Dream Boat
(Tristan Ferland Milewski)
Deutschland 2017, Buch: Tristan Ferland Milewski, Kamera: Jörg Junge, Jakob Stark, Schnitt: Markus CM Schmidt, Musik: My Name is Claude, mit Marek, Dipankar, Philippe, Ramzi, Martin, Thomas, Deny, Kevin, Lionel u.v.a., 90 Min., Kinostart: 13. Juli 2017
Eine Woche Testosteron pur. 3000 Schwule aus 89 Ländern treffen sich zu einer Kreuzfahrt mit dem eindeutig zweideutigen Titel »The Cruise«, und jede Nacht ist eine andere Party angesagt.
Dokumentarfilmer Tristan Ferland Milewski begleitet fünf sehr unterschiedliche Passagiere und entwirft dabei ein umfassendes Tableau, bei dem der hedonistische Jugendwahn zunächst vorherrscht, aber mit dem sich nähernden Urlaubsende spielt auch das unaufhaltsame Altern (Horrorvision: der einsame alte Schwule) eine große Rolle.
Uneingeweihte ZDF-Zuschauer wird hier einiges vielleicht verblüffen oder sogar schockieren (wenn der eine, etwas lustlos wirkende Zwei-Sekunden-Blowjob für die Fernsehfassung nicht ohnehin rausgeschnitten wird), aber echte Kenner der Materie (das soll auch nicht die erste Doku zu dem Thema sein) werden einiges zu mäkeln haben. Sie bilden aber auch nicht uneingeschränkt das Zielpublikum.
© Gebrüder Beetz Filmproduktion
Ich (sexuelle Ausprägung: nicht praktizierender Hetero) empfand den Film eher als unterhaltsam, weil ich vergleichbare Menschenansammlungen eher meide und manche kostümierte Menschenschlange vor dem Aufzug nun wirklich etwas erheiterndes hat. Gleichzeitig geht es aber natürlich auch um jene Länder, in denen dieser Film ganz sicher nicht im regulären Kinoprogramm wiederzufinden ist, was einen für die Filmdramaturgie hilfreichen Widerspruch erzeugt (der aber nach ein paar Jahren Panorama auch nichts Spektakuläres mehr ist).
Statt Pralinen findet man auf diesem Kreuzfahrtschiff vier Kondome auf dem Kopfkissen, in einer späteren Einstellung sieht man die Aufräumtruppe einige davon wieder auffegen. Die Schocktherapie für ein bürgerliches Publikum ist hier durchdachte Methode, nach dem Vorspann mit einer manchmal blinkenden Schriftart wie aus den 1970ern folgt hier ein nackter Männerhintern. Die erste Mottoparty ist zum Kennenlernen, hier trägt man auch seine Nationalität aus, als ginge es um eine Fußball-WM. Der Franzose Philippe (47), nur selten ohne Rollstuhl unterwegs und eigentlich in guten Händen, klemmt sich ein Plattencover von Mireille Mathieu vor die Brust und freut sich, dass er »auf der richtigen Höhe« ist, »vom Rollstuhl sehe ich alles«. Bei so viel Exhibitionismus kommt man auch als Zaungast auf seine Kosten.
© Gebrüder Beetz Filmproduktion
Die tägliche Vorbereitung, das Schminken, die Kostüme - dies nimmt im Film ebenso seinen Platz ein wie der Katzenjammer am nächsten Morgen, die grassierenden Infektionen oder die zu überwindende Schüchternheit etwa des Inders Dipankar (32), der vor zwei Jahren noch in einer arrangierten Ehe steckte. »This is my opportunity to find love.« Sein Coming-Out ist doppelt schwierig: zum einen steht in Dubai auf homosexuelle Handlungen eine Gefängnisstrafe, zum anderen besitzt Dipankar auch nicht unbedingt einen Körper, für den sich (gerade bei der herausgeputzten, zu vielem bereiten Konkurrenz) sofort Schlangen bilden. Vom mangelnden Selbstbewusstsein gar nicht zu sprechen. »It is a hard reality, if you're not attractive.«
So »Friede, Freude, Eierkuchen«, wie das Ganze von außen wirkt, ist es nicht für jeden Teilnehmer der Kreuzfahrt. Auch, wenn der Inszenierungsstil des Films mit hübschen Drohnenaufnahmen, einem immerblauen Himmel und einem Meer von größtenteils gestählten Körpern wirkt wie eine etwas andere Mixtur aus Baywatch und dem Traumschiff. Keine Pamela Anderson, mehr Sascha Hehn und knappe Matrosenanzüge.
