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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




2. November 2008
Guido Rohm
für satt.org


Elektrische Schatten


  A Hole in my Heart
A Hole in my Heart
Originaltitel: Ett Hål i mitt hjärta
Schweden 2004

Länge: 94 Minuten (Pal)
Studio: Legend Films
Regie: Lukas Moodysson
Darsteller: Thorsten Flinck, Sanna Bråding, Goran Marjanovic u.a.
Format: 1 : 1,77 (16 : 9)
TonDD 5.1 Deutsch, Schwedisch
Untertitel: Deutsch
Extras: Featurette "A Hole in my second Heart", Trailer
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Brief an den Ausschuss zur Verhinderung unmoralischer Kunstwerke

Meine werten Damen und Herren, wobei ich die Herren hier hervorheben möchte und muss, gehe ich doch einmal davon aus, selbstredend und selbstverständlich, dass sich in Ihrem Ausschuss mehr männliche denn weibliche Mitglieder befinden, ich, Bürger dieses Landes, Familienvater und aufmerksamer Beobachter unserer gesellschaftlichen Verrohung, möchte und muss sie auf ein mehr als schändlich-schäbiges Machwerk eines gewissen Lukas Moodysson aufmerksam machen, um so einer Infiltration unserer eh schon merklich geschwächten Jugendgemüter durch mehr als kranke Machwerke so genannter Künstler vorzubauen. Genannter Moodysson drehte einen „Film“ mit dem Titel „A hole in my heart“, dessen Besichtigung ich vornehmen musste, nachdem ich eine Ausgabe dieses Schunds im Schrank meines Sohnes Torben fand, eines an sich guten Jungen, ausgestattet mit einer empfindsamen Seele, die durch solchen Dreck nur in Mitleidenschaft gezogen werden kann, zumal Torben in der letzten Zeit den unverständlichen Wunsch äußerte, Künstler zu werden. Man konnte meinen Aufschrei, da bin ich mir sicher, weithin hören, sah ich doch all meine langjährigen erzieherischen Methoden in Zweifel gezogen. Nichtsdestotrotz: ein paar handfeste Argumente werden dem Burschen schon wieder auf den rechten Weg zurückführen. „A hole in my heart“, dieses pornografische Filmchen, habe ich natürlich entsorgt. Torben schielte mich zwar mit einer sauertöpfischen Miene an, aber das half alles nichts, erklärte ich ihm doch dann, das wir, als hart arbeitende Mitglieder dieser Gesellschaft, uns nicht mit solchem Unrat beschäftigen sollten.

Nun aber zu dem Film. Wir bekommen so genannte „Underdogs“ vorgeführt, Asoziale, die, arbeitsscheu und bar jeder intellektuellen Regung, in einer Sozialwohnung hausen. Die Namen der Personen habe ich mir erst gar nicht gemerkt, wozu sollte ich sie mir auch merken, da käme ich doch nur in die Verlegenheit, sie wieder vergessen zu müssen. Vater und Sohn sind es, dann noch ein Freund des Vaters und ein mehr als billiges Flittchen. Den schon destabilisierten Sohn außen vor lassend, drehen die anderen Subjekte einen Pornofilm. Mein Sohn, unwissend in der Betrachtung und Beurteilung von Filmen, versuchte mir zu erklären, dass wir diesen Pornodreh nicht vordergründig betrachten dürften, sondern als das, was er ist: eine Fluchtmöglichkeit.

„Fluchtmöglichkeit“, schrie ich auf. „Was für eine Fluchtmöglichkeit?“

Sex werde uns hier als Option aufgezeigt. Sex als Ware. Sex als Versuch, dem Körper und dem Alltag zu entfliehen, Sex als Gewalt. „Die haben einfach nichts mehr. Die haben nur ihre Körper. Darauf sind sie reduziert. Also versuchen sie aus diesem letzten Reservat zu schöpfen.“, erklärte mir das Bürschchen. Sie können sich mein Entsetzen vorstellen, als ich mir derlei Unsinn von meinem ureigensten Sohn anhören musste. „Die sollen arbeiten gehen“, brüllte ich. Da kann einem schon mal die Galle überlaufen. Warum, so frage ich Sie, gehe ich denn seit dreißig Jahren als Berufsschullehrer einer Tätigkeit nach, wenn ich es auch sehr viel einfacher hätte haben können. Ich hätte ja auch einfach zu Hause vergammeln können, hätte Pornofilme gedreht, während die arbeitende Schicht mir diesen Lebensstil finanziert. Aber das habe ich selbstverständlich nicht getan. Und warum habe ich das nicht getan? Weil ich Niveau habe. Ja. Das ist es. Das unterscheidet uns von den gemeinen Subjekten, die sich an den Bahnhöfen herumtreiben.

