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1. August 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Rum Diary (Bruce Robinson)
Rum Diary (Bruce Robinson)
Bildmaterial © Wild Bunch Germany
Rum Diary (Bruce Robinson)
Rum Diary (Bruce Robinson)
Rum Diary (Bruce Robinson)


Rum Diary
(Bruce Robinson)

USA 2011, Originaltitel: The Rum Diary, Buch: Bruce Robinson, Lit. Vorlage: Hunter S. Thompson, Kamera: Darius Wolski, Schnitt: Carol Littleton, Kostüme: Coleen Atwood, mit Johnny Depp (Paul Kemp), Aaron Eckhart (Sanderson), Amber Heard (Chenault), Richard Jenkins (Lotterman), Michael Rispoli (Sala), Giovanni Ribisi (Moburg), Bill Smitrovich (Mr. Zimburger), Amaury Nolasco (Segurra), Marshall Bell (Donovan), 120 Min., Kinostart: 2. August 2012

Von Terry Gilliams Fear and Loathing in Las Vegas (ebenfalls nach Hunter S. Thompson und mit Johnny Depp in der Hauptrolle) ist The Rum Diary schon deshalb eine Ecke entfernt, weil die Romanvorlage (ein sehr frühes Werk, das aber erst spät veröffentlicht wurde) noch mehr mit Journalismus als mit »Gonzo« zu tun hat. »Sex und Wahrheit auf Puerto Rico« würde das Ganze da schon besser zusammenfassen. Nachwuchsjournalist Paul Kemp (Depp) würde Anfang der 1960er lieber über die kapitalistische und touristische Ausbeutung und den Unmut der Bevölkerung berichten, doch sein Auftraggeber, der »San Juan Star«, und sein Redakteur mit dem schönen Namen Lotterman (Richard Jenkins) geben mehr auf amerikanische Anzeigenkunden und wenige begüterte Leser als auf die Stimme des unterdrückten Volkes.

Nebenbei würde Kemp sich gerne ausgiebig mit der umwerfenden Chenault (Amber Heard) befassen, die so etwas wie die Trophäenbraut des undurchsichtigen Sanderson ist (Aaron Eckhart mal wieder als leicht schleimiger Finsterling). Da Sanderson nicht ganz legal einen Hotelkomplex aufbauen will, ergibt sich dabei noch nicht einmal ein Interessenkonflikt für Kemp: er leiht sich Sandersons Sportwagen nebst Geliebte aus und recherchiert nebenbei, die von der Zeitung geforderten Horoskope und Berichte über Bowlingturniere fordern ihn nicht wirklich.

Im Umfeld Kemps gibt es mit Sala (Michael Rispoli) und Moburg (Giovanni Ribisi) Vorbilder, was die journalistische und private Gelassenheit angeht, und natürlich geht es auch um innovative Drogenerlebnisse (halluzinogene Augentropfen!) und absurde Abenteuer, irgendwann genügt es Kemp nicht mehr, statistisch zu erkunden, wie oft die Minibar in seinem Hotel aufgefüllt wird, stattdessen probiert man »470%igen« Alkohol, besucht Hahnenkämpfe oder liefert sich ein immens unterhaltsames Verfolgungsrennen mit der örtlichen Justiz (»Oh God, it's the cop we set on fire! Try to look normal!«). In manchen Szenen schafft Giovanni Ribisi es übrigens, mit seiner Rolle als Moburg, für die Depp »typecast« gewesen wäre, diesen ein wenig an die Wand zu spielen. He »outdepps« Depp, was an sich schon eine Leistung ist.

Ein Höhepunkt des Films sind manchmal die Dialoge zwischen politisch komplett unterschiedlichen Lagern (»A liberal is a commie with a college education thinking Negro thoughts«), aber während der eigens für diesen Film reaktivierte Kultregisseur Bruce Robinson (Withnail and I) für Kapriolen wie einen hermaphroditen »Witch Doctor« immer Zeit findet, hat der Film manchmal auch das selbe Problem wie die Zeitung »San Juan Star«: die wahrlich politischen Elemente sind für das Zielpublikum wohl nicht geeignet, und vieles gerät dann doch (wenn nicht eine große Pointe rauszuholen ist) eine Spur zu harmlos. Das deutlichste Beispiel: ein ziemlich abgründiges »Discoerlebnis«, das man auch wie in Last Exit Brooklyn hätte inszenieren können, das der Film aber nicht nur in der Handlung ausspart - für mich hat man auch vor den psychologischen Implikationen einfach zurückgescheut. Ein Schenkelklopfer verkauft sich immer besser als ein Film, der traumatisieren könnte, doch das Ungleichgewicht zwischen der denkwürdigen Szene und der späteren Umschiffung möglicher Konsequenzen auch des unkontrollierten Alkoholgenusses versaut den ansonsten guten Gesamteindruck.