När mörkret faller
(Anders Nilsson, Panorama Special)
Int. Titel: When Darkness Falls, Dt. Titel: Bei Anbruch der Dunkelheit, Schweden / Deutschland 2006, Buch: Joakim Hansson, Anders Nilsson, Kamera: Per-Arne Svensson, Schnitt: Anders Kwarnmark, Daniel Saxlid, Niklas Skarp, Musik: Bengt Nilsson, mit Oldoz Javidi (Leyla), Bahar Pars (Nina), Mina Azarian (Mutter), César Saracho (Vater), Annika Hallin (Stella Forsberg), Lia Boysen (Carina), Peter Engman (Håkan), Bibi Andersson (Schwiegermutter), Fredrik Eriksson (Lasse), Reuben Sallmander (Aram), Per Graffman (Peter), Nisti Stêrk (Nadja), Ashkan Ghods (Dana), 133 Min.
Vorführungen: (alle Angaben ohne Gewähr) Mittwoch, 14. Februar, 14 Uhr im International, Samstag, 17. Februar, 22 Uhr 30 im Colosseum 1, Sonntag, 18. Februar, 21 Uhr 30 im Zoo-Palast 1
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Leider passiert es in Deutschland viel zu selten, daß mal ein schwedischer Film in den Kinos auftaucht. Früher gab es Ingmar Bergman (soll es immer noch geben, man merkt hierzulande nur nichts davon), die letzten paar in Schweden tätigen Regisseure, die es auch zu internationalem Ruhm brachten, zog es entweder in die Staaten (Bille August, Lasse Hallström, zuletzt Mikael Håfström), oder ihre Filme schaffen es nicht mehr ins Ausland, solang die Einspielergebnisse nicht mindestens konstistent bleiben (Lukas Moodysson, Josef Fares). Kjell Sundvall, Richard Hobert, Reza Bagher oder Colin Nutley, die in Schweden alle etwa so bekannt sind wie hierzulande Dominik Graf, Doris Dörrie oder Dani Levy, schaffen es mal hin und wieder, einen ihrer Filme auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen, aber dabei bleibt es dann auch zumeist.
Anders Nilsson hat als Regisseur (und in vielen anderen Funktionen) auch bereits eine beachtliche Filmographie angesammelt, aber sein name sagte trotz seines letzten Erfolgs Den tredje vågen (The Third Wave, 2003) nicht einmal mir etwas. När mörkret faller ist kein Film, der auf universelle Begeisterung stoßen wird. Dazu hat sein Regisseur und Co-Autor nicht genügend Furcht vor Fettnäpfchen. Der Film dreht sich um heikle, bevorzugt unter den Teppich gekehrte Themen, bemüht dazu eine eher herkömmliche Krimidramaturgie, und scheint sich nicht im geringsten darum zu kümmern, was etwa im Nachbarstaat Dänemark los war, als mal in einer Zeitung ein paar Mohammed-Karikaturen auftauchten.
Doch kommen wir erstmal zur Handlung. När mörkret faller erzählt drei Geschichten, die zwar thematisch zusammenhängen, aber nicht wie bei Iñárritu auf Gedeih und Verderb irgendwie durch Zufallsbegegnungen irgendwie miteinander verwoben werden müssen.
Leyla ist ein junges Mädchen aus einer Migrantenfamilie (weder die Religion noch die Herkunft spielt hier eine Rolle, wie der Regisseur nicht oft genug betonen kann), deren Schwester Nina mal beim Einsteigen in den Schulbus von einem ihrem Umfeld unbekannten jungen Mann gegrüßt wird. Als dann auch noch bei einer Familienfeier ein Handy (“Woher hast Du das?”) nebst Mailbox-Nachricht auftaucht, dreht zunächst ihr Vater, dann fast die ganze Familie durch. Als sie nach diversen Ohrfeigen abhaut und nur von ihrer Schwester wieder zurückgelockt werden kann, sagt man ihr etwa in der Wohnung, daß sie “wählen” darf. Um ihr dann in ihrem Zimmer eine Schachtel Tabletten, einen bereits zu einer Schlinge gebundenen Strick und das offene Fenster (man befindet sich etwa im vierten Stock) “anzubieten”. Schwester Leyla bereut ihre Tat und man verrammelt sich erstmal im Zimmer, während irgendwelche Cousins bereits eifrig etwas suchen, um das Schloß zu öffnen, ohne daß die Wohnungsnachbarn die Polizei alamieren.
