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Februar 2008
 


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Cinemania 53:
Berlinale Teil 3
(musikalisch)

Schon früh wurde diese von den Rolling Stones eröffnete, und mit Besuchen von Patti Smith, Neil Young und Madonna gekrönte Berlinale zur “Musik-Berlinale” erklärt, auch wenn Dokumentarfilme über Musiker auf jeder Berlinale dazu gehören. Doch diesmal geht es eben nicht um die Goldenen Zitronen, Daniel Johnston, Mutter oder Dave Chappelle’s Block Party, sondern um richtige “Stars”, und damit kann man die Medien schon mal zu Massenaufläufen animieren.

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Sita sings the Blues
(Nina Paley, Generation 14plus)

USA 2007, Buch, Schnitt, Animation: Nina Paley, Lit. Vorlage: Valmiki, Musik: Todd Michaelsen, Annette Hanshaw, 82 Min.
[Rezension von Thomas Vorwerk]

Leider ein bißchen in der Generation-Reihe untergegangen, und im Katalog mit (zwei sehr ähnlichen) Bildern beworben, die nicht annähernd einen Einblick in die Stilvielfalt dieses Animationsfilms geben, ist Sita sings the Blues meiner bescheidenen Meinung nach der beste Film der Berlinale 2008. Hindus mag es erzürnen, dass Filmemacherin Nina Paley ihren persönlichen Liebeskummer mit einer Neuinterpretation des Ramayana aus der Frauenperspektive verquirlt hat, und die ersten Morddrohungen ließen auch nicht lange auf sich warten. Doch ungeachtet der angedeuteten “blasphemischen” Parallelisierung einer (auch noch aus dem Westen stammenden) Normalsterblichen mit einer Figur der südostasiatischen Mythologie hat Frau Paley eine immense Hochachtung und Liebe zu dem Stoff, und diese Begeisterung springt auch auf Zuschauer über, die sich bisher mit der Vorlage so gar nicht beschäftigt haben.
Die im Heldenepos eher am Rande vorkommende Sita wird hier zum Mittelpunkt der Geschichte und Star des Films, und wenn ihr mal wieder vom Schicksal oder ihrem Gatten Rama (immer aus zutiefst ehrenwerten Gründen) böse mitgespielt wird, so klagt sie ihr Leid in Songs der Jazzsängerin Annette Hanshaw aus dem Ende der Goldenen Zwanziger, was den Filmtitel erklärt. Diese Passagen sind farbenfroh computeranimiert, dabei aber größtenteils sehr flächig. Außerdem gibt es noch Passagen über die Überlieferung des Ramayana, bei der die Figuren collagenhaft wie aus irgendwelchen historischen Abbildungen (die teilweise aber auch an ein Poesiealbum erinnern) zumeist nur in der Mundpartie animiert sind, während drei Scherenschnitte ihr Wissen im Streitgespräch zusammentragen (die Passagen, bei denen die Regisseurin Wert auf einen “echten” indischen Akzent legte, sollen von ihren Sprechern komplett improvisiert worden sein, wie man im Q&A nach dem Film erfuhr). Und, bereits angedeutet, gibt es noch die Geschichte von Nina, ihrem Freund Dave und der Katze Lexi, die abermals in einem anderen, etwas verspielt-kritzeligen Stil gehalten ist. Und um Spielorte wie San Francisco oder New York vorzustellen, greift Paley gern auf Foto-Collagen zurück. Somit wird das Auge durchweg gut und voller Abwechslungen unterhalten (was der Film aus einem Gemetzel und Blutbad - mit indischen Soundwords wie bei der Batman-TV-Serie! - macht, würde auch einen Vierjährigen ergötzen), die Geschichte ist interessant, die Musik mitreißend (ob Bombay-Techno oder herzzerreißender Jazz) und die persönliche Komponente, die zudem die Geschichte färbt, ist auch von Interesse. Der Film hätte vielleicht eine Viertelstunde kürzer sein können, doch bis zuletzt gibt es so viele großartige Ideen wie den neunköpfigen Schurken, die “monkey warriors” oder eine Karaoke-Sequenz, dass man vor lauter Staunen nichts missen möchte.

