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23. Oktober 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Walk (Robert Zemeckis)
The Walk (Robert Zemeckis)
The Walk (Robert Zemeckis)
Bildmaterial © 2015 Sony Pictures Releasing GmbH
The Walk (Robert Zemeckis)
The Walk (Robert Zemeckis)
The Walk (Robert Zemeckis)


The Walk
(Robert Zemeckis)

USA 2015, Buch: Robert Zemeckis, Christopher Browne, Vorlage: Philippe Petit, Kamera: Dariusz Wolski, Schnitt: Jeremiah O'Driscoll, Musik: Alan Silvestri, Kostüme: Suttirat Anne Larlarb, Production Design: Naomi Shohan, Supervising Art Director: Félix Larivière-Charron, Set Decoration: Ann Smart, mit Joseph Gordon-Levitt (Philippe Petit), Charlotte Le Bon (Annie), Ben Kingsley (Papa Rudy), Clément Sibony (Jean-Louis), César Domboy (Jean-François / Jeff), Mark Camacho (Guy Tozolli), Harvey Diamond (WTC Architect), Steve Valentine (Barry Greenhouse), James Badge Dale (Jean-Pierre / J.P.), Ben Schwartz (Albert), Benedict Samuel (David), Yanik Ethier (Mysterious Visitor), Soleyman Pierini (Boy Petit), Patrick Baby (Petit's Father), Marie Turgeon (Petit's Mother), 123 Min., Kinostart: 22. Oktober 2015

Robert Zemeckis ist ein Regisseur, dessen Name deutlicher als jeder andere mit »Künstlichkeit« in Zusammenhang gebracht werden kann. In der Anfangsphase seiner Karriere konnte er sich zwar als echtes Talent beweisen (Back to the Future-Trilogie), aber seit Death becomes her steht oft – zu oft – die technologische Möglichkeit in seinen Filmen der eigentlichen Geschichte im Weg. Bei Who framed Roger Rabbit war die Angeberei dessen, was man machen kann, noch beinahe im Gleichgewicht mit dem, was man daraus macht, aber bei seiner Faszination mit Motion Capture und 3D (The Polar Express, Beowulf) wurde er immer mehr zum Handwerker, der seine Gabe zu Erzählen verlor.

Nach dieser Intro wirkt The Walk eigentlich wie ein Projekt, das man kaum präziser auf den Regisseur zuschneiden kann. Die Geschichte des Mannes, der einen Seiltanz zwischen den Türmen des World Trade Center wagte – gedreht vier Jahrzehnte nach dem historischen Zeitpunkt und ein gutes Jahrzehnt, seitdem diese Wahrzeichen der New Yorker Skyline auf traumatische Weise ausradiert wurden.

Und Zemeckis spielt ganz gezielt mit diesen programmatischen Bausteinen: Der Film beginnt mit einer Sequenz, in der der »Held« und Erzähler (Joseph Gordon-Levitt als Philippe Petit) von der Fackel der Freiheitsstatue aus seine Geschichte beginnt – viel deutlicher kann man die Künstlichkeit inmitten eines authentischen Ambientes (also nicht in einer Fantasywelt oder zwischen Raumschiffen) kaum markieren. Im gleichen Atemzug fällt auch auf, dass Gordon-Levitt (der in diesem Film irgendwie auch immer »künstlich« wirkt, eigentlich noch schlimmer als mit seinem partiziellen Bruce-Willis-Makeup in Looper) seine Einstiegsfrage »Why?« (warum nicht »pourquoi« ?) mit einem deutlichen, schon überdeutlichen französischen Akzent intoniert – und auch das Element »Frankreich / französisch« wird in diesem Film wie ein Prädikat der Künstlichkeit genutzt – wie einst das Zeichentrick-Stinktier Pepe Le Pew in den Filmen von Chuck Jones, das immer an Schildern vorbeilief, die die französische Sprache auf seltsame Artikel begrenzte: »Le Supermarket« , »Le Desert« oder ähnliches.

