USA / Arabische Emirate 2011, Buch: Scott Z. Burns, Kamera: Peter Andrews (d. i. Steven Soderbergh), Schnitt: Stephen Mirrione, Musik: Cliff Martinez, Kostüme: Louise Frogley, mit (in der Reihenfolge des Auftritts) Gwyneth Paltrow (Beth Emhoff), Tien You Chui (Li Fai, Hong Kong Opfer), Daria Strokous (Irina, Londoner Opfer), Matt Damon (Mitch Emhoff), Griffin Kane (Clark Morrow, Beths Sohn), Laurence Fishburne (Dr. Ellis Cheever), John Hawkes (Roger), Jude Law (Alan Krumwiede), Grace Rex (Carrie Anne), Marion Cotillard (Dr. Leonora Orantes), Armin Rohde (Damian Leopold), Kate Winslet (Dr. Erin Mears), Larry Clarke (Dave), Anna Jacoby-Heron (Jory Emhoff), Jennifer Ehle (Dr. Ally Hextall), Demetri Martin (Dr. David Eisenberg), Elliott Gould (Dr. Ian Sussman), Enrico Colantoni (Dennis French), Bryan Cranston (Lyle Haggerty), Dan Aho (Aaron Barnes, Busreisender), Brian J. O’Donnell (Andrew), Jim Ortlieb (Funeral Director), Sanaa Lathan (Aubrey Cheever), Kara Zediker (Elizabeth Nygaard), Sanjay Gupta (Himself), Dan Flannery (Hextall’s Father), Kam Tong Wong (Chef), 106 Min., Kinostart: 20. Oktober 2011
Im Vorfeld warnte mich ein Kritikerkollege, dass dies ein Ensemblefilm ist, in dem jeder der allesamt bekannten Schauspieler drei Szenen habe, weswegen keiner Zeit habe, die Figuren überhaupt zu entwickeln. Nun muss ich sagen, dass offenbar Uneinigkeit darüber besteht, wie man bis drei zählt, denn selbst Gwyneth Paltrow, die in diesem Film wirklich nicht viel zu sagen hat, und bei deren dritter Szene ich mich fragte, wieviele Drehbücher sie wohl abgewiesen haben muss, bevor sie sich für dieses entschied (eine völlig neue Facette dieser Schauspielerin), selbst Gwyneth hat weit über drei Szenen, sogar mehr als sechs, und einzig bei den weniger bekannten Darstellern, wie Bryan Cranston, dem Vater aus Malcolm in the Middle, dem Komiker Demetri Martin, dem Soderbergh-Wiederholungstäter Elliott Gould oder Armin Rohde (jaja!) kann man die Drei-Szenen-Theorie vielleicht halten.
Nichtsdestotrotz erfährt man auch über die anderen Figuren, darunter den von Matt Damon, Kate Winslet, Jude Law oder Laurence Fishborne gespielten und in sicher zehn Szenen präsenten Figuren auch nichts, was nicht ganz konkret mit dem Film, der Bedrohung durch eine weltweit verbreitete tödliche Infektionskrankheit und dem unterschiedlichen Umgang damit (Professionalität, Panik, Profitgier oder andere Sachen, die nicht mit P beginnen) zu tun hat. Doch wo ist das Problem? Will man in The Poseidon Adventure wirklich erst erfahren, was Shelley Winters beruflich macht, bevor man sie bei ihrem Tauchgang bewundert? Macht es so einen großen Unterschied, ob die von Paul Newman bzw. Steve McQueen gespielten Figuren in The Towering Inferno sich mal als Kind am Herd verbrannt haben und seitdem eine Aversion gegen Pizza entwickelt haben? Ich denke nicht. Immerhin weiß man so wie über die Matrosen auf der Poseidon und die Feuerwehrmänner in World Trade Center in Contagion immerhin über die Ärzte, Biologen und Homefront-Security-Uniformträger ausreichend Bescheid, und wie in einem Rosa-von-Praunheim-Film macht auch hier der Virus keinen wirklichen Unterschied dazwischen, ob man Krankenschwester, Stewardess oder Tankwart ist. Immerhin habe ich es nie zuvor auch nur entfernt erlebt (und ich habe mal Birth of a Nation in der musikfreien Version im Arsenal 2 gesehen), dass jedes einzelne Husten im Kinosaal in positiver Weise zur Atmosphäre des Films beitrug.