Mehr Informationen auf www.ninapaley.com


CSNY: Déjà vu
(Bernard Shakey,
Berlinale Special)

USA 2008, Buch: Neil Young, Mike Cerre, Kamera: Mike Elwell, Schnitt: Mark Faulkner, Musik: Crosby, Stills, Nash & Young, mit Dave Crosby, Stephen Stills, Graham Nash, Neil Young, Steven Colbert, Mike Cerre, Darrell Anderson, John Hisle, 97 Min.
[Rezension von Thomas Vorwerk]

Crosby, Stills, Nash & Young, oder kürzer CSNY, waren Ende der 1960er Teil der Protestbewegung gegen den Vietnam-Krieg und neben ihren harmonischen Liebesliedern sind sie immer auch wieder mit Protestliedern wie Ohio aufgefallen. Um die mittlerweile etwas in die Tage gekommenen Althippies ist es in letzter Zeit etwas ruhiger geworden, aber der in der Ur-Besetzung gar nicht dabeigewesene Neil Young, der inzwischen so etwas wie ein “benevolent dictatorship” innerhalb der Gruppe durchführt, initiierte 2006 die “Freedom of Speech”-Tour (“Neil called us all and had a great idea”), bei der neben dem gesammelten Protestliedgut der Band auch Songs aus Youngs aktuellem Soloalbum Living with War mit eindeutigen Titeln wie “Let’s impeach the President” (im Film fragt ungelogen eine Journalistin, worum es in dem Song wohl geht) vorgetragen wurden - nicht immer zur uneingeschränkten Begeisterung des Publikums.
Im Stil seiner Website Living with War hat Neil Young (der übrigens auch der Regisseur des Films ist, dessen Name wahrscheinlich wegen des gutklingenden Firmennamens “Shakey Pictures” gewählt wurde) diese Tour von Mike Cerre, einem in den Staaten wohlbekannten “embedded reporter” während des Irak-Kriegs, abermals als (halbwegs) objektiven Betrachter (“someone who wasn’t pampered by us”) kommentieren lassen.
CSNY: Déjà vu ist auch kein reinrassiger Konzertfilm (kaum ein Song wird ganz durchgespielt), sondern größtenteils eine Selbstbeweihräucherung, die aber weitaus unterhaltsamer und interessanter ist als beispielsweise Shine a Light, der diesjährige Berlinale-Eröffnungsfilm. Wo man bei Scorsese Clinton empfängt, den Praktikantinnenbeschmutzer und Gatten der potentiellen nächsten Präsidentin, macht sich Young über “presidential flip-flops” lustig, singt in Live-Talkshows unangekündigt “Let’s impeach the president for lying / and misleading our country into war” und die politische Lage des Landes wird so zusammengefasst: “Carter was the last real honest and decent president”. Und statt Christina Aguilera auftreten zu lassen, wird hier dem aufstrebenden Protestsänger John Hisle eine Bühne gegeben (“A Traitor’s Death” nahm währende der Tour einen Spitzenplatz auf Youngs Website-Liste der besten Protestsongs ein). Als Teil der Bühnenshow sieht man auf einer riesigen Leinwand die Gesichter der im aktuellen Krieg gefallenen US-Soldaten, und statt einer Flagge wie im Iwo-Jima-Denkmal wird auf der Bühne ein übergrosses Mikrofon als Symbol der Redefreiheit aufgebaut. Kriegsheimkehrer und Veteranen werden befragt, aber bei aller Meinungsmache lässt der Film immer auch Platz für verheerende Kritiken (“four balding hippie milionaires”) und entrüstete Meinungen von Leuten, die viel Geld für ein Konzertticket bezahlt haben und sich auf einer fragwürdigen politischen Veranstaltung wiederfanden, die sie dann frühzeitig verlassen haben. Die politische Linie des Films ist aus deutscher Sicht wahrscheinlich zu gefällig, aber da der Film - wie gesagt - dennoch unterhaltsam und teilweise sogar lehrreich ist, ist es der gelungenste der vier Rockfilme auf der Berlinale. Nur schade, dass Neil Young so “schüchtern” ist und nach dem Film nicht nochmal für ein Q&A zurückkam.


Heavy Metal in Baghdad
(Eddy Moretti & Suroosh Alvi,
Panorama Dokumente)

USA 2007, Buch: Eddy Moretti, Suroosh Alvi, Kamera: Eddy Moretti, Schnitt: Bernardo Loyola, Musik: Acrassicauda, 84 Min.
[Rezension von Daniel Walther]

Über einen Zeitraum von ungefähr fünf Jahren haben Eddy Moretti und Suroosh Alvi die irakische Heavy-Metal-Band “Acrassicauda” begleitet. Das ist in etwa der Zeitraum vom Sturz Saddam Husseins bis zur Gegenwart. “Acrassicauda” sind die womöglich einzige Heavy-Metal-Band im Irak, und mit ihren Schwierigkeiten zu proben, geschweige denn Auftritte vor Publikum zu absolvieren, beschäftigt sich der Film vordergründig erst einmal. Natürlich bekommen wir durch die Augenzeugenberichte der Bandmitglieder Einblicke, wie die Menschen in Baghdad mit dem anhaltenden Bürgerkrieg und der dazu gehörigen Zerstörung leben. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und sicherlich auch wegen der Finanzierung der Besuche, war es den beiden Regisseuren nur in groben Abschnitten möglich die Band zu filmen. Erstaunlicherweise schafften sie es dennoch, keinen der Auftritte der Band in dem bereits genannten Zeitraum zu verpassen, denn unglücklicherweise waren es auch die einzigen beiden Auftritte der Band.
Der Name “Acrassicauda” bezieht sich auf eine Skorpion-Art und eignet sich somit zumindest hervorragend für eine Metal-Band. Der Film beginnt unmittelbar nach dem Sturz Husseins mit der anfänglichen Hoffnung, dass sich die Möglichkeiten für die vier Mitglieder der Gruppe jetzt verbessern könnten. In Interviews erzählen sie, in erstaunlich gutem Englisch, wie sie durch Metal-CDs ihre Instrumente zu spielen lernten und sogar den Großteil ihrer Englischfähigkeiten sich über diverse DVDs und CDs angeeignet haben. Allerdings führt das zu dem immensen Gebrauch der Worte “Fuck” bzw. “Fucking” und “Dude”. Natürlich können sie ihre Liebe zum Metal in dem religiös konservativen Irak auch nicht durch ihre optische Erscheinung so richtig ausdrücken. Das beginnt bei den langen Haaren bis zu den T-Shirts, die sie zwar teilweise tragen, aber im Irak als Teufelszeug angesehen werden.
Uns wird ihr Proberaum gezeigt, der irgendwann zerstört wird, was natürlich große Bestürzung bei den Bandmitgliedern auslöst. Die zwei schönsten Momente des Films sind die Auftritte. Wenn man zusieht, wie sich der Traum, einfach mal richtig zu rocken, auch mal realisieren lässt. Da stört es niemanden, dass nur zwischen 10-15 Besucher auf dem Konzert sind. Trotzdem trennen sich die Wege der Band für eine gewisse Zeit als zwei Mitglieder nach Syrien, flüchten um sich dort ein besseres Leben aufzubauen. Dies gelingt ihnen in Syrien auch nicht viel besser, da die Anzahl der irakischen Kriegsflüchtlinge, die in das angrenzende Land fliehen, im Lauf der Jahre stetig gewachsen ist. So verschlechtert sich die Sicherheitslage in der irakischen Hauptstadt zunehmend, so drastisch, dass sich die verbliebenen Mitglieder, welche 15 Minuten von einander entfernt wohnen, für mehrere Monate nicht sehen können. Irgendwann folgen sie ihren Band-Kumpanen nach Syrien und es gibt tatsächlich einen ersten Auftritt für sie dort. Wieder genießen sie es richtig abzurocken. Leider wird es für die Band die vorerst letzte Gelegenheit dazu sein. Die letzten Infos über das Vorankommen der Band werden zum Schluss dokumentarfilm-typisch mit Texttafeln erzählt. Wir erfahren dass die Band immer noch in Syrien lebt und sie ihre Instrumente verkaufen mussten, um ihre Miete zu zahlen. Der Film ist auf HD gedreht und meistens wurde wahrscheinlich mit der Hand gefilmt, da es ihnen eh nicht möglich gewesen wäre, öffentlich ein Stativ aufzubauen. Die Lage ist für Ausländer oder sich mit Ausländern unterhaltenden Menschen in Baghdad sehr gefährlich. Einmal treffen sich der inoffizielle Bandchef, der Bassist Faijsal und die Filmemacher auf offener Straße. Der Mietwagen der Regisseure hält an der Straßenseite und Faijsal kommt an das Fenster und sagt ihnen hallo. Er schaut sich kurz um und meint dann schnell dass er jetzt besser bei ihnen mit einsteigen sollte, da er mit ihnen Englisch gesprochen hat. Eine weiteres Detail, das nicht einer gewissen Komik entbehrt, ist, als sich von Tag zu Tag die Anzahl der Bodyguards für das kleine Filmteam erhöht, bis sie irgendwann um die 9 mit Maschinengewehren bewaffnete Sicherheitsleute begleiten.
Die nie richtig fruchtenden Bemühungen der Band zu beobachten, erzeugt schon ein Gefühl von Mitleid, obwohl die Abstände der Besuche schon relativ groß sind, und es somit schwer fällt, die Arbeit der vier Musiker auf Dauer einzuschätzen. Ebenso schade ist es auch, dass den Bandmitgliedern nicht mal zur Premiere ihres Films bei dieser Berlinale ein Visum erteilt wurde. Es war der Wunsch der Band, dass der Film nicht einfach “nur” gesehen wird, sondern dass sie aufgrund ihrer eigenen Situation natürlich auch Aufmerksamkeit auf den anhaltenden Bürgerkrieg richten wollen, nur geht es hier im Gegensatz zu den meisten Berichterstattungen zum Thema Irak wirklich nur um die Sicht von Irakern und folgerichtig kommt kein US-Soldat direkt ins Bild oder überhaupt einmal zu Wort.


Bananaz
(Ceri Levy,
Panorama Dokumente)

Großbritannien 2008, Buch, Kamera: Ceri Levy, Schnitt: Seb Monk, Musik: Gorillaz, mit Damon Albarn, Jamie Hewlett, Ibrahim Ferrer, Dennis Hopper, De La Soul, Shaun Ryder, Bootie Brown, Glyn Dillon, 92 Min.
[Rezension von Thomas Vorwerk]

Der neben Neil Young von mir als am wichtigsten eingestufte Musiker, der die Berlinale besuchte, war ganz klar Damon Albarn (Blur, The Good, the Bad and the Queen), der zudem auch noch mit seinem Gorillaz-Mitstreiter Jamie Hewlett (Comic-Zeichner, der u. a. Tank Girl erfand) antreten sollte. Der Auftritt vor dem Film war aber noch weitaus wortkarger (und viel kürzer) als der vom schüchternen Neil Young, und Damon Albarns Worte “The movie is totally stoopid, and I apologize in advance” klangen zunächst noch bescheiden beifallheischend, ehe sich dann herausstellte, dass der Brite sich nicht im Understatement übte, sondern sein Urteil durchaus angemessen erschien, insbesondere in Bezug darauf, bei welchen dämlichen und teilweise peinlichen Tätigkeiten man ihn während des Films zu sehen bekommen würde.
Regisseur und Kameramann Ceri Levy ist scheinbar ein persönlicher Freund Albarns, und als dieser mal zur Jahrtausendwende erwähnte, das Gorillaz-Projekt durchzuziehen, schlug Levy vor, das Projekt zu dokumentieren, freilich ohne dabei zu ahnen, dass er in den nächsten 6 Jahren 300 Stunden Mini-DV-Material ansammeln würde, das dann Ende 2006 zum ersten Rohschnitt verkürzt worden war, ehe man erkannte, dass es noch keine DVD gibt, die 19 Stunden Material speichern kann. Somit wurde das Material also nochmal zusammengekürzt, erstaunlicherweise auf 92 Minuten (also weit unter einem Zehntel der vorherigen Version), und wie sich bei der Material-Statistik bereits andeutet, ist das Hauptproblem des Films die Beliebigkeit.
Bananaz versucht sämtliche potentiellen Zuschauergruppen zu bedienen, und verscherzt es sich dabei mit einigen. Es gibt Material für Comicfans, Animationsfreunde, Damon-Albarn-Fans, Musikfreunde, Alkoholiker, Intellektuelle mit Politikinteresse, Kindsköpfe und viele andere Gruppen, die sich leider teilweise gegenseitig ausklammern. Und so mag es den Albarn-Fan interessieren, wie dieser sich vor einem Konzert die Seele aus dem Leib kotzt, den Kindskopf, wie er seinen Hintern der Kamera entgegenstreckt, den Alkoholiker, wie er und Hewlett jeden Morgen gegen den Kater kämpfen, den Intellektuellen, wie Demon Days sich als Kommentar auf 9/11 entwickelte, oder den Musikfreund, wie Ibrahim Ferrer oder De La Soul ihre Gastauftritte bei den Gorillaz absolvieren, ein Fokus gleich welcher Art wäre aber ungleich besser und interessanter gewesen. So ist es für mich als Comicfan enttäuschend, Jamie Hewlett nur einmal (noch dazu in Zeitraffer) bei der Arbeit zu sehen, so befriedigt es den Animationsfan in mir keinesfalls, auf Leinwandformat aufgeblasene Mini-DV-Aufnahmen der Videoclips zu sehen, und als Musikfreund hätte ich gern mehr von Shaun Ryder gesehen als die Diskussion einer Leiterin eines Kinderchors, die wohl für die Intellektuellen reingeschnitten wurde. Und selbst mein nicht unerhebliches Kindskopf-Niveau wurde noch unterschritten, wenn Albarn sich auf dem Klo sitzend ablichten lässt oder damit ringt, die politisch korrekte Formulierung für Mitbürger mit dunkler Hautfarbe zu finden. Aus den 300 Stunden Material hätte man sicher 3 oder 4 vernünftige Filme machen können, so wie Bananaz jetzt am Ende aussieht, ist es mehr ein Best-of, das aber irgendwie eher abtörnend wirkt und insbesondere Zuschauern, die womöglich zuvor noch nicht von den Gorillaz gehört haben, so gut wie keine Einblicke in das Phänomen gewährt.


Shine a Light
(Martin Scorsese,
Wettbewerb außer Konkurrenz)

USA 2007, Kamera: Robert Richardson (Director of Photography), John Toll, Andrew Lesnie, Stuart Dryburgh, Robert Elswit, Emmanuel Lubezki, Ellen Kuras, Declan Quinn, Anastas Michos, Mitchell Amudsen, David Dunlap, Tony Janelli, Lukasz Jogalla, Andrew Rowlands, Robert Leacock, Chris Norr, Gerard Sava (Camera Operators), Chris Haarhoff (Steadicam Operator), Schnitt: David Tedeschi, mit Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts, Ronnie Wood, Buddy Guy, Jack White, Christina Aguilera, Martin Scorsese, Bill Clinton, 122 Min.
[Rezension von Thomas Vorwerk]

Auf 3Sat nannte Lars-Olav Beier Shine a Light “nur einen Konzertmitschnitt”, was für manchen offenbar weniger als ein Film bedeutet, ich persönlich finde aber manche “Konzertmitschnitte” durchaus sehenswert, zu den bekanntesten Beispielen dürften Woodstock, The Last Waltz oder Stop Making Sense gehören. Wenn man bedenkt, dass Martin Scorsese an zweien dieser drei Filme aktiv mitgearbeitet hat, sind die Aussichten eigentlich ganz gut, doch in gewisser Hinsicht bin ich Purist, und für mich ist ein Dokumentarfilm immer noch ein Film, der etwas dokumentiert, und nicht ein Film, der etwas inszeniert. Hier inszeniert sich Scorsese lange Zeit vor allem selbst, denn der Film beginnt mit den Vorbereitungen zu einem Konzert der Rolling Stones, das Scorsese dokumentieren soll, und für das er auch eine lange Liste von Songs “einreicht”, die er gerne gespielt sehen würde. Doch scheint es zunächst so, als gäbe es Kommunikationsprobleme zwischen der Band und ihrem Regisseur. Dies wird vom Film auf den Kampf um die Setlist zugespitzt, die für die Planung der Kamerapositionen unerlässlich ist, aber erst wenige Sekunden vor Beginn des Konzerts den Weg in Scorseses Kommandozentrale findet. Das könnte durchaus spannend sein, wenn man nicht wüsste, dass das Konzert am darauffolgenden Tag noch einmal wieder wiederholt wurde, der ganze Spannungsaufbau somit also reichlich gekünstelt, um nicht zu sagen verlogen rüberkommt.
“Verlogenheit” ist leider das Stichwort, das mir bei diesem Film als erstes in den Sinn kommt. Da erlebt man, wie Scorsese mit den Augen rollt, während die Stones Ex-Präsident Clinton und seine Neffen und andere Verwandte empfangen, als seien sie gute Bekannte (das “Hi Dorothy” eines Stones ist immerhin einer der humoristischen Höhepunkte des Films), und er als Kommentar lieber unter die Bühne verschwindet, man bekommt aber später mit, dass das ganze Konzert eine Benefiz-Veranstaltung ist (von wegen “This is rock’n’roll”), für das die “Fans” offenbar etwas mehr berappen durften. Oder aber, wie man anhand der direkt vor der Bühne entspannt mitfeiernden gutaussehenden jungen Frauen annehmen würde, extra als Staffage eingeladen und womöglich bezahlt wurden, wie man es ja vor einigen Jahren schon beim Superbowl erlebt hat. Was dann auch erklären würde, warum Mick Jagger das gute Aussehen des Publikums extra noch erwähnt. Das war in meinen Augen keine Ironie, sondern einfach peinlich. Ich war noch auf keinem Stones-Konzert (ist auch nicht geplant, insbesondere, wenn es normal ist, dass Mick Jagger seine Songs in einem unverständlichen “Steno-Stil” darbietet und aus “Pleased to meet you” sowas wie “Peetomeeto” wird), aber bei (“Rock”-)Konzerten ist es