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13. Dezember 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Ein Date für Mad Mary (Darren Thornton)


Ein Date für Mad Mary
(Darren Thornton)

Irland 2016, Originaltitel: A Date for Mad Mary, Buch: Darren Thornton, Colin Thornton, Lit. Vorlage: Yasmine Akram, Kamera: Ole Bratt Birkeland, Schnitt: Tony Cranston, Juangus Dinsmore, Musik: Hugh Drumm, Stephen Rennicks, mit Seána Kerslake (Mary), Charleigh Bailey (Charlene), Tara Lee (Jess), Denise McCormack (Suzanne), Barbara Brennan (Nan), Siobhan Shanahan (Leona), Shaun Dunne (Liam aka John Carter), Ben Condron (Declan), Shauna Higgins (Julie), Jamiu Giwa (Udel), Kelly Byrne (Scarred Girl), Tatiana Ouliankina (Oksana), Norma Sheahan (Sally), Darragh O'Toole (Guy With Jess), Dylan Kelly, Colm Kenny Vaughan, Terry O'Neill, Rob Harrington, Joe Lydon (Dates), John Finegan, Conor Byrne, Jason O'Reilly (Bouncers), Stephen Cromwell (Grungy Guy), Sarah Gorman (Grungy Guy's Girlfriend), Fionnuala Murphy (Charlene's Mum), Darren Creaven (Taxi Driver), Emily Thomson (Single Lady in Dating Video), David Thornton (Father of the Bride), Shawn Thornton (DJ), 82 Min., Kinostart: 14. Dezember 2017

Normalerweise würde man einen Film, der bei der Umsetzung seiner primären Zielsetzung eklatant versagt, als eher misslungen umschreiben, aber aus unerfindlichen Gründen hat A Date for Mad Mary großartig funktioniert, obwohl der Film eben nicht funktioniert hat. Vielleicht liegt die Hauptschuld darin aber auch in seinem deutschen Verleih begründet.

Der nach Manfred Salzgeber, einer treibenden Kraft hinter dem Panorama-Sektor der Berlinale benannte Verleih, vertreibt zu gefühlt 98 Prozent Filme mit der stetig anwachsenden Anzahl »besonderer« Buchstaben, die aktuell glaube ich als LGBTQ umschrieben werden, aber for good measure würde ich vorsichtshalber noch ein paar Sternchen dazwischen werfen. Das soll jetzt nicht respektlos klingen, aber der ständig wachsende Rattenschwanz der political correctness verfehlt deutlich seine Funktion, wenn man gefühlt alle anderthalb Jahre diese ohnehin holprige Buchstabenkombination neu erlernen muss. Mit einer ausreichend mächtigen Medien-Lobby würden die Sinti und Roma inzwischen sicher auch längst auf sechs oder sieben Buchstaben kommen, wenn man jede noch so kleine Minderheit mitschleppen würde und es vermutlich auch noch innerbetriebliche Grabenkämpfe gäbe, welcher Buchstabe jetzt an welcher Stelle stehen muss, soll oder darf...

But I digress.

Ein Date für Mad Mary (Darren Thornton)

Foto: Salzgeber

Die »Mad Mary« aus dem Filmtitel (ziemlich großartig: Seána Kerslake) wird zu Begin des Films aus dem Gefängnis entlassen (sechs Monate für Körperverletzung) und man entnimmt dem voice-over-Kommentar, der sich nach und nach als die Vorarbeiten einer Hochzeitsrede offenbart (»the things you need to know about Charlene«), dass Mary zumindest vor der Haftstrafe eine allerbeste Freundin (»t'ick as thieves«) namens Charlene (Charleigh Bailey) hatte, mit der sie am allerliebsten gleich mal wieder eine Nacht durchfeiern würde, doch die ist gerade in den Vorbereitungen ihrer Hochzeitsfeier verstrickt und geht auch ein wenig auf Distanz.

Mit der Salzgeber-Programmstruktur im Hinterkopf, einem Tank-Girl-Poster in Marys Zimmer und einem Tattoo auf ihrer Hand, bei dem sich zwei Ws quasi die Hand geben, bin ich eigentlich von vornherein davon ausgegangen, dass Mary zumindest ein paar lesbische Erfahrungen hinter sich hat, und als sie vor einem Club aggressiv einen Kerl angräbt, der mit ihr in der Schlange steht (woraufhin dessen weibliche Begleitung unwirsch reagiert und sich beinahe die nächste Körperverletzung entwickelt), war ich etwas überraschter als über die Entwicklungen des Plots, der dann etwas später, nach dem Auftauchen einer auffällig attraktiven Hochzeitfotografin namens Jess (Tara Lee), eine andere »Überraschung« offenbart. Der Umstand, das auch Jess zu Beginn des Films eine Männerbekanntschaft hat bei sich übernachten lassen, hat für mich nie die Bedeutung gehabt, die ihr vermutlich im Drehbuch beigemessen wurde.

Ein Date für Mad Mary (Darren Thornton)

Foto: Salzgeber

A Date for Mad Mary ist vom Genre her eine romantic comedy, wie sie straighter kaum erzählt sein könnte (sogar mit dem ganzen Hochzeitsgedöns, Brautjungfer, Kleidanprobe und »Mamma-Mia-Motto-Party«). Auf dem sexuellen Level geht es aber um eine lesbische Liebe, die einem der Film verkaufen will, als käme sie zumindest für eine Hälfte der zwei Beteiligten komplett unerwartet (die Perspektive von Jess bleibt da ein wenig schwammiger).

