Fotos © Weinstein Company
|
Control
(R: Anton Corbijn)
UK / USA / Australien / Japan 2007, Buch: Matt Greenhalgh, Vorlage: Deborah Curtis, Kamera: Martin Ruhe, Schnit: Andrew Hulme, Musik: Joy Division, New Order, Casting: Shaheen Baig, mit Sam Riley (Ian Curtis), Samantha Morton (Deborah Curtis), Alexandra Maria Lara (Annik Honoré), Joe Anderson (Peter Hook), Toby Kebbell (Rob Gretton), Craig Parkinson (Tony Wilson), James Anthony Pearson (Bernard Sumner), Harry Treadaway (Stephen Morris), Andrew Sheridan (Terry Mason), Robert Shelly (Twinny), Matthew McNulty (Nick Jackson), Ben Naylor (Martin Hannett), Herbert Grönemeyer (Public GP), Nigel Harris (Tramp), Nicola Harrison (Corrine Lewis), Tim Plester (Earnest Richards), 121 Min., Kinostart: 10. Januar 2008
Der Holländer Anton Corbijn hat sich als Fotograf und Designer seit Ende der 1970er einen Namen gemacht, insbesondere seine Zusammenarbeit mit U2 und Depeche Mode (seit People are People) war für das jeweilige Image der Bands prägend. Später drehte er auch Videos wie Nirvanas Heart-Shaped Box oder Herbert Grönemeyers Mensch, und der Schritt zum “richtigen” Regisseur, wie ihn Spike Jonze oder Michel Gondry vollzogen, war nur noch eine Frage der Zeit. Dass Corbijn nun als erstes ausgerechnet die Biographie des tragisch früh verstorbenen Joy Division-Sängers Ian Curtis inszenierte, könnte ihn als “nur teilweise dem Ghetto entkommen” deklarieren, doch auch wenn die stilisierten Schwarzweiß-Bilder, die natürlich Vergleiche zu seiner Vergangenheit als Fotograf aufzwingen, auf den ersten Blick ein wenig gelackt wirken mögen, wird schnell klar, dass Corbijn seine Inszenierung ganz in den Dienst der Geschichte stellt, und Schwarzweiß ist nicht nur das bevorzugte Format der Joy Division-Albumcover gewesen, auch lässt sich das England der späten Siebziger (“grey and miserable”, übrigens auch die Zeit, in der Corbijn auf die Insel umsiedelte) so am besten einfangen (und Corbijn verwendet hier nicht das grobkörnige Material, für das er bekannt ist).
Die Basis dieses Biopics, das sich diese Bezeichnung natürlich verbittet, war ein Buch der Curtis-Witwe Deborah, die den Film auch mitproduzierte. Dies könnte auch der Grund sein, warum das Musikerleben zwar ein wichtiger Bestandteil des Films ist, aber gerade der Widerspruch mit einer jungen Ehe / Kleinfamilie (“He’s quite famous!” - “Not to me, I still wash his underpants”) und insbesondere die Affäre mit einer französischen Nachwuchsjournalistin (Alexandra Maria Lara diesmal halbwegs erträglich und sogar ohne die üblichen obligatorischen Nacktszenen) sich innerhalb der Geschichte sehr in den Vordergrund drängen, doch das Liebesleben der Prominenten war schon immer ein wichtiger Punkt in Biopics.
So beginnt der Film auch konsequent mit dem Kennenlernen zwischen Ian (Newcomer Sam Riley ist nicht nur ähnlich, sondern auch begabt) und Debbie (Samantha Morton wirkt in ihrer Verletzlichkeit wie die veritable Nachfolgerin von Emily Watson, wer aber die Karriere der Schauspielerin genauer verfolgt, wird vor allem ihre Wandlungsfähigkeit erkennen), und behutsam baut der Film die damalige Atmosphäre auf, zwischen Beamtenjob und Sex-Pistols-Konzert. Das Thema Drogen spielt natürlich auch eine zentrale Rolle, und Ian bezieht seine Trips zunächst aus geplünderten Arzneischränken alter Damen, wobei dann die möglichen Nebenwirkungen wie Gottesgeschenke zelebriert werden: “apathy, blurred vision, agitation, drowsyness”. Insbesondere die “blurred vision” wurde im Film direkt umgesetzt (gleich die nächste Einstellung wurde durch eine Glastür gefilmt), und setzte sich übrigens beim DVD-Presse-Screening noch fort, denn wann immer man den Blick wandern ließ, tauchten im Auge aus dem Schwarzweiß-Material plötzlich Farbpunkte auf, ein Effekt, der vielleicht auch zu Kopfschmerzen hätte führen können, dem Film aber irgendwie noch eine verstärkte Wirkung verlieh. Zusammen mit ein paar eingeschmissenen Tabletten ist eine DVD-Vorführung per Beamer vielleicht die Art der Rezeption dieses Films, die am ehesten bewusstseinerweiternd wirken könnte.
Normal im Kino ist der Film eher schlicht in seinen Mitteln und seiner Aussage, statt von Ruhm und Prestige ist das Leben von Ian Curtis von Frustration, Selbstzweifeln und epileptischen Anfällen geprägt, sein Ende wirkt so unabwendbar wie selten in einem Biopic, und die gesamte dräuende Atmosphäre des Films ist eine gelungene Fortführung der Joy-Division-Songs, in denen Themen wie Isolation und Kontrollverlust auch allgegenwärtig sind (“I feel they’re closing in, day in, day out ...”).
Für Zeitzeugen bietet der Film noch viele kleine Zugaben wie das skurrile Fernsehprogramm jener Zeit, natürlich Auftritte von Tony Wilson (fast so erheiternd wie in 24 Hour Party People) und etwa ein geschickt umgesetztes David-Bowie-Konzert. Control ist Pflichtprogramm nicht nur für Musik-Fans, sondern auch für Cineasten.