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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




3. Februar 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Suffragette (Sarah Gavron)


Suffragette
(Sarah Gavron)

UK 2015, Buch: Abi Morgan, Kamera: Edu Grau, Schnitt: Barney Pilling, Musik: Alexandre Desplat, Kostüme: Jane Petrie, Production Design: Alice Normington, Art Direction: Jonathan Houlding, Choi Ho Man, mit Carey Mulligan (Maud Watts), Ben Whishaw (Sonny Watts), Adam Michael Dodd (George Watts), Anne-Marie Duff (Violet Miller), Grace Stottor (Maggie Miller), Helena Bonham Carter (Edith Ellyn), Finbar Lynch (Hugh Ellyn), Brendan Gleeson (Inspector Arthur Steed), Geoff Bell (Norman Taylor), Natalie Press (Emily Wilding Davison), Adam Nagaitis (Mr. Cummins), Romola Garai (Alice Haughton), Samuel West (Benedict Haughton), Meryl Streep (Emmeline Pankhurst), Simon Gifford (King George V), 106 Min., Kinostart: 4. Februar 2016

Der Film beschreibt den Kampf der britischen »Suffragettes« um das Frauenwahlrecht, beispielhaft am Schicksal der jungen Wäscherin Maud (Carey Mulligan), die zu Beginn des 20. Jahrhundert im Londoner East End zunächst unauffällig ihres Lebens nachgeht und immer stärker in den gefährlichen Kampf gegen die patriarchale Unterdrückung verwickelt wird.

Wenn man Maud anfänglich kennenlernt als glücklich verheiratete Frau, die sich liebevoll um ihren kleinen Sohn kümmert, so ist doch bereits klar, dass ihre Situation vor allem am Arbeitsplatz untragbar ist. Das Leben als Wäscherin ist ein Knochenjob, der Blessuren hinterlässt und immer wieder – auch tödliche – Opfer fordert. Maud ist dabei, seit sie sieben Jahre alt ist, hat es aber in der Hierarchie quasi so weit geschafft, wie es einer Frau möglich scheint. Eine kurze Statistik führt vor Augen, dass es kaum eine Arbeiterin gibt, die es vor Erreichen des 24. Lebensjahres zum »head washer« schafft. Umso prägnanter, dass dies das Alter ist, in dem Mauds Mutter bereits verstarb. »Karriere« als Wäscherin bedeutet vermutlich, solange durchzuhalten, dass man noch erlebt, wie die eigene Enkelin den Job antritt. Das dies aber nicht unbedingt erstrebenswert ist, verdeutlicht der Film unmissverständlich.

Suffragette (Sarah Gavron)

Bildmaterial © 2016 Concorde Filmverleih GmbH

Als Maud auf ihrem Weg vom Job nach Hause (in den Sommermonaten auch mal bei Tageslicht) Zeugin einer geplanten Protestaktion wird (ein Aufruf zum zivilen Ungehorsam), bei der sie selbst indirekt leicht verletzt wird, weiß man als Zuschauer noch nicht, dass ihre Schulter durch einen Arbeitsunfall stark verbrüht ist (dies erzählt der Film als alltägliches Wäscherinnenschicksal mit positiv auffallender Beiläufigkeit) und dass sie sich einen gewissen Favoritismus ihres Vorarbeiters / Chefs Mr. Taylor teuer erkaufen musste. Als die 12jährige Tochter von Mauds Kollegin Violet (Anne-Marie Duff) von Taylor belästigt, ja beinahe vergewaltigt wird, offenbart sich sehr schnell, wie hier teilweise kaum oder nur indirekt miteinander verbundene Tatbestände im Geschlechterkampf kombiniert werden, um die Handlung und Motivation voranzutreiben. Das ist nicht immer unproblematisch, aber zumindest werden hier nicht alle Männer über einen Kamm geschert und sie unterstützen die Frauen (oder zumindest »ihre« jeweilige Frau) auf unterschiedliche Weise. Mauds Mann Sonny (Ben Whishaw mal wieder type-gecastet) wirkt hier zunächst mehr wie ein Opfer als wie ein Täter, bekommt aber von der Männerwelt einfach zu viel Druck und gibt diesen schließlich (der einfachste Weg?) nach »unten«, also in Richtung seiner Frau, weiter. Wobei er Mauds »Radikalisierung« durch einen Rausschmiss und den Entzug ihres Sohns eigentlich nur vorantreibt.

