Rumänien / Österreich 2010, Buch: Bogdan George Apetri, Tudor Voican, Kamera: Marius Panduru, Schnitt: Eugen Kelemen, mit Ana Ularu (Matilda), Andi Vasluianu (Andrei), Ioana Flora (Lavinia), Mimi Branescu (Paul), Timotei Duma (Toma), Ingrid Bisu (Selena), 87 Min., Kinostart: 19. Juli 2012
Vielleicht liegt es an mir, aber es gibt erstaunlich viele Filme, die damit beginnen, dass die Hauptfigur aus dem Gefängnis entlassen wird. Wahrscheinlich liegt es einfach daran, dass nicht nur der dadurch initiierte »Neustart« für Drehbuchautoren interessant ist, sondern dass das womögliche Geheimnis des begangenen Verbrechens die Figur fürs Publikum auch ohne lange Erklärungen sofort interessant macht. Wie es sich bei Periferic im Verlauf des Films herausstellt, wird Matilda (ziemlich großartig: Ana Ularu) aber gar nicht entlassen, sondern bekommt nur für einen Tag Freigang. Und wenn sie vor dem Gefängnisgebäude auf einen LKW wartet, der zu einem abgesprochenen Termin ankommen sollte, so wird sehr schnell klar, dass Matilda diesen Tag nutzen will. Unter anderem für eine Flucht, aber auf ihrem mentalen Terminkalender steht zuvor noch einiges anderes.
Unter anderem braucht sie für ihre Flucht auch Geld, und deshalb besucht sie ihren Bruder, der ihr ebenso wie die Schwägerin eher feindlich gesinnt ist. Zu allem Übel geht es dann auch noch zu einer Beerdigung (offenbar der Grund für den Freigang), wo der Rest der Familie ihr das vorerst noch geheimnisumwitterte »Verbrechen« wohl nicht verzeihen konnte. Außerdem gelangt sie hier in den Besitz einer Handfeuerwaffe, die natürlich über dem Rest des Films schwebt wie die Ankündigung, dass es noch schlimmer als die kollektive kalte Schulter der Familie kommen wird.
Im zweiten Handlungsstrang besucht sie ihren »Exfreund«, der, wie wir inzwischen erfahren haben, auch der Vater ihres achtjährigen Sohnes ist (eine Offenbahrung, die für ihren Bruder völlig unerwartet war). Paul (Mimi Branescu) stellt sich aber weniger als »Freund« dar, sondern als Zuhälter, der gerade mit Matildas Nachfolgerin Selena »horizontal zugange« ist (ein schönes Zitat aus dem Presseheft), und angesichts Matildas Geldforderung erstmal »alte Rechte« einfordert, ehe aus den argwöhnischen Blicken zwischen Matilda und Selena doch Verbundenheit entsteht, denn als Geldbeschaffungsmaßnahme schickt Paul die junge Frau, die er mit verlogenen Versprechungen beruhigt, zu einem potentiell gefährlichen »Job« - genau dieser Art von Job, die seinerzeit zu Matildas Gefängnisstrafe führte. Wie dieser Teil des Nachmittags ausgeht, werde ich mal überspringen, aber danach will Matilda auch ihren Sohn sehen, und man erfährt leider, dass Paul als »Vater« ähnlich rücksichtslos wie als »Freund« vorgeht.
Die zunächst misstrauische Annäherung zwischen Mutter und Kind, dabei immer die tickende Uhr des Fluchtplans im Hinterkopf, ist das Herzstück des Films, der Grund, warum Ana Ularu mit nicht weniger als vier Darstellerpreisen ausgezeichnet wurde. Doch auch der Film an sich überzeugt voll, Sozialrealismus mit ein paar Krimimomenten, viele Momente, die sich nur über Blicke erzählen (es dauert einige Minuten, bis die immer präsente Hauptfigur überhaupt mal spricht), und ein cleveres Drehbuch. Dass man sich bei Peripher, dem Hausverleih des Berliner fsk-Kinos, einen Film mit dem Titel Periferic anschauen musste, war Ehrensache, aber dass der Film so gut in das Programm passt und dem Verleih sozusagen auf den Leib geschneidert ist, ist ein riesiges Geschenk. Nicht nur für den Verleih, auch für Filmfreunde, die gerne mal einen Ausflug in die Peripherie wagen.