© Gebrüder Beetz Filmproduktion
Man hört ja immer mal wieder die Geschichten von Leuten, die vorgeben, sich übergeben zu müssen, wenn sie nur sehen, wie sich zwei Männer küssen. Die werden Dreamboat sicher nicht zuende sehen. Ich persönlich hatte eher ein Problem mit dem Musik. Das humpta-humpta-Techno- und Trance-Gestampfe ist nicht jedermanns Sache. Weshalb man sich in der Montage wohl auch Mühe gab, den Tagesrhythmus der Fahrt in der Abwechslung aus Interview, Urlaubsbildern (mit einem Soundtrack, der nach Glockenspiel klingt) und Partystimmung wiederzugeben.
Neben den gefeatureten Protagonisten wurden offensichtlich noch viele andere Passagiere interviewt. Weil einige aber anonym bleiben wollten (zumindest legt der Kontext das nahe), hat man viermal im Film eine abgefilmte Garde von Vorzeigeschwulen, die in die Kamera grinsen, während man aus dem Off Einzelkommentare hört (»Meine Eltern wären froh, wenn ich tot wär«), die nicht direkt in Bezug zu den abgebildeten Personen gesetzt werden können. Generell nicht die schlechteste Idee, aber durch die Wiederholung zieht sich das Ganze, da wäre eine andere Lösung von Nöten gewesen.
© Gebrüder Beetz Filmproduktion
Auch ist der Ton selten synchron zum Bild bei den Partys, auf denen man auch gern Zeitlupenbilder einsetzt. Was das Ganze abermals für ein breiteres Publikum »verharmlost«. Wie gesagt, Schocken ist okay, aber nicht gleich das Publikum vertreiben. Wie ein Blick ins Affenhaus, bei dem einem aber nicht gleich Körperausscheidungen entgegenfliegen sollen. (Ich weiß, dieser Vergleich ist sehr riskant, mir geht es dabei aber nur um das - for lack of a better term - »gutbürgerliche« Publikum, auf dessen Neugier man hier wohl irgendwie baut.
Ich stelle mir beim Film vor, dass etwa die Aussage eines der ungezeigten Interviewpartners, der dreimal die Woche mit seiner Mutter telefoniert, ihr aber nicht sagen will, dass er schwul ist, weil sie dann den Kontakt abbrechen könnte und er nie wieder ihre Stimme hören kann, für manche Fernsehzuschauerin Anlass zum Reflektieren bietet. Wer indes diesen Film im Kino sieht, hat vermutlich schon eine gewisse Offenheit für das Thema.
Ich stelle gerade fest, dass mein Text sich jetzt nicht so positiv anhört, aber ich habe mich nur selten gelangweilt und fand die »Hochglanz-Doku« als anderen Ansatz durchaus interessant. Seltsamerweise gehöre ich mit einer gewissen Aufgeschlossenheit und Empathie wohl zu jenen Zuschauern, bei dem der Film funktioniert. Aber ich will auch nicht beschönigen, dass mich zumindest eine der Figuren irgendwie stark nervte: der österreichische Fotograf Martin Darling. Irgendwas an seinem Tonfall und seiner Einstellung hat mir das Fell gegen den Strich gebürstet. Aber man kann ja auch nicht alle Leute supersympathisch finden wegen irgendeines bestimmten Merkmals.