Wendy and Lucy
(R: Kelly Reichardt)
USA 2008, Buch: Jon Raymond, Kelly Reichardt, Lit. Vorlage: Jon Raymond, Kamera: Sam Levy, Schnitt: Kelly Reichardt, mit Michelle Williams (Wendy), Walter Dalton (Security Guard), Will Oldham (Icky), Larry Fessenden (Man in Park), John Robinson (Andy), Will Patton (Mechanic), Lucy (Lucy), 80 Min., Kinostart: 22. Oktober 2009
Eine summende Frauenstimme und eine lange Kamerafahrt, bei der sich immer wieder Bäume zwischen das Objektiv und das Objekt schieben: Wendy (Michelle Williams), die ihre Hündin Lucy apportieren lässt. Schon in der ersten Einstellung demonstriert der Film von Kelly Reichardt, dass er keine komplexe, riesige Story erzählen will, aber trotzdem fesseln kann. Über Zuggeräusche in einer Schwarzblende und unscharfe Männergesichter um ein Lagerfeuer wird schnell eine Hobo-Romantik evoziiert, doch Wendy ist eine pragmatische junge Frau, die zwar ihrer Familie den Rücken zugekehrt hat, aber penibel Buch über ihre Finanzen führt. Auf dem Weg hoch nach Alaska, quer durch einige eher dünnbesiedelte Bundesstaaten Amerikas, wobei sie zunächst in Portland, Oregon, landet, wo ihr Auto, ein alter Honda, nicht mehr anspringt, und sie von einem Sicherheitsbeamten darüber informiert wird, dass sie den Wagen vom Parkplatz entfernen muss. Während eine nahe Autowerkstatt zunächst nicht geöffnet scheint, stellt sich heraus, dass auch der Hundefuttervorrat zur Neige gegangen ist, und nach der Morgentoilette im Waschraum einer Tankstelle, die Wendy bereits sehr verletzlich erschienen lässt, geht sie zum Supermarkt, leint Lucy draußen an und wird von einem übereifrigen Angestellten dabei erwischt, dass sie eine Dose Hundefutter mitgehen lassen wollte, woraufhin sie die Polizeiformalitäten inklusive einer widerspenstigen Figerabdruck-Software über sich ergehen lassen muss, und nach diversen Stunden ist Lucy verschwunden, und die Angestellten des Supermarkts offenbaren eine wenig hilfreiche Beobachtungsgabe.
Ohne soziales Netz hangelt sich Wendy an der Zivilisation entlang, einzig der ältere Sicherheitsbeamte bietet wirkliche Hilfe an, und ihre Irrwege zwischen Tankstellen-Waschraum, Tierheim, ihrem Honda und der Autowerkstatt werden auch inszenatorisch als richtungslos eingefangen.
Wendy and Lucy stammt aus dem Jahr 2008, aus der Ära George W. Bush, und auch, wenn viele Zuschauer das Ende des Films positiv auffassen, kann die Regisseurin diesen Optimismus nur schwer nachvollziehen. Vielleicht liegt es an den Reminiszenzen an den italienischen Neorealismus, wobei der Rollenname “Wendy Carroll” die “lost girls” aus Peter Pan und Alice in Wonderland in Erinnerung ruft, und man im Neorealismus abgesehen vom offensichtlichen Vorbild Ladri di biciclette auch gern märchenhafte Elemente einbaute. Doch Kelly Reichardt sieht sich mehr in der aktuellen Tradition der Dardenne-Brüder, und Michelle Williams legt hier alle Anzeichen eines Stars ab und wirkt fragil und gleichsam verhärmt, bis fast unsichtbar in ihrer Rolle, und so drängt sich schnell die bittere Einsicht auf, dass es in diesem Film gleich um zwei “lost girls” geht, um Wendy und Lucy (die gleich zu Beginn auch “come on back girl, Lou, where’d you go?” gerufen wurde), und der Film kann nur für eine von beiden ein Happy End aufbringen, mehr ist einfach nicht im Budget.