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November 2007
Thomas Vorwerk
für satt.org


Persepolis

Ein Film von Marjane Satrapi
& Vincent Paronnaud

Frankreich 2007, Buch: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud, Comic-Vorlage: Marjane Satrapi, Schnitt: Stéphane Roche, Musik: Olivier Bernet, Production Design: Marisa Musy, Animationskoordination: Christian Desmares, mit den Originalstimmen von Gabrielle Lopes (Marjane als Kind), Chiara Mastroianni (Marjane als Teen / Erwachsene), Catherine Deneuve (Mutter), Danielle Darrieux (Großmutter), Simon Abkarian (Vater Ebi), François Jerosme (Onkel Anusch), 96 Min., Kinostart: 22. November 2007

Persepolis - Ein Film von Marjane Satrapi & Vincent Paronnaud
Persepolis - Ein Film von Marjane Satrapi & Vincent Paronnaud
Persepolis - Ein Film von Marjane Satrapi & Vincent Paronnaud
Bilder © 2007 PROKINO Filmverleih GmbH
Persepolis - Ein Film von Marjane Satrapi & Vincent Paronnaud
Persepolis - Ein Film von Marjane Satrapi & Vincent Paronnaud
Persepolis - Ein Film von Marjane Satrapi & Vincent Paronnaud

Von den vier bei L’Association erschienenen Persepolis-Bänden kannte ich vor Besuch des Films nur die beiden unter dem Zusatztitel Eine Kindheit im Iran bei der Edition Moderne zusammengefassten ersten zwei Bände, die meines Erachtens sehr logisch und überzeugend damit enden, dass die 14jährige Marjane den Iran verlässt. Vor dem Kinobesuch ahnte ich bereits, daß der ziemlich dunkle Schluss der Handlung für den Film irgendwie abgeändert werden würde, doch daß ich nur knapp die Hälfte der Filmhandlung kennen würde, kam für mich ziemlich unerwartet, und da ich die späteren Jahre der autobiographischen Handlung vergleichsweise weniger fokussiert empfand, entsprach der Film nicht annähernd meinen hohen Ansprüchen.

Der erste Schock kam bereits bei den ersten Bildern des Films, denn die Rahmenhandlung (die übrigens auch nicht aus Band 3 und 4 stammt) war in Farbe, was aber im Nachhinein durchaus Sinn gab, denn innerhalb von Marjanes Kindheit gab es noch zwei weitere eingerahmte Erzählungen, die auch jeweils graphisch abgesetzt wurden, und dem Publikum das Auseinanderhalten der zeitlichen und erzählerischen Ebenen erleichterte. Im (mir bekannten Teil des) Comic gibt es solch eine erzählerische Trennschärfe nicht - und sie ist auch nicht vonnöten. Satrapis kontraststarke und oft naiv anmutende Zeichnungen konzentrieren sich auf die Hauptsachen, die episodischen Unterkapitel zwischen sieben und elf Seiten sind stringend und größtenteils schnörkellos erzählt, bauen aber durch die chronologische Abfolge einen enormen erzählerischen Sog auf. Für den Film wurde Marjanes Geschichte flüssiger strukturisiert, und auch die teilweise Linoleum-Schnitt-artige Schwarzweiß-Welt bekommt hier diverse Grauschattierungen und eine detaillierte Hintergrundwelt. Konzessionen an ein Kinopublikum, das anderthalb Stunden minimalistische talking heads womöglich nicht als die emotionale Intensität empfunden hätte, die diese Herangehensweise im Comic darstellt.

