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Fotos © Paramount Pictures
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Up in the Air
(R: Jason Reitman)
USA 2009, Buch: Jason Reitman, Sheldon Turner, Lit. Vorlage: Walter Kirn, Kamera: Eric Steelberg, Schnitt: Dana E. Glauberman, Musik: Rolfe Kent, Musikberatung: Randall Poster, Rick Clark, mit George Clooney (Ryan Bingham), Vera Farmiga (Alex), Anna Kendrick (Natalie Keener), Jason Bateman (Craig Gregory), Danny McBride (Jim), Melanie Lynskey (Julie Bingham), Amy Morton (Kara), Sam Elliott (Maynard Finch), J. K. Simmons (Bob), Zach Galifianakis (Steve), Chris Lowell (Kevin), 108 Min., Kinostart: 4. Februar 2010
In Rob Reiners When Harry Met Sally (1989) wird die langwierige Freundschaft und Liebesgeschichte der Titelhelden episodisch strukturiert durch Einstellungen von Paaren, die auf zumeist gemeinsamen Sitzgelegenheiten von ihrem Kennenlernen bzw. ihrer Liebesgeschichte erzählen, wobei diese Paare (bis auf Harry und Sally selbst ganz am Schluss) mit der eigentlichen Geschichte nichts zu tun haben.
Dieses semidokumentarisch wirkende Stilmittel wurde wahrscheinlich auch schon vorher in irgendeinem (womöglich sogar nicht-dokumentarischen) Film eingesetzt, mir ist es vor allem hier und in späteren Filmen aufgefallen.
Jason Reitman nutzt dieses Mittel zu Beginn von Up in the Air (sowie auch später im Film) in einer anderen Art. Hier sieht man eine Reihe von Personen, die mit ihrer Entlassung konfrontiert werden und darauf auf unterschiedliche Art reagieren. Die meisten dieser Personen sollen dieses Schicksal sogar tatsächlich durchlitten haben, aber einige (wie Zach Galifianakis oder J. K. Simmons) sind offensichtlich Schauspieler und mit diesen interagiert George Clooney als Ryan Bingham. Bingham ist kein Firmen- oder auch nur Personalchef, er ist ein Vertreter einer Agentur, die die Entlassung (und eine eher rudimentäre Beratung für die Zeit danach) im Auftrag diverser Firmen übernimmt. Dafür muss Bingham kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten fliegen, was ihm aber durchaus gefällt (“last year I had to spend 43 miserable days at home”).
Der Titel des Films, der im Vorspann mit diversen Wolkenformationen und einigen Vogelperspektiven nebeneinandergestellt wird, bezieht sich vordergründig auf das (im Film sehr präsente) Flugzeugthema, doch für mich besteht auch eine offensichtliche Beziehung zwischen dem Verb “to fire” und der Zustandsbeschreibung “up in the air”. Auf den kleinen Mäppchen, die den Entlassenen von Bingham gereicht werden, findet sich das Wolkenthema ebenfalls wieder, und Bingham erklärt den Entlassenen gern, dass sie die Entlassung als Chance begreifen sollen - für einen Neuanfang! Was bei beispielsweise 55jährigen natürlich nur bedingt überzeugt. Das Ganze erinnert mich auch nicht wenig an die Tarotkarte “Death”, die den Sensenmann zeigt, aber generell als “Veränderung” erklärt wird, also positiv zu werten ist. Alles nur eine Frage der Perspektive. Besonders zynisch wirkt das ganze Unternehmen, wenn Ryans Chef Craig (Jason Bateman) die Weltwirtschaftskrise als “worst time for America” beschreibt, und dann fast im selben Atemzug als “our moment”, denn soviel wie momentan (oder, für die Optimisten unter uns, “vor kurzem”) wurde natürlich lange Zeit nicht entlassen.
Im bisherigen Text wurde bereits viel über das Hauptthema von Up in the Air erzählt, doch der Film ist gerade deshalb so gelungen, weil es noch um viel mehr geht. Bingham hält auch Vorträge darüber, wie man als Mensch und Berufstätiger durch allerlei “Ballast” zurückgehalten wird, während er seinen symbolischen Rucksack bzw. sein beim Check-In zeitsparendes Handgepäck möglichst gering hält. Dazu gehören auch menschliche Beziehungen, zum Beispiel zur Familie oder (in Binghams Fall) zu Frauen. Sein Liebesleben erinnert ein wenig an das von James Bond (nicht der dauertraumatisierte Daniel Craig, sondern eher Sean Connery mit sonnigem Gemüt), und die für ihn geradezu perfekte Partnerin im Film scheint Vera Farmiga als die ähnlich viele Flugmeilen zurücklegende Alex zu sein, die sich mal wie folgt beschreibt: “Think of me as you - just with a vagina!”
Als weitere weibliche Darstellerin sieht man die mit ihrer nuancierten Mimik verblüffende Newcomerin Anna Kendrick als Natalie, eine sehr junge Karrierefrau, die mithilfe von Gesprächen über Computerbildschirmen die Ausgaben der Firma minimieren will - und somit den Lebensstil von Bingham aktiv bedroht, weshalb er - halb gezwungen, halb aus eigener Motivation - der jungen Kollegin seinen Job (ohne Computer, sondern Auge in Auge mit den zu entlassenden) vorführen will.
Zwischenzeitig wirkt Clooney mit den zwei Frauen fast wie in einer Ersatzfamilie (wobei der Zögling Natalie wie eine unerfahrene Tochter der abgebrühten Profis wirkt), doch das ändert natürlich nichts an Binghams Einstellung, sich nicht mit “Ballast” seinen Aktionsraum einzuengen, doch dann kommt ihm irgendwie die Hochzeit seiner Schwester (Melanie Lynskey) in die Quere, womit wir dann fast wieder näher an When Harry met Sally wären, als uns (und Bingham) lieb ist - doch Regisseur Reitman gelingt es, seinen zu Beginn extrem hippen, funktionalen und ein wenig zynischen Film nicht durch romantischen Schnickschnack übermäßig zu verwässern.
Ein echter Geniestreich ist übrigens der Nachspann des Films, der gänzlich über die Tonspur das Thema Entlassung wirklich als “Chance” darzustellen in der Lage ist. All die Kulturbanausen, die immer nicht warten können, bis der Film wirklich zuende ist, verpassen hier etwas, dass den Tonfall des Films in nicht geringem Maße beeinflußt.
Ich will nicht so früh im Jahr schon mit Superlativen um mich schmeißen, aber meiner bescheidenen Meinung nach klar der mit Abstand beste Film mit George Clooney, den ich kenne.