Suffragette (Sarah Gavron)

Bildmaterial © 2016 Concorde Filmverleih GmbH

In diesem »Frauenfilm« (Regie, Drehbuch, Produktion) mal auf die Männer zu achten, ist ganz interessant. Brendan Gleeson als »surveillance expert« hat hier quasi den Gegenpart zu Maud: Anfänglich geht er ganz auf im Kampf gegen die »umtriebigen« Frauen, kennt die Tricks, sie zu überwachen und zu brechen – doch im Verlauf des Films beginnt er zu zweifeln am Recht seines Vorgehens. Er wechselt nicht direkt die Seiten, aber er hinterfragt zumindest den Status Quo – und das ist schon eine Menge. Beispielhaft für die Politik steht jemand, der erst Versprechungen macht, sich dann aber nach dem Wind verbiegt – was auch das in den deutschen Zusatztitel des Films übernommene Diktum »It's deeds not words that'll get us our vote« prägt. Ebenfalls aus der Oberschicht stammt der reiche Gatte von Alice (Romola Garai), der die politische Überzeugung seiner Frau unterstützt, als wäre sie ein Hobby – er zahlt quasi für die Stricknadeln und die Wolle. Oder im besonderen Fall für die Freilassung aus dem Gefängnis. Um dann aber doch mal wieder seinen Standpunkt klar zu machen. Der Grad des Hasses, den man hier gegen die Männer empfindet, ist variabel. Am schlimmsten ist natürlich der Vorarbeiter, der seine Stellung ausnutzt, um sich an Minderjährigen zu vergehen (»She reminds me of you at that age«), aber auch die namenlosen Polizisten, die rücksichtslos auf Demonstrantinnen einschlagen, bestätigen nicht wirklich den Glauben an die Staaatsgewalt. Leider gibt es im Film (ich lasse Brendan Gleeson jetzt mal außen vor) nur eine wirklich positiv gezeichnete männliche Figur. Und die wird so eingearbeitet wie in anderen Filmen eine »Frauenrolle«. Helena Bonham Carter ist als Apothekerin Edith eine der Rädelsführerinnen der Suffragette-Bewegung. Sie nutzt ihren Laden als Treffpunkt (die Polizisten fotografieren draußen fleißig) und schon zu Beginn des Films wird erklärt, dass sie bereits viermal inhaftiert wurde. Ihr Mann Hugh (Finbar Lynch), unscheinbar und eher der Nutznießer von der Intelligenz und medizinischen Ausbildung seiner Frau, unterstützt sie tatkräftig und war selbst immerhin auch schon zweimal dafür im Knast. Doch quasi zum Helden des Films avanciert Hugh, als er sich einmal gegen seine Frau stellt, diese einschließt, als gerade eine riskante Protestaktion bevorsteht. Und er rettet ihr damit eigentlich das Leben. Mit dieser einen positiven Figur dreht der Film die Dramaturgie ganzer Jahrzehnte der Filmgeschichte um 180 Grad, aber dies auf eine sehr unauffällige Art. Und dafür verzeiht man dem Streifen auch das »alle-in-einen-Topf-werfen«, das auf zwei oder drei Ebenen vorherrscht.

Suffragette (Sarah Gavron)

Bildmaterial © 2016 Concorde Filmverleih GmbH

Das geschichtliche Vorbild der Filmhandlung führt vermutlich zu der storytechnisch am wenigsten überzeugenden Entwicklung, denn die eigentliche »Tat«, die am Schluss die Wende bringt, ist die nicht annähernd einleuchtende Einzeltat einer Frau, über die man eigentlich sehr wenig erfährt. Und Natalie Press (My Summer of Love) als Emily Wilding Davidson hinterlässt ungeachtet ihrer mysteriösen Rolle einen weitaus größeren Eindruck als etwa die auf dem Plakat stark gefeaturete Meryl Streep als prominente Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, deren Auftritt im Film aber nur geringfügig größer ist als etwa der von Sean Connery als Richard Lionheart im »Robin Hood«-Film von Kevin Costner.

Der Film endet übrigens mit einer Aufstellung, wann das Frauenwahlrecht in welchen Ländern errungen wurde – und es ist leider so, dass diese Auflistung noch nicht vollständig ist. Das macht den Film nicht automatisch besser, aber als kleine Erinnerung, dass das gesehene Geschehen mehr mit dem zeitgenössischen Leben zu tun hat, als man annehmen würde, ist es durchaus hilfreich.

Suffragette (Sarah Gavron)

Bildmaterial © 2016 Concorde Filmverleih GmbH

Zwischen ähnlichen Filmen, die zu formelhaft und didaktisch vorgehen oder sich beim Beharren auf die ungefärbte Wiedergabe der Details selbst im Weg stehen, trifft Suffragette beinahe die goldene Mitte.