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Bildmaterial: Arsenal Filmverleih
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Die Frau, die singt
(Denis Villeneuve)
Originaltitel: Incendies, Kanada 2010, Buch: Denis Villeneuve, Lit. Vorlage: Wajdi Mouawad, Kamera: André Tuprin, Schnitt; Monique Dartonne, Musik: Jean Umansky, mit Lubna Azabal (Nawal Marwan), Mélissa Désormeaux-Poulin (Jeanne Marwan), Maxim Gaudette (Simon Marwan), Rémy Girad (Maitré Lebel), 133 Min., Kinostart: 23. Juni 2011
Ungeachtet gewisser Ähnlichkeiten zu einem der ewigen Klassiker von Sophokles (Eigenarten eines Fußes führen zum Wiedererkennen) merkt man dieser Verfilmung eines Theaterstücks die Bühnenherkunft nicht an, Regisseur Denis Villeneuve macht aus der Vorlage seines Landsmanns (mit libanesischer Herkunft) einen komplexen Filmstoff, der von einer Testamentsvollstreckung und einer unehrenvollen Beerdigung zu einem Road Movie mit generationenübergreifenden Flashbacks wird.
Die Zwillinge Jeanne und Simon haben mit ihrer Mutter schon einiges durchgemacht, doch dass diese sich laut Testament nackt mit dem Gesicht nach unten, sowie ohne Sarg oder Grabstein verscharren lassen will, eröffnet neue Abgründe im Leben einer Frau, die für ihre Kinder ein Mysterium blieb. Damit dies nicht so bleibt, beauftragt die Verstorbene ihre Kinder, nach einem zuvor nie erwähnten Halbbruder und ihrem Vater zu suchen, und zumindest Jeanne nimmt diese Herausforderung an.
In einem fremden Land, dessen Identität der Film nicht offenbart (vieles spricht jedoch für den Libanon), macht sich Jeanne nun auf die Suche, und für den Zuschauer wird die Mutter in alternierenden Flashbacks wieder lebendig, und man durchlebt mit ihr ein Jahrzehnte anhaltendes Martyrium, das mit einem verstoßenen Liebhaber, dessen »Ehrenmord« und einem in ein Waisenhaus verschleppten Sohn fast noch harmlos beginnt, bevor Nawal (Lubna Azabal gewohnt energetisch) selbst politisch aktiv wird und dafür schließlich im Gefängnis landet (wo sich dann auch das kleinere Rätsel der singenden Frau aus dem deutschen Titel auflöst).
Was gegen Ende des Films dann doch die Theaterhaftigkeit unübersehbar macht, ist die stringente Dramaturgie, die dem Stoff einerseits »closure« verschafft, einen abgeschlossenen Handlungskreis, aber andererseits die Einschlagskraft des Geschehens geringfügig schmälert, denn allzu deutlich überschattet die perfekte Konstruktion dieser etwas anderen Familiengeschichte die somit in den Hintergrund rückenden Emotionen und das anfängliche Mysterium, das die Geschichte so kraftvoll in Schwung bringt.