Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
Februar 2007 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
Der gute Hirte
|
Copyright: © 2006 Universal Studios. ALL RIGHTS RESERVED |
Daß sich bei der Berlinale-Berichterstattung kaum ein Kritiker verkneifen kann, Robert De Niros zweiter Regiearbeit The Good Shepherd seine fast dreistündige Länge vorzuwerfen, ist natürlich einer der Nachteile, wenn man seinem Film einem Festival-Publikum darbietet, das mitunter zwischen Film Nr. 2 und 4 des Tages eben gerne mal wachgerüttelt werden will.
The Good Shepherd reißt nicht wirklich mit. Matt Damon ist zwar einer der bestaussehendsten jungen Darsteller Hollywoods, aber auch einer der langweiligsten, und in diesem Film soll er sich gerade dadurch auszeichnen, unscheinbar, ja fast unsichtbar zu sein, denn an der Karriere eines Elitestudenten wird hier die Geschichte der CIA nachgezeichnet, vom Kriegsbeginn 1939 bis zur Kuba-Krise Anfang der 1960er - was für Damon außerdem bedeutet, daß er innerhalb des Films sowohl einen 20jährigen als auch einen 42jährigen darstellen muß. Das macht er ganz passabel, aber vom Hocker haut es nicht. Spannender sind da schon die Schauspieler an seiner Seite. Darunter Routiniers in guter Tagesform (John Turturro, Michael Gambon, William Hurt), Gesichter, die man immer wieder gerne sieht (Martina Gedeck, Billy Crudup, Joe Pesci), und Neuentdeckungen, die besonders positiv herausstechen (Eddie Redmayne als Damons Sohn, Tammy Blanchard als love interest, Oleg Stefan als der russische Gegenspieler). Und Angelina Jolie, in den Stabangaben als zweite genannt, hat glücklicherweise auch nicht so viele Szenen, denn abgesehen von Damon sind alle nur Nebendarsteller.
Die Geschichte spielt größtenteils abwechselnd in zwei Zeitschienen, was nichts besonderes ist. Einerseits erlebt man die Probleme des CIA (und insbesondere der Damon-Figur Edward Wilson) ab der misslungenen Invasion an der Schweinebucht mit, andererseits sieht man, wie er angeworben wird, eine Senatorentochter (Jolie) in Rekordzeit schwängert und heiratet, dann aber nach Europa abgeordert wird, und seinen Sohn in dessen ersten fünf Lebensjahren nie zu Gesicht bekommt.
Wie A Bronx Tale ist auch The Good Shepherd wieder eine Geschichte um Väter und Söhne, und neben der unglücklich startenden Beziehung zu Edward jr. erleben wir in Rückblenden auch noch, wie Edwards Vater (Timothy Hutton) seinem Sohn zunächst einige Ratschläge fürs Leben gibt (über Themen wie Lügen und Vertrauen), bevor er dann Selbstmord begeht - was der Sohn durch Entwendung des Abschiedsbrief in einen “Unfall” verwandelt (1925 gab es noch keine CSI).
Somit endet nicht nur das Leben des Vaters mit einer (guten) Lüge, auch das Leben Edwards wird schnell zu einer einzigen Lüge, die ein Vertrauen zu Frau und Sohn von vornherein verhindert. Bei wichtigen Gesprächen wird der Knabe aus dem Zimmer geschickt, bei Freundschaftsbesuchen wird die Hausherrin brüskiert, wenn sie auch nur andeutet, daß der Gatte mit Staatsgeheimnissen vertraut sein könnte. Und so muß Edward gleichzeitig seine Familienbeziehungen retten, und herausbekommen, wer daran schuld war, daß die Kubaner allzu gut informiert waren über die Invasion.
Hierbei spielen ein großbkörniges Schwarzweißfoto und eine Tonbandaufnahme eine Rolle, die in bester Blow Up / Blow Out-Manier nach und nach den ort und somit auch den Schuldigen des Landesverrats identifizieren. Wenn man den Fehler macht, darüber nachzudenken, wer sich schließlich mit welchen Gründen dazu entschloß, dieses Material dem CIA zukommen zu lassen, so findet man einen groben Schnitzer in der Drehbuch-Struktur, die ansonsten vollkommen überzeugt, Autor Eric Roth versteht sich immerhin auf solche Themen und schrieb die Drehbücher zu Filmen wie The Insider oder Forrest Gump.
Interessanter als die Details, die zur Findung des Verräters führen, sind die Details in der Inszenierung, die davon zeugen, daß De Niro, der als Darsteller lange seinen Zenit überschritten hat, als Regisseur vielleicht noch Großes vollbringen mag. So beginnt der Film etwa mit zwei mysteriösen Geräuschen (sowas wie Porzellangeklapper und das Schnappen irgendeines Verschlußes), die der aufmerksame Zuschauer (oder in diesem Fall Zuhörer) später zuordnen kann, wenn er es nicht längst wieder vergessen hat. Dann bewies der Film mir persönlich, daß das paranoide “Keinem-Vertrauen” sich auch auf den Zuschauer übertragen kann, wenn etwa ein nach einem Mord aus dem Wasser herausragender Gehstock gleich zum potentiellen Schnorchel umgedeutet wird. Als drittes dann eine Stelle, wo ich dachte, ich wäre den Filmemachern zwei Schritte voraus: Eine Parallelmontage, bei der u. a. eine Champagnerflasche geöffnet wird. Doch anders als in Syriana oder Children of Men folgt dann nicht der Knalleffekt, der in der Post-911-Welt so allgegenwärtig ist (siehe etwa Don oder Fay Grim auf der Berlinale), sondern eine weitaus unspektakulärere (und zeitgemäßere) Auflösung, die dann erst durch eine spätere Szene als sozusagen zeitlich versetzter Match-Cut die Vater-Sohn-Problematik und die mehreren Zeitschienen zusammenführt. Daß zwei Geräusche und drei Requisiten jene Momente aus The Good Shepherd sind, die in meinen Augen Robert De Niro zu einem großen Regisseur machen, wird noch dadurch in seiner Aussage verstärkt, daß eben nicht, wie bei anderen Schauspielern, die sich auch mal als Regisseur versuchen, vor allem die tollen auf die Kollegen verteilten Rollen im Gedächtnis bleiben. Beim Casting und der Schauspielerführung ist De Niro solide, aber nicht eben euphorisierend, aber bei den filmsprachlichen Kleinstdetails zeigt sich, daß er eben nicht “nur” Schauspieler, sondern auch ein richtiger Regisseur ist.
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |