Grace is Gone
(R: James C. Strouse)
USA 2007, Buch: James C. Strouse, mit John Cusack (Stanley Philipps), Shélan O'Keefe (Heidi Phillips), Gracie Bednarczyk (Dawn Phillips), Alessandro Nivola (John Phillips), Zachary Gray (Boy at Pool), Marisa Tomei (Woman at Pool), Dana Lynne Gilhooley (Grace Phillips), Katie Honaker (Voice of Grace Phillips), Emily Churchill (First Woman), Rebecca Spence (Second Woman), Jennifer Tyler (Third Woman), Susan Messing (Fourth Woman), Doug Dearth (Captain Riggs), Doug James (Chaplain Johnson), Penny Slusher (Ear Piercer), 85 Min., Kinostart: 28. August 2008
James C. Strouse hatte vor seinem Regiedebüt das Drehbuch zu Steve Buscemis Lonesome Jim (mit Casey Affleck und Liv Tyler) geschrieben, ein Achtungserfolg in Sundance und hierzulande nur auf DVD erhältlich. Beide Filme erzählen sehr kleine Geschichten, nehmen sich Zeit für die Fuguren und kleine Details, doch wo Lonesome Jim das Portrait eines (freiwilligen) Losers war, ein Stoff ohne das geringste Kassenpotential, da hat sich Strouse für sein Regiedebüt eine Geschichte ersonnen, die sowohl ohne logistische Spagate zu realisieren ist, die aber gleichsam das Publikum universell anspricht, über die klar amerikanischen Ansätze, die auch die ersten Regiearbeiten seines Kollegen Paul Haggis auszeichneten, hinaus.
Stanley Phillips (Joan Cusack) wollte mal sein Land verteidigen, darf aber nur im Baumarkt die Truppen der Verkäufer anführen. Seine Frau Grace zog dafür in den Irak, und wie der Titel es vorwegnimmt, wird sie nicht zurückkehren. Der Film schildert nicht mehr (und nicht weniger), als wie Stanley die schlechte Neuigkeit seinen zwei Töchtern beibringt, wovon er sichtlich überfordert ist. Während man die kleine Familie kennenlernt (noch bevor Stanley Besuch vom “Casualties Assistance Officer” bekommt), lernt man über kleine Details von der schwierigen Situation. Nachrichtensendungen sind verpönt, die jüngere Tochter führt eine stille Kommunikation mit ihrer Mutter fort, wenn sie jeden Tag zur selben Zeit an diese denkt (und die Mutter natürlich, so noch am Leben, an sie). Bevor Stanley überhaupt eine Chance hat, sich und die Mädchen auf irgendetwas vorzubereiten, hat schon eine übereifrige Nachbarin eine Kasserole zum Trost vor die Tür gestellt, indirekt natürlich auch ein Kommentar zu Stanleys Rolle als Hausmann. Und so setzt sich Stanleys Verweigerung gegen die Nachricht vom Tod seiner Frau über den offiziellen Besuch der Regierungsangehörigen fort, “don’t eat that” weist er barsch seine dadurch verwirrten Töchter an, er will den Zeitpunkt der Nachricht, und die Form des Trostes selbst wählen.Und dafür nimmt sich der Film Zeit, denn Stanley will die Mädchen zunächst einmal verwöhnen, man fährt zu einem weit entfernten Vergnügungspark, unterwegs versucht er einerseits, seinen Gemütszustand vor den Kindern zu verbergen, und andererseits, diese glücklich zu machen, mit kleinen Dingen wie Ohrlochstechen, einem physischen Detail zur unumgänglichen Prozedur des vor allem psychischen Coming-of-Age, das durch den Tod der Mutter gewaltsam vorwärts getrieben wird.
Grace is Gone ist ein ungemein optimistischer Film, nach dessen Sichtung ich überlegt habe, ob dies nicht der erste “Erwachsenenfilm” sein könnte, in den ich meine zehnjährige Nichte schleppen könnte. Natürlich ist der Tod eines Elternteils eine sehr traurige Sache, aber wie Stanley trotz seiner Ohnmacht versucht, unter stärkstem Druck sozusagen ärztlich verordneten Spaß zu verbreiten, das ist so lebensbejahend, und so ergreifend anzuschauen, dass es den allgegenwärtigen (aber elliptisch ausgesparten) Tod zwar nicht vergessen lassen, aber fast wieder aufwiegen kann. Und es zeichnet den Regisseur und Autor aus, wie er dies mit kleinen Details vorantreibt (auch wenn die Momente am Schluss ein wenig zu sehr einer herkömmlichen Hollywood-Dramaturgie entsprechen). So etwa der Moment, wenn Stanley seine älteste Tochter beim Rauchen erwischt, er es sich nicht nehmen lässt, ihre erste Zigarette mit ihr zu teilen, und er dabei eine Show abzieht, die die beiden zusammenketten wird, unabhängig davon, ob die Tochter ihn (wie der Zuschauer) durchschaut oder nicht. Die Bindung, die hier zwischen den zuvor allenfalls “miteinander auskommenden” Familienmitgliedern geschaffen wird, lässt einen fast neidisch werden, und somit ist Grace is Gone ein Familienfilm, der die Grenzen des Genres sprengt.