im Normalfall auch nicht so, dass direkt vor der Bühne genügend Platz ist, um große Kamerawagen vor- und zurückzubewegen. Bei den hier “dokumentierten” Konzerten wurde man nicht vom schwitzenden Mob ans Gelände gedrückt, sondern einige fröhliche Mannequins in Seidenkleidern winken den Stones semibegeistert zu, und jede von ihnen hat mehr Platz als ein durchschnittlicher Journalist im Fahrstuhl des Berlinale-Palastes. Auch ist es meines Erachtens undenkbar, dass Mick Jagger bei einem Stones-Konzert nach einem kleinen Zwischenspiel mit Keith Richards als Sänger (bösartigerweise das einzige Stück, in das dreist ein Interview hineingeschnitten wurde) einfach durch eine Tür kommt und die Konzertbesucher allesamt so gesittet sind, ihm und seinen unauffälligen paar Bodyguards sogar Platz zu machen, so dass er wie ein Boxer im Scheinwerferlicht auf die Bühne zurückkehren kann, ohne dass jemand versucht hat, eine Locke als Souvenir mitzunehmen.
Was hier “dokumentiert” wird, ist ein ganz seltsames Konzert, bei dem auch noch Gaststars wie Jack White, Buddy Guy oder irgendeine aufdringliche Blondine, die sich mir später im Abspann als Christina Aguilera offenbarte, auftreten. Regisseur Scorsese sieht es aber nicht als seine Aufgabe an, den Zuschauer über die genauen Umstände des Konzerts aufzuklären, er verschleiert lieber Details. Dass es sich um zwei Konzerte handelt, weiß man entweder aus der Berichterstattung (im Presseheft wird es nicht besonders herausgestellt), oder kann es an zwei Stellen erahnen. Einmal wird ein Song als “for the second and last time” angekündigt, und ganz am Schluss, wenn die Steadicam uns weismachen will, sie sei die subjektive Ansicht von Mick Jagger, geht man zweimal an Martin Scorsese vorbei (der Schnitt ist wohl bei einer Türöffnung versteckt), ehe dieser dann die Kamera hochsteigen lässt, ehe man über einer offenbar animierten Skyline von New York einen viel zu großen Mond sieht, der sich dann auch noch in das Band-Emblem, die Zunge verwandelt. Dies ist kein Dokumentarfilm, sondern reines Merchandise, und aus der Sicht eines Beatles-Fans, der aber immerhin auch drei Stones-Platten in seiner Sammlung hat, nicht einmal besonders berauschend.
Halbwegs interessant sind noch die zwischendurch gezeigten Interview-Schnipsel, die die gesamte Karriere der Band umspannen, sich enttäuschenderweise aber häufig nur um die (beim ersten Mal noch witzige) Selbsteinschätzung der Mitglieder drehen, wie lange die Band wohl bestehen wird. Inzwischen weiß man: Die Stones sind nicht totzukriegen. Selbst wenn Mick und Keith verfrüht ins Gras beißen würden, könnte man noch mit Jack White und Johnny Depp weiterrocken. Ein grausiger Gedanke.


