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13. September 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  What Our Fathers Did: A Nazi Legacy (David Evans)


What Our
Fathers Did:
A Nazi Legacy
(David Evans)

Originaltitel: My Nazi Legacy, UK 2015, Buch: Philippe Sands, Kamera: Sam Hardy, Philippe Blaubach, Matt Grey, Schnitt: David Charap, Musik: Malcolm Lindsay, mit Philippe Sands, Niklas Frank, Horst von Wächter, 92 Min., Kinostart: 14. September 2017

Philippe Sands, der Erzähler und Motor dieses Films, ist ein international tätiger Jurist für Staats- und Menschenrechte. Er ist in England aufgewachsen, seine Familie stammt aber aus der Ukraine. Wobei diese Familie jüdischen Glaubens mit Ausnahme von Sands Großvater während des zweiten Weltkriegs ausgerottet wurde.

Während der Recherchen zu einem Buch lernte Sands zwei ältere Herren kennen, die jeweils 1939 geboren wurden. Ihre Väter waren nominell auch jeweils Juristen, sind aber dadurch bekannt geworden, dass sie, in unterschiedlicher Bedeutung in der damaligen SS-Hierarchie, die Befehlsgeber waren, die damals u.a. für den Tod von Sands' Familie verantwortlich waren.

What Our Fathers Did: A Nazi Legacy (David Evans)

Hans Frank war damals »Generalgouverneur von Polen«, Alternativbezeichnung »Schlächter von Polen«, sein Sohn Niklas, der ein eher schwieriges Verhältnis zum Vater hatte (der emotionale Höhepunkt bestand darin, dass der Vater ihm einst Rasierschaum auf die Nase stupste), ist der Ansicht, dass sein Vater mit Recht nach seinem Prozess in Nürnberg aufgehängt wurde.

Otto von Wächter war einer von Franks Untergebenen und Stellvertretern, vom Titel her »Gouverneur von Galizien« und SS-General, zuständig für die Stadt Lwiw, wo Sands' Familie lebte. Nach der Befreiung tauchte von Wächter unter und starb eines natürlichen Todes im Jahre 1949. Wächters Sohn Horst (übrigens nach Horst Wessels benannt!) hatte somit etwas mehr Zeit mit seinem Vater, auch eine herzlichere Beziehung - und er beharrt bis heute darauf, dass sein Vater kein Mörder war, sondern nur selbst ein vom Tode bedrohtes Rädchen in der Nazimaschinerie, der aber irgendwie dabei versuchte, feinen Sand ins Getriebe zu streuen.

What Our Fathers Did: A Nazi Legacy (David Evans)

Im Verlauf der Reise der drei Protagonisten durch die Orte, die ihre Familiengeschichten auf seltsame Art verbinden, entzweien sich die beiden Freunde Niklas und Horst immer deutlicher, während Niklas zusammen mit dem Interviewer Sands versucht, Horst von der irrigen Annahme abzubringen, dass sein Vater quasi »unschuldig« einen schlechten Ruf bekam.

Die Beweislage ist eigentlich erdrückend, doch Horst weigert sich vehement, die Wahrheit zu akzeptieren und sein Bild des Vaters zu revidieren. Dabei ist er gar kein überzeugter Antisemit, Neonazi oder Holocaust-Leugner, er besteht nur darauf, dass man ihm mit einer eindeutigen Unterschrift des Vaters beweisen müsse, dass er tatsächlich die Morde anordnete und nicht etwa, so die Mär, an die er sich klammert, versucht habe, sie zu verschleppen.

Während die drei auf den Spuren der Vergangenheit reisen, eine zerstörte Synagoge besuchen, ein blühendes Feld, das gleichzeitig ein Massengrab ist oder einen Gerichtssaal, in dem Niklas sogar eine alte Rede voller boshafter Häme den Opfern gegenüber verliest, damit aber Horsts Leugnen nur hartnäckiger erscheinen lässt, entspinnt sich dieser Dialog um Schuld und Akzeptanz, bei dem Philippe Sands eigentlich durchweg besonders besonnen wirkt, man aber nicht aus den Augen verliert, dass er zwar nicht der Regisseur des Films ist, aber derjenige, der entscheidet, womit man Horst als nächstes konfrontieren könnte, um ihn zur Einsicht zu bringen. Recht auffällig ist hierbei auch die Wortwahl von Horst, der sehr häufig ein »of course« einräumt, diesem aber eigentlich immer ein »but« folgen lässt, mit dem er die Anschuldigungen wieder abzuwälzen versucht.

What Our Fathers Did: A Nazi Legacy (David Evans)

Einerseits ist der Blick in die Vergangenheit, gestützt durch die Kindheitserinnerungen der damals privilegierten Kinder, die das Kriegsende so ganz anders erlebten, als unsereins es sich vorstellt, sehr interessant. Für Horst wurde damals »die Normalität zerstört«, das fröhliche Familienleben mit Skiurlauben und Bootstouren auf dem See unwiederbringlich verloren, weil der Vater dann ja mehrere Jahre untertauchte und nur gelegentlich von der Familie besucht werden konnte.

Erschreckend sind auch die Berichte über einen Besuch des jüdischen Ghettos in Warschau (ich bin mir nicht ganz sicher, welcher der Knaben davon erzählt), wo man ein schlechtes Gewissen dafür hatte, dass man aus der Limousine einem traurigen Jungen gegenüber die Zunge herausstreckte, der dann weglief. Gleichzeitig erinnert man sich (und ich nehme intuitiv an, dass dies Horst war) aber auch daran, dass die Mutter hier »shoppen« ging und ihrer Vorliebe für Pelze frönte. Wobei der Interviewer, dessen Perspektive eine andere ist, natürlich nachhakt, inwiefern man dies »Shoppen« nennen kann, wenn die Frau des SS-Chefs die Preise bestimmt und die Pelze im Grunde verschenkt wurden, um den früheren Besitzern ein kurzfristiges Überleben zu ermöglichen.

Was etwas schade bei dem Film ist, ist die englische Sprache. Die Filmemacher kommen aus England, die Nazisöhne sprechen (erstaunlich gutes) Englisch, aber man merkt hier und da unterschwellig, dass bei den Gesprächen durch den Sprachwechsel etwas verloren geht. Wenn Niklas etwa behauptet »He wasn't my father.«, worauf ein bestimmtes »He was your father!« folgt, dann verrät das in den Satz hereingerutschte deutsche Wort in »Biological, aber not ---« vieles.

What Our Fathers Did: A Nazi Legacy (David Evans)

Dramaturgisch irgendwie der Höhepunkt des Films ist neben einer Podiumsdiskussion in London, die ich gern in ihrer Gesamtheit verfolgt hätte, ein Ausflug zu einem Neonazitreffen, die sich in ihren Devotionalien aufplustern und Horst quasi wie einen Helden behandeln. Ein alter Ukrainer erklärt Horst hier, dass sein Vater »ein hervorragender Mann war, der geholfen hat, eine Nation zu befreien.« Worte, die je nach Perspektive natürlich ganz unterschiedliche Dinge bedeuten können.

Besonders spannend ist es in dieser Passage des Films, wenn man drauf achtet, wie Horst diese Begegnungen mit seltsamen Uniformträgern mit Kalashnikovs genießt. Dass er mal einmal nicht beschuldigt wird, sondern die Gesprächspartner auf seiner Seite stehen - obwohl er hier natürlich nicht darauf besteht, dass er eine gänzlich andere Theorie zum Wirken seines Vaters hat. Und er auch ein wenig versucht, sich sein Vergnügen nicht zu sehr anmerken zu lassen.

My Nazi Legacy hat mehrere Momente, in denen man etwas kritisch abwägen muss (auch das Vorgehen von Regisseur und Erzähler), aber innerhalb des Genres von Dokus, in denen quasi die Recherche eines Protagonisten begleitet wird, wirkt der Film erstaunlich fokussiert, obwohl die Gesprächsrunden auf dieser bruchstückhaften Reise nur facettenhafte Einblicke gewähren.