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25. März 2009
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Vorstadtkrokodile (R: Christian Ditter)
Vorstadtkrokodile (R: Christian Ditter)
Vorstadtkrokodile (R: Christian Ditter)
Bilder © 2009 Constantin Film Verleih GmbH
Vorstadtkrokodile (R: Christian Ditter)
Vorstadtkrokodile (R: Christian Ditter)
Vorstadtkrokodile (R: Christian Ditter)
Vorstadtkrokodile (R: Christian Ditter)
Vorstadtkrokodile (R: Christian Ditter)


Vorstadtkrokodile
(R: Christian Ditter)

Deutschland 2009, Buch: Christian Ditter, Martin Ritzenhoff, Lit. Vorlage: Max von der Grün, Kamera: Christian Rein, Schnitt: Ueli Christen, Casting: Daniela Tolkien, Production Design: Eva Stiebler, mit Nick Romeo Reimann (Hannes), Fabian Halbig (Kai), Manuel Steitz (Olli), Leonie Tepe (Maria), Axel Stein (Kevin), Jacob Matschenz (Dennis), Oktay Özdemir (Achmed), Nora Tschirner (Hannes' Mutter), Smudo (Kais Vater), Maria Schrader (Kais Mutter), Martin Semmelrogge (Minigolfplatzbesitzer), Ralf Richter (Polizist), David Hürten (Frank), Javidan Imani (Jorgo), Nicolas Schinseck (Elvis), Robin Walter (Peter), Kinostart: 26. März 2009

1977, als ich zehn war und somit exakt das Zielpublikum, lief Vorstadtkrokodile als Zweiteiler im Fernsehen, und ich habe die zwei Teile inklusive der Wiederholungen in Folgejahren sicher je drei- bis viermal gesehen, allerdings zuletzt wahrscheinlich vor mehr als zwanzig Jahren. Christian Ditter, der schon bei Französisch für Anfänger bewies, dass er für das Übertragen von Filmstoffen aus der Zeit um 1980 (gemeint ist hier La Boum) in moderne und jugendtaugliche Filme ein glückliches Händchen hat, nahm sich nun des Stoffs an, und es fällt zunächst einmal auf, dass relativ wenig geändert wurde.

Es scheint nämlich so, als sei der Film ganz konkret so konzipiert, dass er die Kinder von heute, auf Die wilden Kerle und ähnliches versessen und konditioniert, zusammen mit ihren Eltern, die noch den alten Film über die Vorstadtkrokodile kennen (oder sogar das Buch), ins Kino locken soll. Das funktioniert wie folgt: Bei der Besetzung der Kinder setzt man auf den Wiedererkennungswert bei den Jüngsten. So kennen diese Nick Romeo Reimann (spielt den Hannes) wahrscheinlich aus Die wilden Kerle 3-5, Fabian Halbig (Kai) könnte manchem als Drummer der Killerpilze bekannt sein oder Manuel Steitz (Olli) unter Umständen aus Herr Bello und Der Räuber Hotzenplotz. Bei den Darstellern der Erwachsenen hat man neben bei jung und alt bekannten Gesichtern wie Axel Stein, Smudo oder Nora Tschirner immerhin Martin Semmelrogge erneut verpflichten können. Der spielte damals den vom Weg abgekommenen älteren Bruder eines der Vorstadtkrokodile (diesmal hat diese Rolle Jacob Matschenz), und diesmal spielt er den "Minigolfplatzbesitzer", den 1977 noch Semmelrogge Senior, also Willy, spielte. Damit ist ja bereits die Verbindung zum Original gegeben, wie das in immens vielen Remakes gemacht wird (Beispiele: Scorseses Cape Fear mit Peck, Mitchum und Balsam, Burtons Planet of the Apes mit Heston etc.).

