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2. November 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Dieses Sommergefühl (Mikhaël Hers)


Dieses Sommergefühl
(Mikhaël Hers)

Originaltitel: Ce sentiment de l'été, Frankreich / Deutschland 2016, Buch: Mikhaël Hers, Mariette Désert, Kamera: Sébastien Buchman, Schnitt: Marion Monnier, Musik: David Sztanke, mit Anders Danielsen Lie (Lawrence), Judith Chemla (Zoé), Marie Rivière (Adélaide), Féodor Atkine (Vladimir), Dounia Sichov (Ida), Stéphanie Déhel (Sasha), Lana Cooper (June), Laure Calamy (Anouk), Timothé vom Dorp (Nils), Jean-Pierre Kalfon (Faris), Marin Ireland (Nina), Josh Safdie (Thomas), Mac de Marco (Mac), 106 Min., Kinostart: 3. November 2016

Filme, die in bestimmten Jahreszeiten spielen, und die den Frühling, Herbst oder was auch immer symbolhaft oder allegorisch überhöhen, gibt es eine Menge. Dieser Film geht darüber etwas hinaus, denn er spielt in drei aufeinanderfolgenden Sommern, an drei verschiedenen Orten (Berlin, Paris, New York) und beschreibt zum einen die langsame Veränderung der Hauptfigur, und skizziert gleichzeitig elliptisch darüber hinausgehende Handlungsstränge. Ce sentiment de l'été ist dabei ein Film, der zur Aufmerksamkeit bittet. Wer vordergründige Action bevorzugt oder jedes Detail dreimal erklärt bekommen will, ist hier falsch am Platz.

Ich vermeide gern Spoiler, und wer sich lieber im Kinosessel überraschen lassen will, statt im Voraus genau zu wissen, was einen erwartet, sollte den Rest dieses Absatzes überspringen und beim nächsten Absatz weiterlesen. In den allermeisten anderen Kritiken wird man diesen Service vermutlich nicht liefern, weil die Unkenntnis über eine frühes Handlungsdetail es schwer macht, die Geschichte des Films zu erzählen. Ich werde selbst hier keinen vollen Spoiler liefern, sondern mehr eine thematische Einordnung. Im Film geht es um Trauerbewältigung, und deshalb ist die Erzählspanne über zwei Jahre und drei Sommer auch gut gewählt, denn manche Geschichten kann man nicht in zwei Wochen zuende erzählen - auch, wenn das immer mal wieder probiert wird in Filmen aus Hollywood und anderswo.

Dieses Sommergefühl (Mikhaël Hers)

© Rendezvous Filmverleih

Die drei unterschiedlichen Spielorte des Films eröffnen der Hauptfigur Lawrence (Anders Danielsen Lie, ein Darsteller, der dafür bekannt ist, mit minimaler Mimik zu arbeiten, dabei aber dennoch Emotionen übertragen zu können) drei Umfelder, inmitten derer man seine Veränderung beobachten kann. Gleichzeitig gibt es dabei aber auch irgendwie drei verschiedene Filme, mit einem unterschiedlichen Personal in unterschiedlichen Städten und Ländern. Es ist offensichtlich, dass die drei Teile des Films nacheinander gedreht wurden, man hat deutlich das Gefühl, dass improvisiert wurde - aber trotz dieser Leichtigkeit der Sommerbegegnungen, trotz der auf Anhieb schwer festzumachenden Handlungsdetails (es dauert zu Beginn minutenlang, bis erstmals ein Wort fällt) ist der Film clever durchkomponiert.

Dieses Sommergefühl (Mikhaël Hers)

© Rendezvous Filmverleih

Mikhaël Hers, der Regisseur, hat nicht nur eine tiefe persönliche Beziehung zu den drei Spielorten (auch, wenn die Berlintopografie des Film mal wieder große Fragen aufwirft), er arbeitet auch ganz gezielt mit den Ellipsen und der plätschernden Handlung. »Ich mag es, wenn es Freiräume und Intervalle gibt, in die sich der Betrachter hinein projizieren, seine Bedürfnisse stillen oder sich an etwas Geschehenes erinnern kann - oder er sich einfach treiben lässt.« Für Hers geht es zwar um Gefühle (Lawrence bewegt sich in den drei Städten zwischen drei Frauen, die ein wenig wie Fixpunkte auftauchen, aber letztlich genau so flüchtig bleiben wie er - Sommer hat auch immer etwas mit Liebe zu tun...), aber er komponiert Momente, die man mit anderen Momenten in Bezug setzen soll oder kann (»Ich mag die Idee, Spuren zu hinterlassen, Reime zu entwickeln«), wobei wellenförmige Bewegungen entstehen, in denen man die Tiefe des Films entdecken kann.

Eine Menge Wassermetaphern, aber Hers sieht den Sommer als die Jahreszeit der Leere, in der Räume sich (wie seine Ellipsen) danach sehnen, gefüllt zu werden. Trotz der unterschiedlichen Städte ähneln sich auch die Bilder, Hers sagt aus, er sie ständig auf der Suche nach derselben Landschaft. Und man denkt dabei, es geht eher um ein Umfeld, dass man als Person mit der eigenen "Seelenlandschaft" füllen muss. Für wen sich das jetzt nicht zu esoterisch-verkitscht anhört, wer gewillt ist, sich auf die Leinwand zu projizieren, sich in den Figuren wiederzuerkennen, der findet einen Film, der sehr dankbar ist, wenn man sich auf ihn einlässt - und der dabei seine Betrachter auch immer mal wieder beschenkt.

Dieses Sommergefühl (Mikhaël Hers)

© Rendezvous Filmverleih

Ich kann mich aber auch an eine Kritikerkollegin erinnern, die so gar nicht hineinkam in den Film, der alles wie wabernder Nebel erschien, und die ich, wie sie so halbgelangweilt im Sessel lümmelte, mit perfider Bosheit etwas erschreckte, als ich während der Brooklyn-Episode argwöhnte, dass man wohl auch noch in einem vierten Sommer »Idas Bruder in Rom« treffen würde.

Ein Detail, dass mich beim Film ganz persönlich immens verzauberte (auch dies ein Fall der Projektion in die - nicht negativ zu missverstehende - Leere), war übrigens die Figur Tommy (dargestellt von Regisseur Josh Safdie), dessen Stimme und Diktion mich irgendwie tierisch an Will Smith erinnerte.

Dieses Sommergefühl (Mikhaël Hers)

© Rendezvous Filmverleih

Die Darsteller waren übrigens durchweg sehr gut (wenn die einen nicht gefangen nehmen, hat so ein Film gar keine Chance) und auch der Soundtrack überzeugte (neben Songs von den Pixies und Undertones komponiert vom Bandleader der mir gänzlich unbekannten Band Tahiti Boy) - auch, wenn man den vielleicht noch eine Spur besser hätte einarbeiten können.

Ein Kompliment, dass man dem Film unbedingt aussprechen muss: Sein Titel passt erstaunlich gut (auch, wenn es etwas Zeit braucht, dies zu erkennen). Und ich hätte mir tatsächlich auch noch einen Sommer in Rom gefallen lassen...