Carina lernen wir kennen, während sie gerade offenbar recht gelungenen Sex mit ihrem Gatten Håkan hat. Kurz darauf bekommt sie bereits einen Preis für Fernsehjournalismus, doch vergisst dabei, sich auch bei ihrem Mann (und Mitarbeiter) zu bedanken. Was wiederum diesen ausrasten lässt. Spätestens, wenn die Kinder bei einem späteren Vorfall immer wieder “Sag Entschuldigung, Mama!”, “Sag Entschuldigung, Mama!” rufen, ist jedermann klar, daß in dieser Ehe Gewalt nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist.
Damit sich der Film nicht nur auf verfolgte Frauen beschränkt, ist die dritte Geschichte eine fast reine Männergeschichte. Aram führt mit seinen Geschwistern einen florierenden Nachtclub namens Le Château, doch an Halloween gibt es einen Zwischenfall zwischen den Rausschmeißern und ein paar Gästen. Nachdem diese nach Rauswurf eine Flasche an der Verdertür warfen, gehen die Rausschmeißer mal mit ihnen um die Ecke, deren Chef Peter zieht sich die Oberbekleidung aus und trimmt sie ein wenig zusammen. Aram beobachtet dieses zufällig und will dazwischen stoßen, doch die Angelegenheit ist bereits erledigt, alles ist “cool”, wie Peter sagt. Da die düpierten Gäste aber von einem nach zehn Jahren Knast gerade entlassenen Spezialisten für Raubüberfälle angeführt werden, werden etwas später die Rausschmeißer und einige Passanten von einem Typen in Kapuzenjacke angeschoßen. Wenn Aram sich nicht dazwischen geworfen hätte, wäre Peter wahrscheinlich erschossen worden, nun aber ist er der einzige, der den Schützen identifizieren kann, und schon bald trudeln Drohungen ein, daß er dies lieber nicht tun sollte, falls ihm an seinem und dem Leben seiner Familie gelegen ist …
In allen drei Fällen handeln die “Täter” aus einem missverstandenen Ehrgefühl, bei dem der Regisseur sich mehr Mühe als seine meisten Zuschauer (Erfahrungen aus dem Q&A nach dem Film) gegeben hat, die Gründe für das mitunter völlig unfassbare Verhalten nachzuvollziehen. Daß Nilsson drei Filme in einen etwas längeren zusammengefasst hat, ist verständlich, weil jede der drei Episoden für sich einen ganz anderen “Eigengeschmack” bekommen hätte als die gelungene Mixtur. Die Dramaturgie ist zwar etwas zu konventionell, aber die drei Geschichten faszinieren (und schockieren) alle auf ihre Weise. Gewalt an Frauen gehört ja nicht unbedingt zu den beliebtesten Filmthemen, für Date Movies ist dies ein völliges Tabu, denn weder Frauen noch Männer bezahlen gern einen guten Stundenlohn, um sich dann als Opfer oder Täter wiederzufinden. Doch När mörkret faller klagt keine Einzelpersonen an, sondern die Gesellschaft, überholte Ehrvorstellungen, die der Regisseur als die kranken Entsprechungen der noch vor anderthalb Jahrhunderten üblichen Duelle auslegt. Für zartbesaitete Zuschauer ist dieser Film übrigens nicht geeignet, er beinhaltet immerhin das meines Erachtens grausamste Verbrechen, das ich womöglich jemals auf einer Kinoleinwand miterleben “durfte”. Und ich gehe gerne zu Horrorfilmen. Wenn ich in diesem Film nur eine Schere in der Hand eines von Leylas Brüdern sah oder Carina bei Tomatenschneiden, zuckte ich schon fast zusammen. Aber trotz einiger Stuntmen und Special-Effects-Experten geht es hier nicht um Folter, Verstümmelung oder Splatter-Effekte, sondern …
Nein, das Plakat verrät schon zuviel! Ich bin mir sicher, diese Szene würde selbst auf Jörg Buttgereit Eindruck machen …