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Bildmaterial © Neue Visionen Filmverleih
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Eine Taube sitzt
auf einem Zweig
und denkt über
das Leben nach
(Roy Andersson)
Originaltitel: En duva satt på en gren och funderade på tillvaron, Schweden / Deutschland / Norwegen / Frankreich 2014, Buch: Roy Andersson, mit Holger Andersson (Jonathan), Nisse Vestblom (Sam), Charlotta Larsson (Lotta), Viktor Gyllenberg (Karl XII), Lotti Törnros (Flamenco-Lehrerin), Jonas Gerholm (Einsamer Leutenant), Ola Stensson (Kapitän / Friseur), Oscar Salomonsson (Tänzer), Roger Olsen Likvern (Hausmeister), Mats Ryden (Mann an Bushaltestelle), 101 Min, Kinostart: 1. Januar 2015
Eine Taube ist mein erster Roy-Andersson-Film, was fast nicht zu entschuldigen ist, denn in der allgemeinen Wertschätzung von Filmfreunden steht der Schwede seinen Beinahe-Namensvettern Paul Thomas und Wes Anderson kaum in etwas nach. Und er ist mittlerweile über 70 und drehte bereits in meinem Geburtsjahr 1967 Filme. Allerdings hatte Andersson zwischendurch mal eine Schaffenspause und dreht seit 2000 auch nur alle sieben Jahre einen neuen Film. Der aktuelle wurde in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet und soll der Abschluss einer Trilogie über das Menschsein sein. Grund genug für mich bezeiten mal Songs from the Second Floor und Das jüngste Gewitter nachzuholen. Ich gebe mir gar nicht erst den Anschein, die Taube in sein Restwerk einzuordnen, aber es gibt ausreichend andere Künstler, an die mich der Film erinnerte.
Zwei traurig wirkende Vertreter für Scherzartikel sind die vermeintlichen Hauptfiguren des Films, und sie erinnern an Laurel & Hardy oder deren postmoderne Ableger Adam & Paul. Und der Humor spielt im Film eine große Rolle, auch wenn der Grundton sehr schwer ist. Wie Zombies schlurfen teilweise grell auf hässlich geschminkte Figuren (ich liebe die Schweißflecken der Flamenco-Tänzer!) durch eine fahle graubraungelbe Welt mit blassgrünen Linoleumfussböden, die ein wenig so aussieht, als sei seit den 1970ern (oder noch länger?) die Zeit stehengeblieben. Die sorgsam ausgestatteten Studiokulissen wirken gemeinsam mit der filigranen Kadrage wie Gemälde von Edward Hopper – nur mit der Farbskala und dem Personal von Gottfried Helnwein oder Otto Dix.
Dabei geht es in schwerer Endzeitstimmung um deprimierende Themen, etwa Tierversuche oder Völkermord. Nicht eben typischer Komödienstoff. Bevor die zwei Handlungsreisenden überhaupt auftauchen, gibt es drei kleine Vignetten, »Drei Begegnungen mit dem Tod«. Beispielsweise verstirbt ein Schiffpassagier und man diskutiert darüber, was mit seinem letzten Kantineneinkauf, einem Garnelensandwich und einem großen Bier, passieren soll. Philosophische Fragen und triviale Alltagsbegebenheiten liegen hier nah beieinander.
Das wichtigste Prinzip der Komödie ist hier der Running Gag, ob es um Vampirzähne oder Telefongespräche geht. Ich neige dazu, mich im Kino zu amüsieren, und so hatte ich im Film eine Menge zu lachen. Aber dennoch gab es auch viel zu staunen und zu grübeln, etwa wenn König Karl XII von Schweden einen Auftritt hat, der mitsamt Pferd in einer Art Bahnhofskneipe auftaucht und darauf hinweist, dass Frauen im Lokal nicht erlaubt sind. Etwas später baggert er dann einen jungen Barmann an (»So ein schöner Mann gehört aufs Schlachtfeld!«), was wohl auch etwas mit der historischen Figur zu tun haben soll – »Er darf im Zelt seiner Majestät nächtigen!«. Die Abgründe des Menschseins (es macht nicht unbedingt den Eindruck, dass der Barmann auf Avancen und Wehrdienst erpicht ist, und bei der Rückkehr des Königs spricht über den Barmann keiner mehr) werden hier weitaus genauer ausgeleuchtet als die positiven Aspekte. Wenn einige Kinder auf einem Balkon spielen oder eine Frau am Fenster eine postkoitale Zigarette raucht, erahnt man, dass man dem Leben vereinzelt auch schöne Aspekte abgewinnen kann. Und in diesen Momenten ist dann auch auffällig, dass Andersson für wenige Sekunden aus seinem verblichenen Farbschema ausbricht.
In manchen Szenen bietet der Film ein richtiges Spektakel, neben der Armee zu Beginn des 18. Jahrhunderts wäre hier ein Animatronics-Werk zu nennen und eine riesige Kupfertonne, die wie die Terry-Gilliam-Animation des Duschraums eines KZs wirkt. Und ich bin auch nicht der einzige, der bei diesem Film an Monty Python denkt, denn auf imdb hat jemand den Beginn des Films schön zusammengefasst:
A person dying while opening a bottle of wine.
And now for something completely different.
Etwas wahrlich anderes ist die Taube ganz sicher. Nicht jeder wird den Film ins Herz schließen, aber es ist auf jeden Fall ein besonderes Kino-Erlebnis, mit dem das neue Jahr beginnt.