Israel / Deutschland 2011, Hebräischer Titel: Ha'Tzalmania, Buch: Tamar Tal, Kamera: Daniel Kedem, Tamar Tal, Schnitt: Tal Shefi, Musik: Alberto Shwartz, mit Miriam Weissenstein, Ben Peter Weissenstein, 58 Min., Kinostart: 16. August 2012
In Berlin sind Betreiber von Kleinstkinos oft auch Filmentdecker, Festivalveranstalter oder versuchen sich gar als bundesweite Verleihfirma. Das Moviemento zeigte nun ein besonderes Gespür und vor allem eine rekordverdächtige Geschwindigkeit, denn kaum ein Vierteljahr, nachdem Life in Stills beim Jewish Film Festival mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, kann man diesen außergewöhnlichen Dokumentarfilm auch »regulär« nachholen. Dass man bereits Pornographie und Holocaust vom selben Produzenten mit beachtlicher Resonanz in die deutschen Kinos gebracht hatte, wird sicherlich dienlich gewesen sein.
Der Film erzählt auf liebevolle Art von Tradition und Veränderung. Rudi Weissenstein begleitete als Fotograf jahrzehntelang die Geschichte des Staates Israel. Als 1948 die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben wurde, war er als einziger offizieller Fotograf dabei, er dokumentierte die städtischen Veränderungen in Tel Aviv, zwischenzeitig hieß es gar mal, dass derjenige Politiker, der im Schaufenster des Weissensteinschen Fotoladen hing, jeweils auch gewählt wurde.
Mehr noch als ein Aufnahmeatelier ist das 1940 eröffnete »Photo House« aber zu einem Bildarchiv geworden (über 250.000 Negative!), und nachdem Rudi im Jahre 1992 verstarb, übernahm seine Witwe Miriam das Geschäft, mittlerweile unterstützt durch ihren Enkel Ben. Die Fotos der Landesgeschichte sind das Rückgrat dieses Films, Miriam und Ben aber sind sein Herz. Regisseurin Tamar Tal hatte die beiden schon bei ihrem kurzen Abschlussfilm The Iron Lady and the Photo House kennengelernt, und das fast intime Vertrauen zur Filmemacherin merkt man dem Film an vielen Stellen an. Die 96jährige Miriam hat wenig Verständnis für »Kunden«, die stundenlang im Bildmaterial wühlen, dann aber die Kosten für Abzüge scheuen. Schwerhörig zetert sie vor sich her, und ihr Enkel muss sie ermahnen, dass andere Personen sehr wohl hören, wie sie über sie spricht. Was dem Laden schaden könnte ... wenn die »Kunden« denn auch kaufen würden. Diese kleinen Streitgespräche, auch über den Internetauftritt, bei dem Rudis Fotos mitunter halb verdeckt oder beschnitten sind, täuschen aber keineswegs über das innige Verhältnis der beiden hinweg. Dass Ben seit einiger Zeit mit einem Mann zusammenlebt, ignoriert Miriam ebenso nonchalant (»Du bist jung, gutaussehend, liebst junge Mädchen«), wie sie bei einem neugierigen Gesprächspartner einfach mal nachhakt, ob dieser fürs Finanzamt tätig ist.
Über den Weissensteins hängt aber ein Damoklesschwert, denn das Haus, in dem das Archiv der Öffentlichkeit zugängig gemacht wird, soll abgerissen werden, für einen fünfstöckigen Prachtbau, bei dem es nicht ganz klar wird, ob es sich einfach um eine weitere Mall handelt. Es gibt eine Unterschriftensammlung, eine Anhörung (vor der Ben Miriam dezidierte Verhaltenstips gibt), dann eine Deadline und die Besichtigung des »Zwischenlagers« (mit Shop) während der Bauphase.
Wie nebenbei geht es aber auch um andere Themen, um europäische Ausstellungen mit oder ohne Miriam, um Miriams Tochter und Bens Mutter, die von ihrem Mann (Bens Vater) getötet wurde, bevor er Selbstmord begang (Miriam dazu: »Ami hat sich zwischen uns gedrängt, wie ein Dolch, er war überflüssig, eine Null!«, Ben sieht das etwas anders: »Wenn er nichts wert war, warum hat sie ihm dann drei Kinder geschenkt?«).
In unter einer Stunde bietet der Film erstaunlich viel Informationen, Fotokunst und Geschichte, mindestens ein echtes Drama (das zweite plaudere ich an dieser Stelle nicht aus) und die dazugehörigen Emotionen - und allerspätestens über die Generationenverständigung Anknüpfungspunkte für eigentlich jeden potentiellen Zuschauer.
Einer der schönsten Momente des Films ist folgender Dialog, der hier als Schlusswort dienen soll:
Ben zu Miriam: »Wie alt willst Du werden?« --- »Das Alter habe ich schon überschritten!« Diesen pragmatischen Optimismus überträgt der Film auch auf seine Zuschauer. Wahrscheinlich die schönste Doku des Jahres!