Wer den echten Philippe Petit aus der Dokumentarfilm-Version der Geschichte kennt, kann bestätigen, dass der Herr einen so ausgeprägten Akzent hat, doch die Authentizität spielt in The Walk so offensichtlich keine Rolle (selbst, wenn man keinerlei Schimmer von der Geschichte hat, ist es offensichtlich, dass hier dramatisiert wurde bis zum Anschlag), das insbesondere das dialog coaching nun wirklich nichts zu beweisen hat. Insbesondere, weil die Grundeinstellung zu Frankreich eben die heutzutage typisch US-amerikanische bleibt: Franzosen sind wie Kanadier, Mexikaner oder Deutsche für die Amis vor allem Witzfiguren. Das Frankreichbild des Films stützt sich auf durch Schwarzweißeinsatz mit Farbelementen noch künstlicher wirkende Szenen, auf aufgesetzt und übertrieben wirkende Akzente (weil die Film-Franzosen auch unter sich immer soviel Englisch sprechen müssen, dass das als lesefaul eingestufte US-Publikum nicht von den Untertiteln überfordert wird) und auf die Bereitschaft, Namen zu »amerikanisieren« (aus Jean-Pierre wird J.P. alias »Dschäi-Pie« , aus Jean-François sogar Jeff). Letztendlich ist die Nationalität der Figuren nur ein »Gewürz« , eine Pointe. Aber da der ganze Film wirkt wie eine Schnur, auf die wie Perlen Pointen aufgefädelt werden, passt das auch irgendwie. Wenn man Französisches Ambiente wie Motion Capturing durch einen Knopfdruck auf Schauspieler und Kulissen applizieren könnte, wäre Robert Zemeckis vermutlich der erste, der das ausprobieren wollte.

The Walk ist ungeachtet des sehr dramatisch wirkenden Trailers vor allem ein harmloser Unterhaltungsfilm, der sich dadurch auszeichnet, dass er einen selbst bei exakter Kenntnis des Verlaufs klamme bis schweißnasse Handflächen zu bescheren. Dafür zieht Zemeckis alle Register seiner Erfahrung. Es reicht ihm beispielsweise nicht, die Dreidimensionalität als Unterstützung der Rauminszenierung einzusetzen, wenn Philippe zum Höhepunkt des Films alle Schichten der Künstlichkeit vereint. Nein, er nutzt das Format 3D auch für hübsche Spielereien und bietet sogar eine Szene, bei der ich (nicht als Einziger im Kinosaal) regelrecht »ausgewichen« bin – ein Beweis für das »in der Filmwelt gefangen sein« , über den ich beim in Hodenhöhe vorbeischnellenden Fahnenmast in Beowulf noch müde gegrinst hätte.

Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob dass, was Zemeckis mit The Walk bezwecken wollte, es verdient hat, dass man dafür ins Kino geht. Doch wenn man sich dafür entscheidet, wird man definitiv nicht enttäuscht. Man mag einiges als zu kitschig, zu verspielt, zu dramatisiert, zu fett aufgetragen, zu unlogisch oder sogar zu albern einstufen – aber der Film bietet perfekte Unterhaltung und ein Kinoerlebnis. Und das habe ich in dieser (Dank an mein Synonymlexikon!) »Kunstfertigkeit« von Zemeckis seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Wenn man unbedingt Blockbuster-Kino und 3D-Spektakel braucht, ist The Walk eine Ausführung davon, die sich die Existenzberechtigung verdient. Und das würde ich mit dieser Bestimmtheit bei dieser Art von Film vermutlich nur drei bis fünf mal pro Jahr behaupten. Und im Jahr 2015 gab es zwar ein paar Blockbuster, die mich stärker fasziniert oder angesprochen haben als The Walk – aber keinen, der für sich – als Film! – deutlicher bestehen konnte. Kleine Makel hier oder dort kann man dafür verzeihen.