Aber nun, ich muß mich da immer wieder mal bremsen, weiter mit dem Film. Diese Asozialen nun drehen also Pornos. Die Gewalt zwischen den Beteiligten nimmt zu. Das ist wohl nichts Neues. Einschlägige Magazine im Fernsehen führen uns solche Familien ja immer wieder vor. Wenn man mich darauf anspricht, warum ich mir so etwas überhaupt ansehen würde, erwidere ich immer mit einem lauten Lachen: „Das ist wie im Zoo. Ich schau mir halt die Tiere an.“ Die meisten, denen ich das so erkläre, verstehen mich, nicken eilfertig mit ihren Köpfen.

Meine werten Damen und Herren des Ausschusses zur Bekämpfung kranker Kunst, da ich mich noch nicht darüber informiert habe, wie die genaue Bezeichnung für Ihren Ausschuss ist und wo sie ihren Sitz haben, hoffe ich, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich Sie untertänigst auf die genannten Arten anspreche, ist es mir doch ein dringendes Bedürfnis, meine Gedanken auf dieses Papier zu bannen, so dass ich nicht warten kann, bis ich die richtige Bezeichnung Ihrer Einrichtung beigeschleppt habe. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es eine solche Institution überhaupt gibt, aber sollte es sie nicht geben, dann muss man, ich wiederhole, muss man sie auf jeden Fall sofort gründen, um so endlich dem Schmutz der modernen Kultur ein Schnippchen zu schlagen, um so endlich all die kranken Hirne in Gewahrsam zu nehmen, die allmählich die Seelen unserer Kinder vergiften. Wenn man mich wegen einer solch gesunden Einstellung als Konservativen schimpft, dann kann ich nur sagen: Recht so. Ich bin ein Konservativer und stolz darauf. Aber ich möchte wieder zum Beschwerdegrund zurückkehren. In diesem Film nun, der perverse Praktiken vor unsere Augen führt, kommt es zu Übergriffen von Vater und Freund an dem jugendlichen Ding, das ob der Übergriffe empört rasch das Weite sucht. Einkaufen geht sie. Was sollte sie sonst tun. Mehr kennt die Jugend ja nicht. Nur den schnöden Konsum.

„Konsum, das wäre ein gutes Stichwort“, rief das Söhnchen in diesem Moment. Ob mir denn nicht aufgefallen sei, dass alle Produktnamen unkenntlich gemacht worden wären. Der Filmemacher würde unseren Blick ganz auf die Personen fokussieren.

Der Bursche kann schon ziemlich nerven.

„Die Bilder sitzen alle in unseren Köpfen. Wir bringen Erwartungshaltungen mit rein, wir sind die Konsumenten des Schäbigen und Abscheulichen. Wir sind die Macher.“ Solche Worte haucht mir der Torben in den Mund. Ich glaube, trinken tut er auch noch.

Ein Krieg käme denen schon mal bei, sage ich immer wieder. Oder ab zum Arbeitsdienst. Dann vergehen den schon die irren Gedanken.

Und was macht das Flittchen? Statt sich von der Sozialwohnung, von all diesen schrägen und kranken Vögeln fern zu halten, kehrt sie in den Schoß des Schmutzes und der Verderbnis zurück. Was soll man da noch sagen. Sie wollen es so. Aber muss ich mir deshalb einen solchen Film ansehen. Ich bin ja nun wirklich nicht verklemmt. Nichts da. Hatte immer ein erfülltes Sexleben, tat es gern und viel. Und obwohl das hier nichts zu suchen hat, muss ich trotzdem einmal geschrieben haben, damit nicht irgendwelchen falschen Verdächtigungen mein Heim überschatten.

Das Flittchen hat Einkäufe beigebracht. Und so sitzen sie fett und wohlgenährt da und saufen und fressen. Es könnte einem schlecht werden, und es wurde mir schlecht.

