Achterbahn
(R: Peter Dörfler)
Deutschland 2009, Buch, Kamera: Peter Dörfler, Schnitt: Peter Dörfler, Vincent Pluss, Musik: Bernd Schultheis, mit Norbert Witte, Pia Witte, Sabrina Witte, Marcel Witte, 89 Min., Kinostart: 2. Juli 2009
Der Dokumentarfilm-Boom des letzten Jahrzehnts (den man auch sehr schön anhand der Umwälzungen im Fernsehprogramm nachvollziehen kann) hat nicht unbedingt zu einer Qualitätsverbesserung geführt. Es scheint, als hätten viele Filmemacher den Dokumentarfilm als Chance begriffen, mit einer Winzausrüstung aus unausgegorenen Ideen ebensolche Filme zu kreieren, wobei die mannigfaltigen Fördermedien von manchen Regisseuren auch als Urlaubs-Sponsoring uminterpretiert werden. Und statt mit der in Schuljahren vermittelten Herangehensweise einer Erörterung beispielsweise Pro- und Contra-Argumente abzuwägen um dann zu einem Fazit zu kommen, weiß man in vielen Fällen (sowohl als Filmemacher als auch als Zuschauer) schon vorher, zu welchem Schluss man kommt, und die Argumente und Bilddokumente (die nicht immer dokumentarisch sein müssen) unterschiedlicher Beweiskraft werden nur noch hintereinandergeknüpft wie bei einer bunten Halskette. Mit etwas Glück schön anzusehen, meistens jedoch nicht einmal das.
In solchen Zeiten ist ein Film wie Achterbahn ein Hoffnungsschimmer. Der Titel klingt angesichts des Themas belanglos, doch schon wenn gleich zu Beginn des Films die Schaustellerlegende Norbert Witte in abendlicher Zeitlupe im Wagen einer Achterbahn gezeigt wird, und man auch schon ohne Vorwissen einiges in sein Gesicht hineininterpretieren kann (aber nicht muss), hat man das Gefühl, dass der Filmemacher (Regisseur Peter Dörfler übernahm hier mit Buch, Kamera und Co-Schnitt einiges) hier immerhin die filmischen Mittel einzusetzen weiß, was heutzutage über einige Grundkenntnisse hinaus längst nicht mehr selbstverständlich ist.
Gerade das Pro und Contra wird zu einem der definierenden Kontraste dieses Films, denn zum einen gefällt sich Witte in einer Sachverhalte oft beschönigenden Selbstdarstellung, während er zum anderen aufgrund der durch ihn verschuldeten Gefängnisstrafe seines Sohns (und andere Umstände) auch sehr negativ gezeichnet wird. Und dieses Auf und Ab der Gefühle bringt nicht nur den Film in Fahrt, sondern lässt sich eben auch an seiner Hauptfigur ablesen.
Nicht plakativ, sondern sachlich schildert der Film über eine gelungene Montage von Interviews (mit Witte, seiner Frau und Tochter, aber auch frühere Kollaborateure vom Rechtsanwalt bis hin zu Rolf Eden) und aufbereitetes Archivmaterial (in Film und Bild, aber auch in Zeitungsausschnitten) das bewegte Leben eines Schaustellers, der ein kleines Imperium aufbaut, aufgrund eines spektakulären Unfalls ganz unten landet, sich aber dennoch erneut aufrafft, um abermals Erstaunliches zu vollbringen (die Inhaltsangabe ist bewusst schwammig gehalten, man soll lieber den biographischen Flickenteppich auf der Leinwand entfaltet sehen).
Achterbahn gibt dem Zuschauer zwar Möglichkeiten, nachzuhaken, schult also die kritische Rezeption, erweckt aber jederzeit den Eindruck, dass der Regisseur sich auch der fragwürdigeren Aspekte des Lebens Wittes (und somit auch indirekt des Films) jederzeit bewusst ist. Die Kamera erliegt beispielsweise einerseits den visuellen Reizen eines Peruaufenthalts, vollbringt aber den Spagat zwischen Ästhetizismus und ernüchternder Dokumentation. Eben auch filmisch ganz dem Titel des Films entsprechend, zwischen Handyvideos und durchkomponierter Breitwand.