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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




16. März 2011
Thomas Vorwerk
für satt.org


  In einer besseren Welt (Susanne Bier)
In einer besseren Welt (Susanne Bier)
In einer besseren Welt (Susanne Bier)
In einer besseren Welt (Susanne Bier)
In einer besseren Welt (Susanne Bier)
In einer besseren Welt (Susanne Bier)


In einer
besseren Welt
(Susanne Bier)

Originaltitel: Hævnen, Dänemark / Schweden 2010, Buch: Anders Thomas Jensen, Kamera: Morten Søborg, Schnitt: Pernille Bech Christensen, Morten Egholm, Musik: Johan Söderqvist, Production Design: Peter Grant, Set Decoration: Lene Ejlersen, Mathias Holmgreen, mit Markus Rygaard (Elias), William Jøhnk Juels Nielsen (Christian), Mikael Persbrandt (Anton), Trine Dyrholm (Marianne), Ulrich Thomsen (Claus), Satu Helena Mikkelinen (Hanna), Toke Lars Bjarke (Morten), Elsebeth Steentoft (Signe), Bodil Jørgensen (Rektorin), Kim Bodnia (Lars), Emil Nicolai Helms (Lars’ Sohn), Simon Maagaard Holm (Sofus), 119 Min., Kinostart: 17. März 2011

Elias (Markus Rygaard) sieht aus wie ein 12jähriger Mads Mikkelsen, aber aus irgendwelchen Gründen (sein Vater ist Schwede) nennt man ihn in der Schule dennoch »Rattenkopf« und entfernt mit peinlicher Regelmäßigkeit die Ventile seines Fahrrads. Sein neuer Freund Christian (William Jøhnk Juels Nielsen), der eine Menge aufgestauten Zorn mit sich bringt, steht ihm bei seinen Problemen mit dem Oberbully Sofus bei, wobei allerdings der Einsatz eines Messers peinliche Verhöre bei der Polizei nach sich zieht. Doch Elias und Christian halten zusammen.

Auch die pädagogischen Hinweise fruchten nicht wirklich: »Er schlägt dich, du schlägst ihn, er schlägt dich ... so beginnt Krieg!« - »Nicht, wenn man gleich richtig zurückschlägt.«

Anton (Mikael Persbrandt), der Vater von Elias, hat selbst Erfahrungen mit dem Krieg gemacht. Er pendelt zwischen dem idyllischen dänischen Dorf und einem afrikanischen Flüchtlingscamp, wo er als Arzt immer wieder die Opfer von Greueltaten retten muss und irgendwann am Sinn des hippokratischen Eids zweifelt, wenn er einen brutalen Ganganführer verarzten soll, der sich häufig einen Spaß daraus macht, bei schwangeren Frauen das Geschlecht des Kindes zu erraten - und gleich darauf »nachschaut«, was Anton im günstigsten Fall eine aufreibende Operation zur Rettung der Frau verschafft.

Wenn der Vater Anton dann zusammen mit seinen Kindern Opfer eines Bullys wird, versucht er versonnen zu reagieren und seinen Kindern das Problem zu erklären: »Er ist ein Idiot. Wenn ich ihn schlage, bin ich auch ein Idiot. Wenn alle jeden verprügeln, was wäre das für eine Welt?« Doch Elias und Christian verstehen das nicht, ihre Erfahrung mit Sofus zeigte doch, wie einfach man sich an den Idioten rächen kann. Und natürlich gehen sie davon aus, dass man nicht so ohne weiteres selbst zum Idioten wird. Und so suchen sie die Adresse des Automechanikers Lars aus dem Internet und wollen ihm eine kleine selbstgebaute Bombe unters Auto legen.

Susanne Biers neuer, gerade mit Golden Globe und Oscar ausgezeichneter Film, erinnert in der Grundstruktur etwas an Brødre, der durch sein US-Remake ebenfalls dazu beitrug, dass Frau Bier jetzt in ihrem Heimatland zum Superstar aufstieg (ähnlich wie Florian Henckel von Donnersmarck hierzulande nach seinem Oscar). Doch was insbesondere der Academy an Hævnen besser gefallen haben könnte, ist die Verschiebung im Tonfall: denn diesmal gibt es (nicht nur durch die Kinder) Hoffnung auf die im internationalen Titel erwähnte »bessere Welt«, in der Kinder keine Messer tragen müssen um nicht herumgeschubst zu werden und in der junge Mütter nicht um ihr eigenes und das Leben ihrer Kinder bangen müssen, weil irgendwelche Idioten ihre Machoallüren ausleben müssen.

Das Buch von Anders Thomas Jensen spielt auf geschickte Art mit den Parallelen und Widersprüchen. Schon der Name »Big Man« des afrikanischen Bandenführers wirkt wie eine Zielperspektive für die Kinder. Wenn man der größte und stärkste ist (oder zumindest der fieseste, vor dem alle Angst haben), hat man selbst seine Ruhe. Die Ohnmacht gegenüber der perversen Art, wie die Welt funktioniert, wird noch überschattet von der Ohnmacht, selbst mit den besten Absichten die inhärenten Widersprüche nicht offenlegen zu können, wenn die Angesprochenen einfach nicht zuhören (in der Kindererziehung eine Standardsituation).

Anton ist ein altmodischer Held wie Batman oder Daredevil, die ihre mörderischen Gegner immer wieder einsperren lassen, sich des Problems beim nächsten Ausbruch jederzeit bewusst (obwohl dies auch das Problem von Endloserzählungen ist). Doch heutzutage bekommen solche Comichelden nur noch Szenenapplaus, wenn sie ihren gesammelten Zorn ausleben und am besten Selbstjustiz üben. Und auch die Bösewichte bekommen mittlerweile Applaus, wenn sie nur »cool« genug rüberkommen. Und das ist der Punkt, wo Susanne Biers Film ansetzt, denn hier ist Gewalt nie »cool«. Allerhöchstens wirkt sie für die Kinder »cool«, bis diese dann erkennen, dass sie sich geirrt haben. Das Perverse ist: man könnte Hævnen an Schulen zeigen, um Diskussionen um die komplexen Fragen des Films anzuregen. Doch die »Idioten« würden trotzdem die falschen Szenen »cool« finden und die Aussagen des Films einfach verdrängen. Und deshalb ist der deutsche Titel In einer besseren Welt gar nicht mal so schlecht. Leider.