart) ein ebenso bedrohlicher wie halbanimalischer alter Mann hervorkommt. Weit gefehlt. Der australische Tankwart ist ebenso hilfsbereit wie dauergrinsend (und das auf eine nette statt debile Art), und in einem angedeuteten Schankraum treffen sich sogar die Ortsansässigen, die zwar unflätige Phantasien ob der jungen Mädchen ablassen und sich am liebsten mit dem sich als Macho gebärenden Ben schlagen würden, vorerst aber auch nicht viel gefährlicher wirken als ein paar Skinheads, die sich „Bei Uschi“ in Hellersdorf besaufen.
Liz sucht hier mal die Toilette auf, und das unaufhörliche Fliegengesumm deutet statt vorbildlicher Hygienebedingungen eher halbverscharrte Leichenteile an, doch der Film hält sich absichtlich bedeckt, und die Filmemacher wissen, daß der Zuschauer mit dieser gaaanz langsaaamen Einführung sehr wohl längere Zeit „auf Trab“ gehalten werden kann, ohne zu früh eines der drei potentiellen Opfer über die Klinge springen zu lassen.
Als, beim Krater angekommen, und nach der dreistündigen Begehung desselbigen, plötzlich die Armbanduhren unserer Helden stehengeblieben sind und auch die Batterie des Autos keinen Mucks von sich gibt, mag man vielleicht auch mal kurz darüber nachdenken, ob die ganzen Andeutungen auf Außerirdische den weiteren Fortgang der Geschichte bestimmen könnten, doch das nächtliche Ufo erweist sich dann als ein Geländewagen mit einem zwar kauzigen, aber netten Hinterwäldler, der den jungen Leuten in der Notlage helfen will. Die Abschleppaktion zieht sich zwar etwas und die fast bargeldlosen Urlauber ahnen, daß der Hobbymechaniker sie zumindest finanziell ausnehmen will, doch nach einem netten Gespräch am Lagerfeuer bereut man sogar, daß Ben den netten Mick Taylor ein wenig mit jenem bekanntesten Zitat vom berühmten Landsmann Mick Dundee gegängelt hat: „Das soll ein Messer sein? Das hier ist ein Messer!“
Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber als Liz am morgen aufwacht, findet sie sich geknebelt und gefesselt in einem Schuppen wieder, und den Spruch mit dem Messer wird man später nochmal in dem Film hören. Je nach Veranlagung wird da noch mancher Zuschauer lachen (ich oute mich!), doch die Filmfigur, die diesen Satz vernimmt, hat danach eindeutig nicht mehr viel zu lachen. Oh nein, ganz im Gegenteil …
Aufgrund seiner Hinterhältigkeit, seinem absonderlichen Humor durch den Einsatz einer Crocodile Dundee-ähnlichen Figur als Bösewicht, und die in der letzten halben Stunde oft überraschenden Wendungen des Films kann Wolf Creek insbesondere Freunde des Genres überzeugen, auch wenn lange Zeit wenig passiert. Doch wie man aus Filmen wie The Birds oder Jaws wissen sollte, muß der Horror nicht immer „allgegenwärtig“ sein, um einen durchgeschwitzen Kinosessel zu hinterlassen …