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Fotos © Copyright EFTI_Hoyte van Hoytema
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So finster die Nacht
(R: Tomas Alfredson)
Schweden 2008, Originaltitel: Låt den rätte komma in, Buch: John Ajvide Lindqvist, Lit. Vorlage: John Ajvide Lindqvist, Kamera: Hoyte van Hoytema, Schnitt: Dino Jonsäter, Tomas Alfredson, Musik: Johan Söderqvist, mit Kåre Hedebrant (Oskar), Lina Leandersson (Eli), Per Ragnar (Håkan), Henrik Dahl (Erik), Karin Bergquist (Yvonne), Peter Carlberg (Lacke), Ika Nord (Virginia), Mikael Rahm (Jocke), Karl-Robert Lindgren (Gösta), Anders T. Peedu (Morgan), Pale Olofsson (Larry), 114 Min., Kinostart: 23. Dezember 2008
In den Vereinigten Staaten entwickelt sich Twilight zum erfolgreichsten Horrorfilm aller Zeiten, und die Frage, die sich bei diesem Superlativ aufdrängt, ist: Was definiert eigentlich einen Horrorfilm? Denn jeder Teil der Harry-Potter-Serie dürfte erfolgreicher gewesen sein. Und vor allem gruseliger. Doch hier soll es nicht um Twilight gehen, sondern um einen richtigen Horrorfilm, der sich rein zufällig auch um eine Liebesgeschichte zwischen Minderjährigen handelt, bei denen eine Hälfte (hier die weibliche) eigentlich nicht mehr minderjährig ist, weil Vampire zwar (übrigens in beiden Filmen) ihr Alter gern entsprechend ihrem Erscheinungsbild angeben (hier zwölf), dieses Alter aber oft “schon eine ganze Weile” innehaben.
Bei einer kurzen Inhaltsangabe von Låt den rätte komma in könnte man auf die Idee kommen, es handele sich um einen Kinderfilm, doch ähnlich wie bei Terry Gilliams Tideland oder Guillermo del Toros El Laberinto del Fauno sollte man nicht anhand des Alters der Protagonisten auf die angemessene Jugendfreigabe schließen. Die beiden Hauptfiguren mögen fünf Jahre jünger als in Twilight sein, was sich ihnen an Gewaltdarstellungen (und sogar sexuell motivierten Handlungen) gegenüberstellt, ist um einiges “erwachsener”, aber vor allem auch durchdachter, erschreckender, und den Zuschauer herausfordernd. Spätestens, wenn man das Filmplakat sieht, kommt man auch nicht mehr auf die Idee, mit der zwölfjährigen Tochter in den Film zu gehen (der man aber auch Twilight irgendwie ausreden sollte).
Auch hier basiert der Film auf einem (eher nationalen als “Welt-”)Bestseller, in dem Autor John Ajvide Lindqvist seine eigene Jugend in Blackeberg, einem Stockholmer Vorort, einbrachte. So spielt der Film in den 1980er Jahren und wirkt in seiner Darstellung der verschneiten Plattenbauten, in denen sozial schwache Menschen zwischen Job und Kneipe vor sich hin vegetieren, fast wie eine Millieustudie. Der 12jährige Oskar (Kåre Hedebrant) lebt schon länger hier, wird von einigen Bullies drangsaliert und übt sich in Rachegedanken. Vom blassblonden Erscheinungsbild wirkt er ein wenig wie die albinomäßigen Vampire in Twilight, doch man darf nicht vergessen, dass es hier um Teile von Skandinavien geht, in denen die Sonne nur selten scheint, und somit sieht Oskar eigentlich ganz “normal” aus, wenn er auch unter den Begleiterscheinungen seines Lebens leidet (die Eltern sind geschieden), und er erst aufzublühen beginnt, als er die gleichaltrige Eli (Lina Leandersson) kennenlernt. Dass mit Eli irgendetwas anders ist, ist schnell offensichtlich, und sie macht schon beim ersten zufälligen Treffen klar “Wir können keine Freunde werden”.
Verstörender als Eli wirkt zunächst die Person, die man für ihren Vater halten könnte. Denn der etwas linkische Mann macht sich sehr schnell daran, im nahen Wald einen Knaben zu überfallen und ihn ausbluten zu lassen. Dummerweise stellt er sich dabei nicht sehr geschickt an, und durch einige Passanten (und deren irgendwie auch bedrohlich wirkenden Königspudel Rikki) wird zwar nicht die Tat verhindert, aber die Blutsammlung. Und so muss Eli, deren Magen schnell zu knurren beginnt, sich selbst um ihr aus Blut bestehendes Abendbrot kümmern. Ihr Opfer ist dabei ausgerechnet der in Kneipenkreisen bekannte Jocke, dessen bester Kumpel Lacke durch einen Augenzeugen von den seltsamen Vorgängen erfährt und Rache schwört. Was zusammen mit Lackes Freundin Virginia eine weitere Nebenhandlung eröffnet, die dem Zuschauer später noch einige Details über das Vampirdasein offenbaren wird, die weitaus einfallsreicher wirken als alles, was man in Twilight so zu sehen bekommt. Und auch unterhaltsamer.
Låt den rätte komma in ist nicht die größte Erfindung seit Knäckebrot, aber ein stimmiger Genrefilm mit vielen interessanten Ideen, der das Thema, dass in Twilight ohne wirkliche Konsequenzen einfach wie bei einer Fernsehserie auf mehrere Folgen verteilt wird, bis zum Ende (und darüber hinaus) durchdenkt, und uns die wahren Probleme einer Beziehung zwischen Mensch und Vampir vor Augen führt, anstatt sich in romantischen Kleinmädchenträumen zu verlieren. Hier sind Vampire keine edlen Heldentypen, sondern riechen auch mal muffig und leiden unter ihrer Zurückgezogenheit statt in Wohngemeinschaften eine “glückliche Familie” zu finden, die sich “vegetarisch” ernährt. Wäre das Thema von Twilight Alkoholismus statt Vampirismus, wäre der Film eine anderthalbstündige Reklame für ein Alkopop, mit glücklichen Teenagern, die natürlich von Erwachsenen gespielt werden, und die jederzeit “mit Verantwortung genießen”. Låt den rätte komma in hingegen zeigt sozusagen die Gefahren, die Ausnüchterungszellen, die Unfälle bei “Joyrides”, die Penner mit dem billigen Fusel und das ganze Elend, das in einem Werbefilm natürlich nichts zu suchen hat. Und dafür kann man diesen Film lieben, doch man muss wahrscheinlich schon über 16 sein, um die Vorzüge als solche zu erkennen. Und abschließend noch ein besonderes Lob für den Mut der Verleihfirma, den Film am 23. Dezember, als Alternativprogramm zum Weihnachtsgeschmuse, herauszubringen. Ich persönlich begreife ihn aber eher als Alternativprogramm zu Twilight, der sich aus meiner Top Ten der schlechtesten Filme 2009 nur schwer herausdrücken lassen wird.