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2. Februar 2014 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
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Ship bun
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Vorführungen:
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In Ship bun geht es um einen jungen Mann, dessen Familie (Vater, Mutter, jüngerer Bruder) in finanzielle Not geriet, weshalb er sich entgegen seines Lebenstraums, Fernsehproduzent zu werden, dafür entscheidet, in der Öffentlichkeitsabteilung eines staatlichen Betriebes ein sechsmonatiges (offenbar vergütetes) Praktikum zu beginnen. Aus seiner Sicht lernen wir den Betrieb und die Kollegen kennen, erleben seine Aufstiegschancen und die schwierigen Entscheidungen. Und auch, wenn der Arbeitskampf manchmal ein hinterhältiger ist, würde ich den Film niemals als »Mobbing-Drama« bezeichnen, denn die Probleme entstehen weniger aus dezidiert bösartigen Kollegen, sondern aus einer komplexen Hierarchie, in der jeder mit eigenen Mitteln versucht, aufzusteigen. Dabei gibt es durchaus auch öfters mal gute Ratschläge, die nicht unbedingt aus niederträchtigen Motivationen erwachsen, sich aber dennoch im Nachhinein als ungeschickt erweisen können.
Nun kurz zu Forma (nur etwa 20-25% des Films gesehen): Hier wird die Geschichte aus der Sicht einer jungen Frau erzählt, die wir ganz zu Beginn allein in einem Großraumbüro sehen, wo sie in einen Karton ein kleines Loch schneidet und diesen dann über ihren Kopf stülpt. Naheliegende Interpretation: besonders zufrieden scheint sie mit dem Job nicht zu sein. Dann (es fiel noch kein Wort im Film) trifft sie zufällig eine alte Bekannte, die einen Security-Job an einer Baustelle ausfüllt (eine bessere Schülerlotsin). Scheinbar uneigennützig bietet sie der Freundin an, sich doch mal in »ihrem« Büro um einen besseren Job zu bemühen. Wir bleiben aber bei der ersten Frau, die dann gemeinsam mit ihrem Vater zu Abend isst, diesen ein wenig herumkommandiert (»Hast Du Dir schon die Hände gewaschen?«), und beim nächsten Mal im Büro die neue Kollegin etwas … ähm … sagen wir mal »betreut«. So klärt sie diese darüber auf, dass bei einem Ausdruck oder der Kopie davon eine Tabellenstatistik nicht parallel zu den Seitenrändern verläuft, weshalb die Arbeit wiederholt werden müsse, denn man könne den Kunden / Klienten so etwas nicht zumuten. Außerdem weist sie darauf hin, dass der saloppe Tonfall im Gespräch gegenüber ihr (als Vorgesetzter) unangemessen sei (später bei einem gemeinsamen Essen, bei dem sie »unter sich« sind, wird der Kollegin hingegen erklärt, dass sie wieder »normal« sprechen könne). Beim abendlichen Gespräch mit dem Vater lässt unsere vermeintliche »Wohltäterin« nebenbei mal fallen, dass die »Idiotin« dankbar sein soll, dass sie ihr diesen Job besorgt hat, und spätestens, als sie sich dann am nächsten Tag auch noch bei einem Date mit dem Verlobten der übrigens klar attraktiveren Bekannten »miteinlädt«, war für mich klar, dass ich keine Lust habe, die weiteren Intrigen dieser »Bitch« mitzuerleben. Schon gar nicht zweieinhalb Stunden lang.