Nun ist es ja ganz klar, daß das Medium Film anderen Gesetzen unterliegt als der Comic, doch wenn der Comicschöpfer selbst als Regisseur fungieren durfte, gab es bisher immer sehr werkgetreue Adaptionen wie bei Raymond Briggs (When the Wind blows), Katsuhiro Otomo (Akira) oder Frank Miller (Sin City). Marjane Satrapi hingegen begreift die Verfilmung als eigenständiges Werk und lässt Comic und Film jeweils für sich, mit teilweise unterschiedlichen Mitteln sprechen. Das gibt auch Sinn, da der Film seine Produktionskosten wieder einspielen muss, was durch eine zu große Werktreue sicher erschwert worden wäre. Somit wirkt die kleine Marjane hier viel niedlicher (schon durch die Stimme), manchmal auch dümmer dargestellt (die Kenntnisse über “dialektischen Materialismus” werden z. B. ignoriert), die Staatsbrutalität wird viel früher und nicht nur aus ihrem Blickwinkel thematisiert, und manchmal gibt es dadurch für den Comic-Leser, der später auch den Film schaut, gewisse Diskrepanzen, die sogar die Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Wenn Marji im Comic mit einer auf dem Schwarzmarkt erstandenen Iron-Maiden-Cassette in der Tasche von zwei Fundamentalistinnen ausgefragt wird, werden diese als hinterwäldlerisch dargestellt, weil sie Marjis Turnschuhe als “Punk” bezeichnen (“Offenbar wusste sie nicht, was Punk war”). Wenn Marji im Film in dieser Szene eine Jeansjacke mit der Aufschrift “Punk is not ded” [sic!] trägt, funktioniert die Szene trotz der wie Schlangen animierten Schleierträgerinnen (eine der wenigen symbolisch verfremdeten Sequenzen) weniger gut als im Comic, denn schon durch die freiwillig zur Schau gestellte Orthographie-Schwäche wirkt sie mindestens genauso hinterwäldlerisch wie die zwei Frauen, denen sie weismachen will, daß ihr Michael-Jackson-Button Malcolm X zeigt. Bei einer anderen Szene des Films, die im Comic fehlt, wird Abba als minderwertig gegenüber den Bee Gees dargestellt, und ich fragte mich, inwiefern ich mir einen weitergehenden Subtext nur einbildete oder dieser von den Filmemachern beabsichtigt war, denn die bärtigen Gebrüder Gibson wirken rein visuell wie iranische Fundamentalisten, während die definitiv keinen Schleier tragenden Agnetha und Annafrid sehr viel revolutionärer wirken. Aber oft hatte ich auch das Gefühl, daß ich mir während des Films zuviele Gedanken machte, während dieser doch trotz einer angedeuteten Vergewaltigung und vieler Kriegsverbrechen doch einen eher harmlosen Grundton anschlägt. Gerade die Todesopfer aus Marjis Umgebung werden hier weniger traumatisch dargestellt. Beim Tod von Onkel Anusch gibt es zwar viele Tränen, aber statt der Zeitungsschlagzeile “russischer Spion hingerichtet”, die den Tod dokumentiert, gibt es hier eine eher esoterische Sequenz, die die zwei aus Brotkrumen hergestellten Schwäne wie in ein Leben nach dem Tod davonschwimmen lassen. Und bei der Bombardierung des benachbarten Hauses der Familie Baba-Levy wird einem die Familie nicht vorher vorgestellt, und dafür gibt es statt des nur halb erkannten türkisen Armreifs eine deutliche Einstellung von einer Leichenhand mit Armreif, die aber wie ein inkonsequentes Klischee wirkt. Anstelle des autobiographischen Drängens nach Wahrheit steht im Film oft eine formelhaftige Dramatisierung.

Zusammenfassend muss ich sagen, daß man bei der Verfilmung eigentlich keine großen Fehler gemacht hat, der Film aber kein so persönliches Medium ist wie der Comic, wodurch aus meiner Sicht einiges an Intensität verloren ging. Der Film Persepolis ist zwar ein Ereignis, doch der Comic ist das viel größere Ereignis, etwa so, wie die vielfach diskutierte Watchmen-Verfilmung durch Terry Gilliam auch nur ein schwacher Abklatsch geworden wäre, denn oft sollte man einfach beim Ursprungsmedium bleiben. Wichtiger als ein finanzieller Erfolg des Films Persepolis ist aus meiner Sicht, daß möglichst viele der Zuschauer auf den Comic neugierig werden, aber im Gegensatz zu einer Literaturverfilmung (wo ja oft noch die perverse Novelization erfolgreich ist) denkt man nach einer Comicverfilmung wahrscheinlich eher, daß man die Vorlage jetzt nicht mehr zu lesen braucht, weil man ja schon die Filmversion kennt. Und der Film ist für viele (sich gebildet vorkommende) Menschen leider die angesehenere Kunstform, obwohl gerade herkömmliche Superhelden-Comic-Verfilmungen immer wieder beweisen, daß die Verfilmung fast nie besser ist als das Comic.