Deutschland / Österreich / Ungarn 2013, Konzept: Christian Rost, Kamera: Waldemar Hauschild, Schnitt: Julia Furch, Musik: Wolfgang Neumann, mit Renate Foidl, Annemari Kuti, Bettina Gaupmann, Bianca Pokorny, Michael Aufhauser, Jane Goodall, Geza Teleki, Dr. Ulrike Goldschmid, Josef Schmuck, Daniel Slama, sowie die Schimpansen Alfred, Bonnie, Carmen, Clyde, David, Fifi, Gabi, Ingrid, Johannes, Kathi, Lingoa, Martha, Pepi, Pünktchen, Susi, Xsara und anderen, 90 Min., Kinostart: 21. März 2013
Recht fix nach der Vorstellung beim »Berlinale Special« folgte eine Premierentour dieses Films und nun hat er bereits Bundesstart – etwa fünf Wochen nach der etwas im 400-Filme-Dschungel des Festivals untergegangenen Vorstellung.
Ein Publikum hat der Film verdient. Die inszenatorischen Mittel sind nicht unbedingt bahnbrechend, aber die Geschichte hinter dem Film ist anrührend. Und die Geschichten hinter der Herstellung des Films sind es ebenfalls.
Der Ausgangspunkt des Films war die Geschichte zweier Frauen. Renate Foidl und Annemari Kuti begannen in den 1980ern, kaum volljährig, Ausbildungen als Tierpflegerinnen. Und landeten dabei bei der österreichischen Firma Immuna, wo man Schimpansen zur Forschung nach einem Aids-Gegenmittel nutzte. Wie man im Film erfährt, wurde zwar der Handel mit Versuchs-Tieren 1982 auch in Österreich verboten, doch es ging ja nicht nur um den Kampf gegen eine tödliche Krankheit, sondern auch um eine Menge Geld. Die Einsichten in Tierhandel, -mord und internationale Korruptionsvorgänge würden schon genug Material für einen fesselnden Dokumentarfilm liefern, doch der Fokus des Films liegt anderswo.
Renate und Annemari leiden unter der Situation, täglich mit dem Leiden der Tiere konfrontiert zu werden. Doch sie können es auch nicht über sich bringen, sie einfach zurückzulassen, einem neuen Pfleger zu überlassen. Aus der Sicht der Affen verläuft das Leben wie folgt: Im Säuglingsalter werden sie im Dschungel von Sierra Leone den Armen der Mutter entrissen, diese und alle Artgenossen, die Kind oder Mutter beschützen wollen, werden erschossen. Dann erwachen sie nach einer langen Reise in einem sechs Quadratmeter großem Käfig, wo sie für Jahre – ja, mehr als ein Jahrzehnt! – keinerlei Artgenossen kennenlernen. Einzig Pfleger, Ärzte und Biologen besuchen die Tiere – meistens aber wegen der möglichen Ansteckungsgefahr in futuristischen Schutzanzügen. Eine Interaktion zwischen Mensch und Tier wäre der Forschung natürlich nicht dienlich. Erst 1997 übernimmt der US-amerikanische Konzern Baxter die Immuno, und entscheidet nicht nur, die bisher fruchtlose Forschung einzustellen. Nein, man will auch die Affen resozialisieren, für ihren Dienst für die Menschheit. Wobei der Begriff »Resozialisierung« irreführend ist, denn die Affen hatten ja bis auf ihre früheste Kindheit keinerlei Chance, mit ihresgleichen umzugehen.
In einem Safaripark treffen die Tiere erstmals wieder auf Artgenossen. Traumatisiert aber neugierig lernen sie einander kennen, sehen, riechen, fühlen sich. Aber es gibt auch Unfälle wie ausgerissene Finger, denn die Tiere sind sieben mal stärker als Menschen, und es muss ja gar nicht mal böse Absicht sein, wenn das Kennenlernen, das normalerweise im Windelalter geschieht, nun erst im Mannesalter nachgeholt werden kann.
Das Problem der Resozialisierung ist natürlich auch die Geldfrage, und so wird der Safaripark geschlossen, und obwohl öffentliche Mittel zur Verfügung stehen, muss eine Organisation gefunden werden, die die Verantwortung trägt. Renate, Annemari und zwei weitere Pflegerinnen haben jetzt einen neuen Arbeitgeber, das »Gut Aiderbichl«. Ebenfalls ein Thema, das eine eigene Dokumentation verdient hätte – eine seltsame Mischung aus Gutmenschentum und finanziellen Begehrlichkeiten. Ein wenig, als wenn der Disneykonzern ein riesiges Tierheim eröffnen würde, in dem sie dann Besucher mit Goofymasken reinschicken, als sei es ein Streichelzoo.
Doch auch »Gut Aiderbichl« ist eigentlich nur ein unterschwelliges Fundament des Films, der Situation, es geht um die Pflegerinnen und die Affen, die das Filmteam ein Jahr lang beobachten durfte (etwa eine Hälfte dieser Zeit ging schon mal dafür drauf, dass die Affen überhaupt die »Eindringlinge« zu akzeptieren lernten). Aufgrund der Arbeitsverträge dürfen die sehr aktivistische Renate und ihre Kolleginnen manche Themen nicht anschneiden, manche Umstände dürfen nur mit bestimmten Formulierungen umschrieben werden – ähnlich, wie es beim Thema Schädlingsbekämpfung in einem Disney-Park sein muss ... statt »Mausefalle« arbeitet man dort mit Euthanasie.
Dennoch ermöglicht der Film einem tiefe Einblicke. In den Umgang zwischen Mensch und Tier. In die Situation der seit Jahrzehnten mit den Affen lebenden Pflegerinnen (wobei deren Privatleben aus gutem Grund komplett aus dem Film ausgespart wurde). Und in die skandalträchtige Vergangenheit, die mit Beiträgen aus dem österreichischem Fernsehen sowie bei Interviews mit Zeitzeugen aus Artenschutzprogrammen etc. aufgerollt wird.
Doch der Höhepunkt des Films ist eindeutig ein Moment, für den das Medium Dokumentarfilm womöglich überhaupt erfunden wurde: Die Öffnung des Außengeheges. Nach einem guten Jahrzehnt allein im Käfig und fast zwanzig Jahren langsamer Gewöhnung an andere Vertreter ihrer Art sehen und erleben sie nun erstmals die Außenwelt, die Natur, die sie zuvor höchstens mal durch ein Fenster betrachten durften. Solch emotionale Momente sieht man nur selten in Filmen, und ungeachtet großer Begabungen ist das als schauspielerische Darbietung auch nur ein schwacher Abklatsch. Allein dafür lohnt sich dieser Film schon, und über einige innere und äußere Probleme bei der Erstellung des Films sieht man bereitwillig hinweg. Immerhin ist es ja so, dass ein Großteil dieser Probleme den Film nicht automatisch abwerten, sondern das Interesse (etwa an der medialen Vermarktung der Tiere) noch steigern.
Laut der Website von Gut Aiderbichl (die eher was für die Freunde von Peter Alexander und Streichelzoos ist) haben die tierischen Helden des Films inzwischen übrigens auch ihren ersten Schnee gesehen. Wer übrigens einer Vorführung beiwohnen kann, bei der die Regisseure oder der eine oder andere Protagonist anwesend ist, dem kann ich dies nur dringend anraten, denn auch, wenn die ebenfalls nicht über alles reden dürfen oder wollen, verstärken sie den Eindruck des Films in den meisten Fällen noch.