Dies alles propagiert der Film. Mehr kommt darin nicht vor an Handlung. Man suhlt sich im Dreck, wackelt mit den verschmutzten Hinterteilen durch das Bild, kopuliert auf die unanständigsten Arten und Weisen, ergeht sich im Alkohol, filmt sich bei all dem und hofft auf eine Zukunft, die ihr Ende schon bei der Geburt dieser Kreaturen fand.

Mein ungeratenes Söhnchen Torben widerspricht mir natürlich in allem. Er lobt die verwackelte Handkamera, die das ganze dokumentarisch einfangen würde, die schlechten Tonspuren. Es gebe doch immer wieder Einschübe, die die Persönlichkeiten dieser Wesen aufbrechen würden. Der Film wäre eine Art anthropologische Studie. Da hatte er dann aber eine. Schick den Balg doch nicht auf eine teure Schule, damit er dann Pornofilme verteidigt. Aber er konnte gar nicht aufhören, und das trotz meiner beharrlichen Drohungen. Er würde sich von mir den Mund nicht verbieten lassen. Natürlich sei der Film schrecklich, rief Torben, aber er sei schrecklich in seiner Offenheit, in seiner artifiziellen Bearbeitung der Trostlosigkeit. Es sei ein Film über den Konsum. Da hätten Sie aber mal sehen müssen, meine werten Damen und Herren vom Ausschuss zur Verringerung von Scheiße. Das kommt bei all dem raus. Sie steigen uns auf die Köpfe und rebellieren, diese Tiere. Natürlich liebe ich meinen Sohn. Aber ich liebe ihn als anständigen Bürger und Katholiken, nicht als dieses Ferkel, das mir nun erklärt, mir fehle der Verstand, um mich genügend in ein solches Werk einzuarbeiten. Da kann einem schon mal die Hutschnur platzen. Hüte trage ich aber übrigens keine.

Kann denn da einer noch die Welt verstehen, wenn die Söhne einem auf den Kopf steigen und drauf los hauen. Was habe ich dem Torben denn getan? Und jetzt kommt er mir auf die ganz Unverschämte. Aber sein Übermütchen werde ich schon noch kühlen. Meine Hand liegt bereit, so viel sollten Sie wissen, meine Damen und Herren vom Ausschuss aus Dingsda.

Zugegeben. Ich klinge nun auch etwas verwirrt. Aber das zeigt nur, dass Sie nun endlich eingreifen müssen.

Der Sohn in dem Film, der verklebt sich zum Schluss die Augen. Richtig so. Den Schmutz wollen wir uns nicht mehr ansehen. Sprechen tut der eh nie viel, der Sohn in dem Film. Ganz im Gegensatz zu meinem. Der bekommt das Maul gar nicht mehr zu. Mehr solche Filme bräuchten wir, ruft er. Pah. Mehr solchen Schweinekram? Die Welt wird untergehen.

Ja, mehr solche Filme, verlangt der Torben. Diese Filme polarisieren. Die regen uns an zum Denken. Diskussionen würde ein solcher Film anstoßen, sagt der Torben. Da musste ich ihm leider noch eine geben. Denn so geht das einfach nicht.

Ich muss nun aber zum Ende meiner Beschwerde kommen, nicht, weil mir die Argumente ausgehen, sondern weil der Torben wieder mal Nasenbluten hat. Da will und muss ich mich als Vater natürlich drum kümmern. Das Nasenbluten hat er schon seit vielen Jahren, der Torben. Ich sag immer, das kommt von seiner vielen Nachdenkerei. Die schadet dem Kopf und der Nase. Wobei ich nichts gegen das Nachdenken gesagt haben will, aber man sollte schon auf die richtige Weise nachdenken, das Hirn also so einsetzen, wie es unserem Herrn Jesus Christus wohl am genehmsten erscheinen würde.

So, meine Damen und Herren vom Ausschuss zur Verteidigung meiner Gedanken, nun werden Sie ja genug gehört haben, um sofort tätig zu werden und gegen diesen Film einzuschreiten, der sogar meinem geliebten Sohn Torben die Nase blutig schlägt. Ich bin mir sicher, dass dieser Unrat bald nicht mehr erhältlich sein wird und sage schon einmal Dank im Namen aller Eltern in diesem Land, die es noch Ernst mit ihrer Erziehung meinen.