Patti Smith: Dream of Life
(Steven Sebring, Panorama Dokumente)

USA 2008, Buch: Steven Sebring, Kamera: Phillip Hunt, Steven Sebring, Schnitt: Angelo Corrao, Lin Polito, mit Patti Smith, Lenny Kaye, Oliver Ray, Tony Shanahan, Jay Dee Daugherty, Jackson Smith, Jesse Smith, Tom Verlaine, Sam Shephard, Philip Glass, Benjamin Smoke, Flea, 109 Min.
[Rezension von Thomas Vorwerk]

Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich gleich vorwegschicken, dass ich diesen Film nicht zuende geschaut habe, mir aber dennoch erlaube, mein Urteil zu den ersten 25 Minuten oder so abzugeben.
Für einen Zeitraum von über einem Jahrzehnt hat der Modefotograf Steven Sebring die Erlaubnis erhalten, Patti Smith zu filmen, und dieser Film ist das Ergebnis. Ich betrat das Kino unter der Annahme, dass es sich um die Dokumentation ihres Lebens, um einen Film mit viel Musik handeln würde, doch wie sich schnell herausstellte, ging es vor allem um den Menschen Patti Smith (u. a. Dichterin, Aktivistin) und einen Fotografen, der erstmals einen Film dreht. Ich kenne die Fotoarbeiten Sebrings nicht, doch anhand des Films kann man sich ein ganz gutes Bild machen, wie seine Fotos wohl aussehen. Viele der Kameraeinstellungen wären in ihrer Komposition, in ihrem schlichten Schwarzweiß, wahrscheinlich reizvoll als Fotos, womöglich könnte man eine Ähnlichkeit zu den (Foto-)Arbeiten von Anton Corbijn entdecken, wenn dieser mir auch einfallsreicher erscheint. Der Patti Smith-Film hat zwar auch einige bewegte Bilder (Stadtaufnahmen wie bei Jim Jarmusch abgeschaut, grobkörnige Zeitlupeaufnahmen von Pferden, die natürlich schnell den Bezug zu Smiths bekanntester Platte herstellen, aber in der Art ihrer Aufnahme auch nicht unbedingt etwas neues sind), zeigt aber vor allem (zumindest in den ersten 25 Minuten) Patti Smith in einem unbemerkenswerten Zimmer, während sie aus ihrem Leben erzählt. Hört sich immer noch spannend an? Nein, so unspannend, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Da ich einen zum frühzeitigen Verlassen des Kinos ungünstigen Platz gewählt hatte, schaute ich mir das Ganze länger an, als mir lieb war, aber als Frau Smith das Kleid einer etwa Sechsjährigen hochhielt und sagte “This was my favourite dress, when I was a little girl”, hielt es mich nicht mehr im Sitz.
Zeit meines Lebens liebe ich die Anekdote von der Pressevorführung vom Texas Chainsaw Massacre in Cannes, wo hintereinander zwei Kritiker das Kino mit dem Ruf “Faschistenschwein” verlassen haben sollen, doch beim Verlassen des Kinos wäre mir ums Verrecken nichts eingefallen, was mein Desinteresse an dem Film in Worte hätte fassen können.


Coming soon im nächsten Cinemania:
Rezensionen zu asiatischen Berlinale-Filme wie Arumdabda (Beautiful), Bam gua nat (Nacht und Tag), Man jeu (Sparrow), Megane, Om shanti om ...