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16. Oktober 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Unter dem Regenbogen - Ein Frühjahr in Paris (Agnès Jaoui)
Unter dem Regenbogen - Ein Frühjahr in Paris (Agnès Jaoui)
Unter dem Regenbogen - Ein Frühjahr in Paris (Agnès Jaoui)
Bildmaterial: Film Kino Text
Unter dem Regenbogen - Ein Frühjahr in Paris (Agnès Jaoui)
Unter dem Regenbogen - Ein Frühjahr in Paris (Agnès Jaoui)


Unter dem Regenbogen
Ein Frühjahr in Paris
(Agnès Jaoui)

Originaltitel: Au bont du conte, Frankreich 2013, Buch: Agnès Jaoui, Jean-Pierre Bacri, Kamera: Lubomir Bakchev, Schnitt: Fabrice Rouaud, Musik: Fernando Fiszbein, mit Agathe Bonitzer (Laura), Agnès Jaoui (Marianne), Arthur Dupont (Sandro), Jean-Pierre Bacri (Pierre), Benjamin Biolay (Maxime Wolff), Dominique Valadié (Jacqueline), Valérie Crouzet (Eléonore), Béatrice Rosen (Fanfan), Didier Sandre (Guillaume), Laurent Poitrenaux (Eric), Nina Meurisse (Clémence), Clément Roussier (Julien), Serena Legeais (Nina), Bonny Durnad (Morgane), Candela Cottis (Johanna), Colette Kraffe (Madame Irma), Simon Zygel (Prinz), Anaïs Normand (Prinzessin), 112 Min., Kinostart: 17. Oktober 2013

Die Filme der Regisseurin Agnès Jaoui, deren Drehbücher jeweils mit ihrem Schauspielkollegen Jean-Pierre Bacri zusammen entstanden, sind durchweg Ensemblefilme, in denen es anstelle von »Hauptrollen« viele kleine Nebenfiguren gibt, für die sich der Film aber jeweils Zeit lässt. Es geht dabei um die kleinen bis mittelgroßen Probleme alltäglicher Menschen, man könnte Parallelen zu den Ensemblefilmen von Robert Altman oder Woody Allen finden, doch Jaoui/Bacri sind dabei gleichzeitig unaufgeregt und verlässlich, dass sie ihre eigene Schublade verdient haben. Bei diesem Film funktioniert das meiste so, wie man es bei den beiden kennt und liebt, doch wie sich bereits beim verschnörkelten Vorspann ankündigt, geht es diesmal um ein unterschwelliges Thema, das sich mit alltäglichen Geschichten eigentlich nicht ohne weiteres verbinden lässt: um Märchen und Mythologie.

Die Übertragung und Vermischung unterschiedlicher Narrationsprinzipien funktioniert auf unterschiedliche Arten. Da gibt es etwa einen offenbar prophetischen Traum oder eine Wahrsagerin, die unterschiedlichen Einfluss auf einige Figuren haben. Dann gibt es moderne Entsprechungen von Märchenmotiven, wie die Stiefmutter auf der Suche nach Jugend und Schönheit, einen auf einem »Prinzenball« verlorenen Schuh oder dem »großen, bösen Wolf« in Männergestalt, der sich aber immerhin anhand seines Namens (Maxime Wolff) offenbart. »Pleased to meet you, hope you guess my name«, wie es bei den Stones heißt. Eine andere Herangehensweise ist dann wieder die optische Entsprechung, bei einem mit Gartenzwerg, Gänseplastik und anderem ausstaffierten »Märchenhaus« oder einer Theateraufführung in einer Kita, bei der die Regisseurin in einem Zauberinnengewand noch bis in den Nachspann hinein ihr Zepter schwingen darf.

Und hin und wieder kann auch mal ein riesiger Clownfisch durchs Bild treiben, im Endeffekt macht alles durchaus Sinn, und die eine oder andere Moral stellt sich auch irgendwann ein. Man spielt hier zwar mit Versatzstücken, die jeder Zuschauer ohne Probleme wiedererkennen kann, aber gleichzeitig verschließen sich die Autoren noch stärker als in ihren früheren Filmen den Erzählkonventionen des Mediums. Hier stellt sich nicht jede Figur mit Namen vor und erklärt kurz die Verbindungen zu anderen Personen, das erschließt sich dem Zuschauer erst nach und nach, was das Ganze trotz der Märchenschablone dann wieder aufregend und spannend macht. So spürt man etwa sehr schnell, dass die von Agathe Bonitzer und der Regisseurin gespielten Frauen etwas auf nahezu intime Weise verbindet, doch ob sie Schwestern, Mutter und Tochter oder was auch immer sind, ergibt sich im Film erst nach einiger Zeit. Wodurch man viel konzentrierter auf Indizien achtet. Wohnen sie zusammen oder wer ist gerade bei wem zu Besuch? Und warum?

Nebenbei verzückt der Film auch noch durch eine zum Thema passende Verspieltheit, die eine neue Zutat innerhalb der bekannten Parameter darstellt. Eine meiner Lieblingseinstellungen zeigt etwa einen kleinen Parkplatz, auf dem sich dann etwas abspielt, was ohne Probleme im Märchenkontext lesbar ist, sich dann aber der »realen« Geschichte hartnäckig verschließt. Und man merkt dabei einfach, wie viel Spaß es Jaoui macht, mit solchen Momenten zu spielen. So gibt es auch immer wieder Bilder, die leicht verfremdet wie Kapitelüberschriften wirken könnten und an Entsprechendes bei Lars von Triers Breaking the Waves erinnern. Nur ohne dessen ermüdende »Ernsthaftigkeit«.

Die seltsame Mischung bringt den Film auf zauberhafte Weise dem Herzen des Betrachters näher. Wo das immergleiche RomCom-Happy-End einen anderswo nur noch anödet, fühlt man hier mit, mit »verlorenen Kindern« oder einem »verwunschenen Prinzen«, und man wartet zusammen mit den Figuren darauf, dass der »Ritter in schimmernder Rüstung« herbeireitet. Jedes »Verlaufen im Wald«, jeder suspekte Apfel müsste einen eigentlich von der Geschichte und der emotionalen Einbringung entfernen, aber Jaoui und Bacri spielen so gekonnt auf der Klaviatur, dass sich alles zusammenfügt. Plötzlich erscheinen selbst »plakative« Parallelen wie ein Filmposter zu Catherine Breillats Barbe bleu (oder der mehrfach eingesetzte Song »Me and the Devil«) immens stimmig und saugen einen fast hinein in den Film. Man will sich darin verlieren und gleichzeitig jedes kleine Element sezieren und auseinanderdividieren. Wie ein unscheinbares Mädel im Strickpulli, in das man sich aber insgeheim verlieben kann, ohne es zu bemerken.