Und wieder zurück zu Ship bun. Ich habe eine gewisse Affinität für das asiatische Kino (besonders Japan und Korea), und habe deshalb auch überdurchschnittlich viele koreanische Filme gesehen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen koreanischen Film gesehen zu haben, der eine durchaus komplexe Geschichte mit vielen Figuren derart stringent und nachvollziehbar erzählt wie dieser Debütfilm (ein Film aus den 1950ern kommt nahe ran, war aber noch eine Spur ambivalenter). Das soll aber nicht heißen, dass Ship bun simpel gestrickt war, es geht durchaus um manchmal winzige Nuancen im Mienenspiel, die Vorgehensweisen der unterschiedlichen KollegInnen erschließen sich erst langsam, doch für mich war der Film dennoch geradlinig und ohne überflüssige Nebenhandlungen erzählt. Ob Hochans Verhältnis zu seiner Freundin Nuri, dass sich teilweise überraschend und sehr interessant entwickelt, ob die Synergie mit seinem jüngeren Bruder, das teilweise seltsame Verhalten des Vaters oder die unterschwelligen Zeichen bei seinem Boss: alles wird schnörkel- und fehlerlos erzählt, ohne dass das Drehbuch formelhaft oder vorhersehbar erscheint (ganz im Gegenteil). Lange Zeit fiel mir nur auf, dass die Inszenierung nie etwas »auffälliges« probiert, eine besondere »Umsetzung« gewisser Verhältnisse. Der Gag ist: damit wartet der Regisseur bis ganz zum Schluss. Dann gibt es etwa eine Einstellung, bei der sich eine Figur in der Schreibtischoberfläche einer anderen Figur, die gerade das Büro räumte, spiegelt. Und dieses »Bild« hat eine klare Aussage. Und beim (ziemlich cleveren und eine Spur spektakulären) Ende, also vielleicht der letzten Viertelstunde des Films, ist diese Einstellung quasi ein »Startschuss« für eine plötzliche friedliche »Revolution« der Inszenierungsmittel. Nachdem man zuvor abgesehen von ein paar gut eingesetzten Schwarzblenden eigentlich größtenteils das selbe Büro mit fünf Schreibtischen meistens aus einer ähnlichen Perspektive sah, geht es plötzlich um Trennscheiben, Tiefenschärfe und eine auffällige Rauminszenierung und Kameraführung. Ich habe mich in diesem Film nie auch nur ansatzweise gelangweilt, aber gegen Ende wird man noch mal richtig aufgerüttelt, und das wirkt auch etwas wie ein Abschied aus einer beinahe dokumentarischen Erzählweise (so im Stil der Dardenne-Brüder), hin zu einem bewusst »filmkünstlerischen« und zur Interpretation einladenden Ende. Wenn man eine gute Stunde lang bewusst auf bestimmte zur Verfügung stehende Mittel verzichtet, und dann plötzlich ganz anders arbeitet, fällt das natürlich auch jedem Zuschauer auf. Lee arbeitet ungefähr vier Fünftel des Films wie Hawks oder Ozu, um dann am Ende aufzudrehen wie Kubrick oder Danny Boyle (diese Namen sollen nicht für eine bestimmte Qualität stehen, sondern für eine einerseits zurückhaltende, andererseits auffällige bis »angeberische« Inszenierung). Das ist etwas, was ich so noch nicht erlebt habe, und es zeugt von einer besonderen Intelligenz des jungen Regisseurs.
Wer mit der ganzen Thematik des Films nichts anfangen kann, wer die Dardenne-Brüder oder die »Berliner Schule« meidet wie eine Darmspiegelung, der sollte vermutlich auch Ship bun fernbleiben. Wer aber die frühen Filme von Laurent Cantet mochte (Ressources humaines oder L'emploi du temps) oder den Perspektive-Beitrag Die Ausbildung von Dirk Lütter (mag etwas unbekannt sein, aber hier geht es doch um einen Film im Forum, das ist ja auch nicht unbedingt was für Leute, die nur dreimal im Jahr ins Kino gehen), der wird eine neue Regie-Stimme vernehmen, auf deren nächste Filme ich mich schon freue. In vier oder fünf Jahren ist Lee Yong-seung vielleicht schon einer der sechs bis zehn aktuellen koreanischen Regisseure, die man namentlich kennen sollte (Typen wie Park Chan-wook, Kim Ki-duk, Hong Sang-soo, Lee Yoon-ki oder Bong Joon-ho – letzterer hat übrigens mit Snowpiercer auch einen Film im Forum).
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