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Die Eroberung der
Inneren Freiheit
(Silvia Kaiser &
Aleksandra Kumorek)
Deutschland 2009, Buch: Silvia Kaiser, Aleksandra Kumorek, Kamera: Susanne Fuchs, Marcel Reategui, Schnitt: Bettina Blickwede, Chris Valentien, Dramaturgische Beratung: Tamara Trampe, Musik: Michael Jakumeit, Klaus-D. Brennecke, Marian Lux, mit Gaston, Gordon, Kai, Rainer, Sigmund, Silvio, Stefan, Thomas, Vasile und den Gesprächsleitern Jens Peter Brune & Horst Gronke, 80/85 Min., Kinostart: 27. Mai 2010
Ich habe nichts gegen Dokumentarfilme per se, nur gegen die durchschnittliche Qualität der aus Deutschland stammenden Dokus, die - so scheint es oft - allesamt schon durch ihre bloße Existenz einen deutschen Kinostart verdient haben.
Soweit möglich, muss man da vorsortieren, und der Grundgedanke von Die Eroberung der Inneren Freiheit war auf jeden Fall vielversprechend. Schwerverbrecher der Haftanstalt Berlin-Tegel haben seit 2000 die Möglichkeit, einer sokratischen Gesprächsreihe beizuwohnen, die von den Filmemachern ein Jahr lang begleitet wurden. “Sokratische Gespräche” wurden in ihrer modernen Form vom Philosophen Leonard Nelson begründet, und laut den Gesprächsführern, die man auch im Film kennenlernt, bot sich diese Gesprächsform auch innerhalb einer Haftanstalt an, weil diese “Auszeit”, über das eigene Leben nachzudenken, “Freiräume” eröffnet. (Sokrates selbst “durfte” seinerzeit übrigens auch zeitweise im Gefängnis philosophieren.) Was natürlich aus der Sicht von Dokumentarfilmern auf der Suche nach einem Thema widersprüchlich (“Innere Freiheit” in Gefangenschaft) und somit interessant klingt. Was natürlich auch für den potentiellen Zuschauer zutrifft.
Der durch den Film gewonnene Erkenntnisgewinn ist hingegen ein sehr geringer, und da die Inszenierung sehr herkömmlich ist, wird über einige Einblicke in die Gedankengänge unterschiedlichster Gewaltverbrecher wenig geboten. Allzu sehr scheint der Film auf ein Ziel besonnen, und schnell stellt man fest, dass es bei den Strafgefangenen, die sich ja freiwillig auf die “Sokratischen Gespräche” einlassen, nicht völlig anders ist, denn über die “gute Führung” hinaus stehen in regelmäßigen Abständen psychologische Urteile ins Haus (für den unbeschlagenen Zuschauer erinnern diese in ihren unterschiedlichen Dimensionen ein wenig an Schulzeugnisse am Ende des Halb- und vollen Schuljahres), die für die eine frühzeitige Entlassung unerlässlich scheinen. Und somit verbinden wohl (vom Film unausgesprochen, aber zwischen den Bildern lesbar) gerade die Lebenslänglichen auch eine gewisse Hoffnung mit den Gesprächen. Irgendwo wird schon jemand “teilgenommen” hinschreiben.
Die Insassen lernt man während des Films unterschiedlich gut kennen. Da ist der Küchenmitarbeiter, der Francis Bacon und den Dalai Lama zitiert und offenbar regelmäßig die FAZ liest (sehr nett, wie er sich über einen Artikel über die Kantinenführung in der JVZ Tegel unterhält und diesen anhand seines Insiderwissens auseinandernimmt), während ein anderer Insasse lieber Isaac Asimov, Orson Scott Card und jede Menge L. Ron Hubbard liest. Relativ häufig weist der Film durch Außenaufnahmen auf das verstreichende Jahr der filmisch begleiteten Zeit hin, die Themen der einzelnen Gesprächssitzungen (Stücker sechs) werden mit Zwischentafeln angekündigt, und bei der mehrfachen Namensnennung der Insassen in Untertiteln wird jeweils das Vergehen und der Strafzeitraum wiederholt, was mitunter erhellend wirkt (etwa beim Kokainschmuggler, der sich als besserer Gemischtwarenhändler sieht), aber irgendwie auch einen schalen Nachgeschmack hinterlässt. Da ist es sehr viel interessanter, wenn sich die Häftlinge selbst in gutes oder schlechtes Licht setzen, und trotz der gegenläufigen Zielsetzung der Gespräche teilweise ihr Geltungsbewusstsein in den Vordergrund spielen - und dafür auch von ihren Kollegen kritisiert werden. Oder schon durch die Kleidungswahl ein eindeutiges Statement abgeben, das dann auch im Gespräch untermauert wird.
Im Grunde genommen ist das Ganze auch nicht viel anders als der “Werte und Normen”-Unterricht, dem ich in den 1980er Jahren in einem humanistischen Gymnasium beiwohnen durfte. Der war allerdings nicht freiwillig, sondern für jene Schüler, die sich vorm Religionsunterricht drücken wollten, obligatorisch. Vielleicht liegt es an diesen Erinnerungen an die eigene Schulzeit, an Nachmittagssitzungen, während draußen die Frühlingssone scheint, dass ich den Film vor allem langweilig fand. Einige vielversprechende Ansätze verlaufen im Sand, die durchaus interessante Frage, wie die Häftlinge auf die Filmemacherinnen reagiert haben, wird komplett ausgespart, alles ist zu hübsch und adrett aufbereitet (ein wenig wie ein Werbefilm für die “Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren”), mit der überdeutlichen Tendenz, den Zuschauer zum Nachdenken zu animieren. Aber meines Erachtens nur zum “Nachdenken light”.
Und wenn der seit 1983 einsitzende Raubmörder Rainer (lebenslänglich) trotz einiger überzeugenden vor der Kamera getätigten Einsichten gegen Ende des Films ein psychologisches Urteil bekommt, dass er wohl frühestens bei “deutlicher Altersschwächung” entlassen werden würde, kommt im Film fast im selben Atemzug die Feststellung, dass den “Wäschekalfaktor” in der JVA alle gut kennen, während er “draußen” ganz alleine wäre. Ein schwacher Trost, und von “innerer Freiheit” merkt man bei Rainer auch nur wenig.
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