So beginnt denn Contagion auch. Im Dunkeln hört man jemand trocken zwei mal husten. Die Person ist Gwyneth Paltrow als Beth Emhoff, während sie am Telefon über ein überhastet abgebrochenes Schäferstündchen plaudert, wird »Day 2« eingeblendet, was irgendwie recht schlau ist, denn was an Tag 1 einer Epidemie passiert, erfährt man ja eigentlich nie, das bleibt der Fiktion vorbehalten. Beth schwitzt bereits recht stark und kommt gerade von einer Geschäftsreise nach Hong Kong, sie schafft es aber noch nach Hause, wo sie u.a. ihren Sohn ansteckt, während ihr Mann Mitch (Matt Damon) sich als immun erweist. Bis zu dieser Stelle des Film hat man auch zwei Opfer in Hong Kong bzw. London beobachtet, die das Zeitliche segnen, nicht ohne bedeutungsschwanger ihren Schweißfilm auf einer Haltestange im Bus zu hinterlassen oder sich mit einer wildfremden Familie den Lift zu teilen und dort einen Hustenanfall zu haben.
Wie jeder vernünftige Katastrophenfilm plädiert Contagion an Grundängste, die allerdings im Gegensatz zur Angst vorm Verbrennen oder Ertrinken durch moderne Medien und Sagrotan-Reklamen erst in jüngster Zeit geschürt wurden. Soderbergh ist clever genug, auch anderen, verwandten Genres seine Ehre zu erweisen, wie etwa beim Treffen eines Krisenstabes kurz vor Thanksgiving und dem auf zynische Art erheiternden Statement »It’s the biggest shopping weekend of the year«. Hört sich ganz so an wie die Einwände des Bürgermeisters in Jaws dagegen, den Strand am Fourth-of-July-Weekend zu schließen, nur weil ein Hai den Großteil einer Badenden verschlungen hat.
Contagion ist gleichzeitig Katastrophenfilm und Polit-Thriller, gewürzt mit einer Prise Zombiefilm. Denn was macht es für einen Unterschied, wenn der Virus Millionen dahinrafft, solange das hässliche Gesicht, das die Menschheit mal wieder zeigt, weitaus erschreckender ist. Sobald die Zivilisation ins Straucheln gerät, wird auch wieder geplündert und gemordet, selbst einige der »Helden« dieses Films scheuen sich nicht, den persönlichen Vorteil zu nutzen - und bringen sich dabei fast noch mehr in die Bredouille.
Contagion hat einige nette Überraschungen (mit »nett« meine ich in diesem Zusammenhang meist eher weniger nette Szenen), aber vieles ärgert auch an dem Film. Soderberghs Lieblingskameramann Soderbergh fuchtelt mal wieder uninspiriert herum, benutzt hjede Menge gelbe und blaue Filter, und selbst wenn der Film Sicherheitsaufzeichnungen von Casino-Videokameras für eine abenteuerliche Beweisführung nutzt, ist Soderbergh der Meinung, diese Bilder lieber unabhängig davon erneut aufzunehmen, bis hin zum dreimal wiederholten Freeze Frame, der dann jeweils über die Überwachungstechnologie erklärt wird. Offenbar hält er sein Publikum für reichlich blöd. So blöd sogar, dass er eine der besten Ideen des Films zum Schluss einfach wieder kaputtmacht, nur damit nicht irgendein Jude-Law-Fan, der die Details des Film ohnehin verpasst hat, weil er seinen / sie ihren Softdrink zu lautstark durch den Trinkhalm sog, nicht nach dem Kinobesuch rumjammern kann, er / sie habe jene eine zentrale Stelle des Films nicht kapiert - und wenn ihm dann keine der Begleitungen Erklärung verschaffen kann, ist womöglich der Film schuld. Und meinereiner, der weiß, dass weniger oft mehr ist trauert einem Regisseur nach, der einst um jeden seiner Filme kämpfen musste - aber für den Zuschauer waren diese Filme auch Kämpfe wert. Was ich von Contagion nicht sagen würde. Leicht überdurchschnittlich. Aber was heißt das beim heutigen Durchschnitt schon?