Aber es geht noch weiter, denn der Film gibt sich auch viel Mühe, gleichzeitig den Kindern ihre Welt vorzuführen, und den Eltern nicht wenig an Nostalgie zu bieten. Die Welt des Films wirkt stark wie in den 1970ern, durch kleine Details wird das Kindern aber kaum auffallen. So ist schon der Vorspann mit dem Einsatz von Graffiti der heutigen Jugendästhetik (oder was man den Kids dafür verkauft) nachempfunden. Es gibt sehr wohl auch Handys, Zwistrigkeiten unter Geschwistern werden mit üblichen Drohungen wie "oder ich sag' Papa, dass Du heimlich Internet surfst" geführt, und sogar die investigativen Abenteuer der Kinder werden von ihnen selbst als "voll CSI-mäßig" beschrieben, also durchaus einige Hinweise darauf, dass der Film nicht in den 1970ern spielt, was man aufgrund des 1:1 übernommenen Look der Locations annehmen könnte. Aber abgesehen vom "Sprinter" der Diebe und etwas "Playmobil" (mit dem ja auch schon die Eltern gespielt haben dürften) wird hier das Product Placement von Markenklamotten auffällig runtergefahren (wenn man nicht gerade mal mit einem Buch zum Film Die Welle die Produkte der eigenen Firma unterstützt, dabei aber auch die Taktik der Generationsverbrüderung forttreibt). Stattdessen tragen die Kinder klar nostalgisch gefärbte T-Shirts mit Aufdrucken wie "Welthölzer" oder "Felix the Cat" (kennt doch heute ganz sicher kein Kind mehr), und einer der Knaben mit Spitznamen "Elvis" ist offenbar ein HiFi-Enthusiast (sein Kopfhörer wirkte für mich sehr anachronistisch), der sich gut bei Pink Floyd und den Beatles auskennt (gibt es solche Kinder???) - aber beim Soundtrack nutzt man lieber verhalten modernes Liedgut, aber immerhin ohne Cover-Version des damaligen Gassenhauers aus dem Film (heute nicht mehr zeitgemäß).

Wo dann aber doch etwas Modernität einfließt, ist etwa bei den Spezialeffekten. Die Sprengung der baufälligen Ziegelei wurde damals wahrscheinlich noch 1:1 als wirkliche Sprengung inszeniert (es ist lange her, vielleicht hat man mich als Kind auch noch übertölpeln können, aber ich habe es sehr realistisch und eindrucksvoll in Erinnerung), heutzutage fabriziert man so etwas am Computer, und da die Tricksequenz bei der Pressevorführung noch im Rohstadium war, kann ich dazu auch nichts weiter sagen. Die erste Szene des Films, wenn Hannes als Mutprobe aufs Dach der Ziegelei klettert und durch einen Anruf des querschnittsgelähmten Kai gerettet wird (damals übrigens aus bestimmten Gründen von einem Mädchen gespielt), wirkt durch die Inszenierung bereits ein wenig reißerischer, später gibt es Sequenzen, die an Indiana Jones oder Horrorfilme erinnern (die Bedrohung wirkt ähnlich, das Resultat ist hier natürlich viel harmloser), und insbesondere eine Verfolgungsjagd durch die Stadt verkommt zu einer Witznummer (ein Rollstuhl ist kein K.I.T.T.), weil man wohl denkt, die Kinder brauchen so übertriebene Action. Dies ist ärgerlich, auch die drei Diebe hier (Axel Stein ist auf jeden Fall mitschuldig) wirken nicht annähernd so gefährlich wie damals (ich weiß, ich war noch klein und würde es heute vielleicht anders sehen), und man hat somit mehr an Oberflächlichkeiten gearbeitet als etwa an den Motivationen der Figuren, was eigentlich immer ein Verlust ist.

Dennoch kann man den Film innerhalb seiner Zielsetzung durchaus empfehlen, mich würde aber am meisten interessieren, wie Kinder beim Vergleich der zwei Filme urteilen würden (wobei das aber auch nur fair wäre, wenn nicht immer der alte Film erst im Anschluss an den neuen gesehen wird). Doch da ich weder von einem aktuellen DVD-Release gehört habe, noch man beim WDR den Film passend zum Kinostart zeigt (wie es ja bei Hollywood-Remakes und -Sequels längst die Regel ist), dürfte dies schwierig werden, wenn die alte Version nicht noch irgendwo auf einem alten VHS-Band schlummert. Und das ist jammerschade.