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29. Oktober 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Pride (Matthew Warchus)
Pride (Matthew Warchus)
Pride (Matthew Warchus)
Bildmaterial. Senator Film
Pride (Matthew Warchus)
Pride (Matthew Warchus)
Pride (Matthew Warchus)


Pride
(Matthew
Warchus)

UK 2014, Buch: Stephen Beresford, Kamera: Tat Radcliffe, Schnitt: Melanie Oliver, Musik: Christopher Nightingale, mit George MacKay (Joe), Ben Schnetzer (Mark), Dominic West (Jonathan), Faye Marsay (Steph), Joseph Gilgun (Mike), Paddy Considine (Dai), Bill Nighy (Cliff), Imelda Staunton (Hefina), Andrew Scott (Gethin), Jessica Gunning (Sian), Rhodri Meilir (Martin), Sophie Evans (Debbie), Monica Dolan (Joe's Mother), Ed Coleman (Simon the Journalist), 120 Min., Kinostart: 30. Oktober 2014

In meiner persönlichen Biographie ist die Ära Thatcher unter den während meiner Lebenszeit aktiven Politikern die prominenteste. Ob Grant Morrison's St. Swithin's Day, Hellblazer #3, Cerebus (Dave Sim: »Wenn man Maggie Thatcher zeichnen will, ist die wichtigste Regel: Kinn und Nase müssen in die selbe Richtung zeigen«), ein Video von den Pogues (»A Pair of Brown Eyes«) und ein Album von den Blow Monkeys (»She was only a Grocer's Daughter«), die gute Maggie hat ausreichend Leute verärgert und dadurch ihren Platz im kulturellen Bewusstsein Englands erkämpft – besonders bei ihren Feinden. Weshalb es auch erstaunlich viele Songs gibt, in der man ihr den Tod wünscht.

Neben dem zweiten Weltkrieg und den »Swinging Sixties« übt die Thatcher-Ära auch heute noch auf englische Filmemacher den größten Reiz aus.

In diesem Fall geht es um eine von wahren Begebenheiten inspirierte Geschichte, die ohne direkten Maggie-Auftritt den in England vielbeachteten »Miner's Strike« (1984-85) mit der (auch durch AIDS) immer politischer werdenden Schwulenbewegung verbindet. Dass die Premierministerin weder die Unterschicht noch Schwule besonders ins Herz geschlossen hat, demonstrierte sie dann auch später noch durch die vermutlich eklatantesten Fehlentscheidungen ihrer Regierungszeit, die »Kopfsteuer« und den Anti-Schwulenparagraph »Clause 28«. Zu dieser späteren Zeit war das englische Volk in Sachen Protestbewegungen dann bereits einigermaßen geschult, und der Hass gegen Thatcher wurde immer vehementer.

Doch zurück zum Film, der anhand zweier Geburtstage eines jungen Protagonisten das Geschehen innerhalb eines genau umrissenen Jahres nacherzählt.

Die Haupthandlung ist schnell erzählt: Eine Schwulengruppe aus London will den Kampf der Minenarbeiter unterstützen, und zwar in einem verschlafenen Provinznest. Da gibt es ausreichend Gegensätze und Konfliktpotential, vor allem ist es natürlich so, dass die Kohlenarbeiter zwar finanzielle Unterstützung brauchen, aber gegenüber den karitativen Sozial-Touristen (meine persönliche, überspitzte und komplett unangemessene Wortwahl) Variationen von zarter Neugier über Kontaktscheue bis hin zum blanken Hass zeigen.

Was Pride in einen wirklich hochinteressanten und unterhaltsamen Film verwandelt, ist die nicht unbedingt naheliegende Idee, aus dieser Prämisse eine Ensemble-Komödie zu machen, in der viele Figuren zwar Klischees entsprechen (gerade die Schwulengruppe erinnert in ihrem Casting-Charakter fast an die Village People, aber auf sehr charmante Weise), dies aber durch die Spielfreude der teilweise hochprominenten Darsteller (Bill Nighy, Imelda Staunton, Paddy Considine, Dominic West) mehr als wettgemacht wird. Und das Drehbuch ist wirklich ein Meisterstück, das auf virtuose Art mit einem Dutzend Figuren jongliert und dabei allen gerecht wird.

Und wer sich wundert, was mein etwas umständlicher Texteinstieg über Anti-Maggie-Protestsongs (und Comics) sollte: Die Musik spielt auch im Film eine zentrale Rolle. Zum einen über ein Benefizkonzert mit Bronski Beat, dass die LGSM (Lesbians and Gays support the Miners) veranstalten wollen, zum anderen aber über die auch im Kleinen verbindende Kraft der Musik, die gerade in den 1980ern in England sehr facettenreich wahr.

Rein musikalisch unterscheidet sich der sozialistische Protestrock von Billy Bragg nicht riesig vom hedonistisch angehauchten Gitarrenrock der Smiths. Zwei der prominentesten Songs aus Pride wirken auch wie eine sexuell-politische Verbrüderung auf musikalischer Ebene. Die Liedzeile »And your prejudice won't keep you warm tonight« aus What Difference does it make? wirkt wie maßgeschneidert für den Film, denn man kann im Element der Wärme sowohl den Brennstoff Kohle als auch die finanzielle Grundversorgung (Miete, Strom, Heizung) und die »menschliche Wärme", wie Morrisey sie oft besang, wiederfinden. Billy Braggs There is Power in a Union ist da schon weitaus klarer umrissen in seiner Bedeutung, aber es spricht natürlich strikt nichts dagegen, dass die Kraft einer solchen Verbindung auch zwischen der durch Bragg repräsentierten Arbeiterklasse und einem liberal intellektuellen Dandy wie dem Leadsänger der Smiths stattfinden kann. Pride vollzieht sozusagen auf filmisch-narrativer Ebene eine heterogene Zweckehe. Wobei die Vorsilbe »hetero« hier gar nicht unbedingt etwas mit Sex zu tun haben muss.