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10. Juni 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Forgetting Dad (R: Rick Minnich)
Forgetting Dad (R: Rick Minnich)
Forgetting Dad (R: Rick Minnich)
Fotos: W-Film
Forgetting Dad (R: Rick Minnich)
Forgetting Dad (R: Rick Minnich)
Forgetting Dad (R: Rick Minnich)


Forgetting Dad
(R: Rick Minnich)

USA 2008, Co-Regie: Matt Sweetwood, Buch, Kamera, Ton, Schnitt: Rick Minnich, Matt Sweetwood, zusätzliche Kameramänner: Markus Winterbauer, Doug Hawes-Davis, Musik: Art Benjamin Meyers, deutsches Filmorchester Babelsberg, mit Rick Minnich (Richards ältester Sohn), Loretta Minnich (Richards zweite Frau), Lora Young (Richards Stieftochter), Justin Minnich (Richards zweiter Sohn), Pam Shields (Richards Schwester), Jan Emamian (Richards Tochter), Payman Emamian (Richards Schwiegershon), Anne Minnich (Richards Tochter), Karen Sutton (Richards erste Frau), Harlan Butters (Richards ehemaliger Kollege), Steve Young (Richards Stiefsohn), Larry Minnich (Richards Bruder), 84 Min., Kinostart: 3. Juni 2010

Noch so ein interessant klingender Dokumentarfilm, doch die Probleme werden schnell offenkundig: Hauptfigur des Films ist der Regisseur, der im Familienarchiv stöbert und seine Verwandten interviewt. So weit, so gut, und da es um den Vater des Regisseurs geht, der nach einem Unfall mit 44 oder 45 Jahren sein Gedächtnis verlor, durchaus angemessen. Der Einstiegssatz des Films (in Dokumentarfilmen immer häufiger) lautet: "Wenn dein Vater sich nicht mehr an dich erinnert, hört er dann auf, dein Vater zu sein?" Für meinen Geschmack eine etwas zu offensichtlich rhetorische Frage.

Das Zentrum des Films, der Vater (Richard, der Sohn nennt sich zur besseren Unterscheidung Rick), wird teilweise elliptisch ausgespart, was ebenfalls vielversprechend ist, doch dann geht es los mit weißen Wänden, leeren Räumen und Fade-Outs als überdeutlichen (und nicht besonders einfallsreichen) Visualisierungen des Vergessens, einer Psycho-Geigen-, Harfen-, Glockenspiel- und Klavier-Musik (eine Spur weniger fett hätte wirklich gutgetan), und wie ein Krimi (Zitat aus dem Presseheft) wird die Geschichte des Vaters erkundet. Zwei Frauen, ein Gerichtsprozess, viele Möglichkeiten für einen interessanten Einstieg, doch irgendwie geht es dann auf das vage Gefühl des Regisseurs hinaus, dass die gesamte Amnesie vielleicht erlogen ist, und der Familie zu entkommen. Martin Guerre bzw. Sommersby als Dokumentarfilm? Funktioniert auch nicht wirklich. Nur weil der Regisseur sagt "It is a gut feel", wird daraus noch längst kein "gutfeel movie". Oder auch nur ein guter Film.

Was das persönliche Bauchgefühl des Rezensenten, dass hier irgendwas nicht so ganz zusammenpasst (was man natürlich auch positiv werten kann ...), dann letztendlich untermauerte, war eine Art "Werbung" für die Produktionsfirma "Richfilms" im Nachspann: "Have film, will travel". Das können leider viele Dokumentarfilmer von sich behaupten (Minnich und Sweetwood stammen zwar aus den Staaten, leben aber jetzt in Berlin), die dann mit Fördergeldern nach Indien fahren, um sich einen Anzug maßschneidern zu lassen oder ähnliches. Und diese Art von Dokumentarfilm, die mehr in Richtung geförderter Urlaub oder Familientreffen auf Staatskosten gehen, stoßen mir zunehmend sauer auf. Vor allem, weil (so mein statistisch nicht abgegoltener Eindruck) insbesondere diese Filmemacher mit einem Projekt alle eins, zwei Jahre zwar ein Gespür für interessante Themen haben (die von mir aus aber auch gerne nicht immer ganz nah am Filmemacher selbst dran sein müssten), aber das filmische Gespür oft vermissen lassen. Unmengen von vorhandenem Material, größtenteils auskunftsfreudige Protagonisten (weil sie mit dem Regisseur verwandt sind), und das Resultat ist dann so kraftlos wie dieser Film.

Subjektive Kamera des Ich-Erzählers (u. a. beim nachgespielten Arztbesuch), Schlagworte ("The New Richard / The Old Richard"), die abgesprochen wirken, und nebenbei ein "investigativer Journalismus", der in Richtung 70er-Jahre-Paranoia geht, aber ebenfalls aufgesetzt (um es nett zu formulieren) wirkt ("But then I stumbled about a name I had heard before: Harlan Butters").

Der Vater Richard beendet sein "Unfall-Tagebuch" mit den Worten "I am sorry", und auch dem Rezensenten tut es leid, dass dieser zunächst so interessant wirkende Film letztendlich ... naja, diesen letzten Tiefschlag mit Steilvorlage aus dem Filmtitel muss man wohl nicht mehr ausschreiben. Schade drum.