Später im Film habe ich die Handlung so aufgefasst, dass Mary erst im Nachhinein ihre Freundinnen-Beziehung zu Charlene einer gewissen Prüfung unterzieht, und Charlene ihrerseits, auf dem Weg in den heterosexuellen Ehehafen, die sexuelle Umorientierung der einst besten Freundin fast wie eine Gefahr wahrnimmt, wobei sie bei allem heterosexuellen Glück, das in der Inszenierung ein wenig ambivalent bleibt (zumindest mir fiel es auf, dass der Bräutigam-in-spe sie zumeist nur auf die Wange küsst), in einigen Momenten auch ein wenig zu überlegen scheint, ob sie nicht an irgendeinem Punkt ihres Lebens vielleicht die entscheidende Abzweigung verpasst haben könnte.

Wohlgemerkt, dies sind ganz persönliche Interpretationsansätze, die in der Inszenierung keinesfalls überdeutlich integriert sind, sondern halt darauf fußen, dass ich schon vor dem Kinobesuch allein aufgrund des Verleihs gewisse Erwartungen hatte, die die Filmhandlung nur in geringen Ansätzen zerstreuen konnte. Ein bisschen wie Jack Nicholson in The Shining, wenn man ein paar publicity stills oder Ausschnitte gesehen hat, und die »Entwicklung« zum Wahnsinnigen jetzt rein darstellerisch ein gewisses Problem hat, weil Nicholson eigentlich fast durchgehend in seiner Karriere den Durchgedrehten mimte und er in seiner bekanntesten Rolle in der Klapse sitzt (One flew over the Cuckoo's Nest).

Ein Date für Mad Mary (Darren Thornton)

Foto: Salzgeber

Aber so wie The Shining noch mehr zu bieten hat als das Augenrollen von Jack Torrance, so überzeugte mich A Date for Mad Mary auf mindestens noch zwei anderen Leveln als die durchaus ansprechende lesbische love story.

Zum einen ist da der Spitzname »Mad Mary«. Mary, die von einer Kritikerkollegin im »Indiekino« als »maulfaul, aggro und sehr leicht reizbar« umschrieben wird, steckt in einer Spirale der Gewalt, die auch für ein Coming-Out in Hintertupfingen (bzw. das irische »Drogheda«) und die von ihrem Background überforderte Jess einige Probleme mit sich bringt. Abgesehen von Marys fast schon traditionellen Querelen mit den Bouncern des örtlichen Clubs (denen sie einmal nur durch eine Maskerade zumindest für einige Zeit entgeht) spielt der Film für mein Gefühl sehr subtil und unterschwellig mit Marys Vergangenheit, wenn bei ihrem neune Job als Kassiererin in einem Fast-Food-Laden plötzlich eine Kundin vor ihr steht, die eine Narbe im Gesicht hat - und die durch dieses Treffen offenbar stark traumatisiert wurde.

Das Schauspiel der Seána Kerslake zeichnet sich, in einer gewissen britischen Tradition, durch ausgeprägtes Understatement aus. Ihre Mundwinkel sind meist leicht nach unten gezogen, ihr ganzes Leben scheint sich durch eine gewisse Langeweile auszuzeichnen, in der der hang zur Gewalt wie ein intensiver Akzent, fast ein »Farbtupfer« wirkt. Ohne, dass dies im Film ausgiebig thematisiert oder gar therapiert wird, sieht man aber in den Nuancen ihrer Gesichtszüge dennoch etwas wie eine Entwicklung. Nicht unbedingt eine Änderung, aber die Grundzüge eines entstehenden Verständnisses. Die winzige Begegnung an der Fast-Food-Kasse führt Mary vor Augen, dass zu der Geschichte ihrer Haftstrafe auch eine andere Geschichte gehört, ein Schicksal, das vermutlich nicht weniger schwer ausfällt - und an dem sie Schuld trägt.

Ein Date für Mad Mary (Darren Thornton)

Foto: Salzgeber

Ein kleiner Balanceakt (und der ist sogar gelungen) besteht im Film darin, dass die Komödie romantischer Natur trotz des zumindest für deutsche Zuschauer nicht gelungenen »Überraschungseffekts« und der Gewaltproblematik dennoch erstaunlich leichtfüßig gelingt. Gerade auch durch die ungewöhnliche Protagonistin, der man gerne einen break wünscht - und die ich durchaus positiver wahrgenommen habe - auch, weil man durch ihre voice-over-Stimme ziemlich schnell einen Einblick in ihr Inneres bekommt, der im großen Widerspruch zu ihrem Äußeren steht.

Ich lache gerne mal, aber es »gelingt« mir auch öfters bei misslungenen Komödien geradezu stoisch keine Miene zu verziehen, wenn mich ein Film nervt. A Date for Mad Mary empfand ich als sehr witzig (ganz großartig: die Großmutter mit ihrem knochentrockenen Kommentar »Even a sniper wouldn't take you out!«), weil die Hauptfigur zur Story »Ich will jetzt ein Date zur Hochzeit meiner Freundin organisieren« einfach kongenial passt, während sie auf ähnlich »maulfaule« Kerle stößt. Ebenfalls sehr erheiternd: diese absurde regionale Dating-Agentur, die in ihrem Werbe-Clip neben der Sprecherin mit dem superfetten russischen Akzent »Beispiel-Singles« vorführt, bei denen er vernarbt und sie deutlich übergewichtig ist - läuft anscheinend aber auch so!. Und statt dieser Hollywood-Cuteness hat »Mad Mary« einfach diesen Minimalismus - obwohl ich die Darstellerin toller finde als all diese Witherspoons und Anistons auf einen Haufen geschmissen.