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Bildmaterial: Rapid Eye Movies
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Good Vibrations
(Lisa Barros D'Sa, Glenn Leyburn)
UK / Irland 2012, Buch: Colin Carberry, Glenn Patterson, Kamera: Ivan McCullough, Schnitt: Nick Emerson, Musik: David Holmes, mit Richard Dormer (Terri Hooley), Jodie Whittaker (Ruth), Liam Cunningham (Davy), Dylan Moran (Pat), Killian Scott (Ronnie Matthews), David Wilmot (Eric), Andrew Simpson (Getty), Adrian Dunbar (Andy), Mark Ryder (Greg Cowan), Karl Johnson (George), Ruth McCabe (Mavis), Kerr Logan (Feargal Sharkey), Niall Wright (Mickey Bradley), Demetri Goritsas (Paul McNally), Patrick Fitzsymons (Des, BBC Reporter), 102 Min., Kinostart: 8. Mai 2014, DVD-/BD-Veröffentlichung: 17. Oktober 2014, dann mit B-Roll, Interviews und Kinotrailern (Bonus-Material ca. 48 Minuten)
Jüngst stolperte ich irgendwo (ich glaube, Christina Mohr war zumindest teilverantwortlich) über einen dieser bekloppten Internet-Tests, bei dem man feststellen konnte, ob man ein Snob sei, was Musik anbetrifft. Nun habe ich mich schon in Internetforen als »Herr Snob« angemeldet und in wüste Schlammschlachten verwickeln lassen, aber wenn ich mich schon dadurch als Musik-Snob oute, dass ich bestimmte Remixe oder Demo-Versionen als besser erachte als die »offizielle« Version eines Hits oder bejahen kann, dass ich mit dem Namen John Peel etwas anfangen kann, dann ist vermutlich jeder ein Snob, der mehr als zwei LPs (oder CDs oder Downloads) besitzt, die es nicht in die deutschen Top50 schafften.
Wer Terri Hooley ist, wusste ich vor diesem Film nicht, und ich schäme mich deshalb nicht einmal. Im Belfast der 1970er ist Terri (Richard Dormer) ein definitiver Snob, der glaubt, einen übergreifenden Durchblick über die Musikgeschichte zu haben, und was diese Figur für den Zuschauer erst interessant macht, ist der Moment, der seine arrogante Hybris zum Explodieren bringt, der Besuch eines Punkkonzerts, also einer Musikrichtung, über die er kurz zuvor noch die Nase rümpfte.
Und deshalb wird aus dem Betreiber eines etwas heruntergekommenen Plattenladens plötzlich jemand, der jungen lokalen Musikern zum Durchbruch verhelfen will, indem er auf eigen Faust deren Songs auf Platte presst. So richtig Old-School, mit selbstgefalteten Singlecovern, geringen Auflagen, keinem Schimmer von den Begebenheiten der Musikbranche und entsprechend auch der Aussicht, sich finanziell noch stärker zu übernehmen.
Terri Hooley ist kein Filmheld, kein hässliches Entlein, das sich in einen Schwan verwandelt, nicht einmal ein Forrest Gump oder Chauncey Gardiner, der eher zufällig Karriere macht, sondern einer der Überzeugungen hat, sich durchbeißt, viel Mist baut und meistens scheitert. Und als Donaldist ist es für mich natürlich fast Pflicht, so jemanden zu lieben.
Hooley, dessen selbstverfasste Lebensgeschichten hier erzählt werden, ist nicht einmal ein Typ, der danach schreit, von einem fotogenen und charismatischen Schauspieler dargestellt zu werden, sei es Sam Riley als Ian Curtis, Val Kilmer als Jim Morrison oder John C. Reilly als Dewey Cox, denn quasi das erste, was wir im Film über Hooley erfahren (abgesehen davon, dass er schon in jungen Jahren auf Hank Williams abfuhr), ist ein tragischer Unfall in Kindesjahren, der damit endet, dass der Pfeil eines Nachbarkindes in seinem Auge landet.
Und so ist man bereits dankbar, dass Hooley, der etwa in seinen Mittdreißigern aktuell mal als Discjockey scheiterte, es an einem bedeutungsschweren Abend immerhin schafft, die durchaus bezaubernde Ruth (Jodie Whittaker) zu bezirzen (»you don't look like a man with so many friends«), mit der er später eine kleine Familie aufbaut, ehe auch dieses Projekt spektakulär scheitert, weil Terri sich einfach zu wenig um Spießerkram wie Ratenzahlungen und Sicherheiten kümmert und seine eher zierliche Frau mit ihrem Job als »truant officer« (sowas gibt es im deutschen Sprachraum gar nicht, aber Donald Duck hat das auch schon gemacht: schwänzende Kinder und Jugendliche auf der Straße aufgabeln wie ein Hundefänger) nicht nur rein körperlich überfordert ist, sondern auch reichlich frustriert – während Terri sich in seinen finanziell wenig einträglichen (und das ist noch heftig euphemisiert) Träumen verliert. Ich kann nicht für die Allgemeinheit sprechen, aber für mich ist diese Type abgesehen von einigen charakterlichen Mängeln eine echte Identifikationsfigur. Sozusagen mein Lieblingsenterich in Menschengestalt, aber mit Scheidungsproblemen, den Belfaster »Troubles«, Skinheads, die ihn zusammenschlagen wollen und ähnlichen Details, die in Disneycomics so gar nichts zu suchen haben.
Was den Film weitaus interessanter macht als die meisten schemahaften Biopics, ist unter anderem das unfassbare Spektrum an unterschiedlichsten Geschichten, die im Drehbuch ziemlich clever zusammengewoben wurden. Und dabei wird insbesondere die Verbindung von Musikgeschichte mit politischen Hintergründen manchmal auf großartige Weise filmisch umgesetzt. Meine Lieblingsszene dieses Aspekts von Good Vibrations: Terri berichtet von einigen seiner früheren Weggefährten, bebildert wird das Ganze wie in einem Dokumentarfilm, mit Fotos und ähnlichem Archivmaterial: »This guy ended up in Thin Lizzy. This guy ended up in Wings. These guys -« – und dann die Bilder einer Autobombe.
Trotzdem ist der Film, auch durch seinen musikalischen Drive, lebensbejahend. »We had reggae on our side. And country. And folk and blues and rockybilly!« Mit solchen Weggefährten zieht man auch gerne in einen Krieg, den man nicht gewinnen kann.
Und das Ganze ist auch immens unterhaltsam, wenn dieser zottelige Loser mit dem Glasauge etwa stark angetrunken auf einem Konzert abrockt und von irgendwelchen Möchtegernmusikern angesprochen wird: »Hey you!? Will you bring our record out, too?«, um geistesgegenwärtig zu kontern »I'm not that fucking pissed!«
Wer nur ein wenig Interesse für Musik, Politik und echte Menschen aufbringen kann, sollte versuchen, bei einer Vorführung dieses Film auf die Gästeliste zu kommen (zur Not kann man auch einfach ein Ticket kaufen), und wenn man nicht zu jung ist, freut man sich dann auch noch, wenn man die Schauspielversionen von Feargal Sharkey oder Siouxsie Souix erkennt, bevor die Namen genannt werden. Und, das dürfte nach dem Einstieg dieses Textes keine komplette Überraschung sein: irgendwann taucht auch John-fucking-Peel auf (»Always nice to hear the full name!«)