Licht
(Barbara Albert)
Österreich / Deutschland 2017, Buch: Kathrin Resetarits, Barbara Albert, Lit. Vorlage: Alissa Walser, Kamera: Christine A. Maier, Schnitt: Niki Mossböck, Musikalische Leitung: Lorenz Dangel, Kostüme: Veronika Albert, Szenenbild Katharina Wöppermann, mit Maria Dragus (Maria Theresia Paradis), Devid Striesow (Franz Anton Mesmer), Lukas Miko (Joseph Anton Paradis), Katja Kolm (Maria Rosalia Paradis), Maresi Riegner (Agnes), Johanna Orsini-Rosenberg (Maria Anna von Posch), Stefanie Reinsperger (Köchin Johanna), Susanne Wuest (Jungfer Ossine), Christoph Luser (Graf Pellegrini), 97 Min., Kinostart: 1. Februar 2018
Meine aktuellen Texte zeugen alle davon, wie sehr der ganz persönliche und zeitgebundene Gemütszustand eine Filmbewertung beeinflussen kann.
Bei mir hatte etwa Licht unglaubliches Pech. Keine 24 Stunden zuvor hatte ich Arthur Penns The Miracle Worker (1961, dt. Titel: Licht im Dunkel) auf DVD gesehen, einen Film über die taubblinde Helen Keller und ihre Erfahrungen mit ihrer neuen Lehrerin Annie Sullivan (Oscarnominierung für Anne Bancroft). Ein Fall, der mich seit der Comicversion von Joseph Lambert (dt. Titel: Sprechende Hände) sehr faszinierte, und seit mich die erste Autobiographie Kellers als verspätetes Geburtstagsgeschenk erreichte, hatte ich mal erwähnt, dass ich den Film gerne sehen wollte - woraufhin ich auch diesen geschenkt bekam...
© Christian Schulz NGF LOOKS
Klingt alles extrem unglaubwürdig, aber ich hatte weder im geringsten darüber nachgedacht, worum es in einem Film mit Titel Licht gehen könnte (Regisseurin Barbara Albert reichte für mich vollauf als Info, mich für den Film zu entscheiden) - noch war mir aufgefallen, dass der deutsche Titel von The Miracle Worker (der fett auf der Original-DVD prangte, die ich als Teil einer Sammlungsverkleinerung ohne Hülle oder Cover erhielt) ja durchaus ähnlich klingt.
Jedenfalls saß ich dann in einem reichlich überfüllten kleinen Kino (direkt zwischen zwei meiner liebsten Kritikerkollegen, deren Meinungen sich übrigens - wie häufig - exakt so verteilten, als säßen mir ein kleiner Teufel und ein ebenso winziger Engel auf den Schultern) und in einer Marie-Antoinette-Aufmachung (Turmfrisur, viel Puder) saß die mir unbekannte Maria Dragus (Tiger Girl hatte mich anhand einiger Ausschnitte nicht ausreichend angesprochen) vor einem Klavier, spielte ein reichlich langes Musikstück und verdrehte dabei seltsam ihre Augen. Erst nach und nach begriff ich, dass diese Maria Theresia aka "Resi" wohl blind ist. Und die Kritik ihrer Mutter, das hübsche und begabte Kind (na gut, die junge Frau) solle sich Mühe geben, dabei besser auszusehen, war natürlich - wie vieles anderes in dieser ersten Szene - als historische Gesellschaftskritik auf dem Weg zur Satire zu erkennen. "Wer nicht sieht, der wird nicht gesehen" contra "Am Klavier, da weiß ich, wo alles ist!"
© Christian Schulz NGF LOOKS
Im Verlauf des Films geht es dann um den sehr suspekten »Heiler« Franz Anton Mesmer (Devid Striesow), eine tatsächlich eintretende Heilung und eine Handlung, die mich sehr stark an den SF-Klassiker Flowers for Algernon erinnerte (Hugo Gernsback Award für Daniel Keyes' Kurzroman, mit Ernest Borgnine als Charlie verfilmt).
Oder an das Sprichwort »wie gewonnen, so zerronnen«.
© Christian Schulz NGF LOOKS
Dummerweise konnte mich aber weder das Wien der 1770er noch die versnobte Gesellschaft dort (»Jetzt isse hin, die Missgeburt!«) wirklich interessieren (wenn man einzelne Figuren besser kennengelernt hätte und sie nicht zu klischeemäßig »böse« dargestellt worden wären, war hier durchaus Potential gegeben). Und das Zusammenspiel zwischen Dragus und Striesow konnte zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise mithalten mit Bancroft und ihrer anfänglich sehr wilden Schülerin (Patty Duke hieß die Darstellerin, sie verstarb 2016), die eine expressive Schwarzweiß-Tour-de-Force hinlegten, während Dragus und Striesow eigentlich gar nicht so viele gemeinsame Szenen hatten.
Der Film steuerte zu jedem Zeitpunkt andere Ziele als die, die mich angesprochen hätten - etwa Resis sich verändernde Beziehung zur Dienerin Agnes (Maresi Regner), die vielversprechend begann, dann aber an die Peripherie gedrängt wird - und das auf unschöne Art.
© Christian Schulz NGF LOOKS
Die Buchvorlage des Albert-Films hat den schönen Titel Am Anfang war die Nacht Musik, der Resis Hauptproblem im Film gut auf den Punkt bringt: je besser sie zu sehen lernt, umso schwerer fällt es ihr, sich auf die Musik zu konzentrieren - und für ihre musikalische Begabung hat sie eine Gnadenpension von der Kaiserin bekommen, wodurch dieses Talent quasi (lebens-)wichtiger erscheint als die Chance ein »normales« Leben zu führen. Das vereinfacht die Filmhandlung ziemlich, aber gibt einem einen gewissen Überblick.
Es gibt einige sehr hübsche Szene im Film, darunter auch jene, in denen das titelgebende Licht eine große Rolle spielt (nicht zuletzt die symbolhaft spärlich verteilten POV-Shots), aber im Vergleich zu den anderen Albert-Filmen, die mich über die Jahre lehrten, die Regisseurin und ihr Umfeld zu schätzen (Nordrand, Böse Zellen, Fallen), war dieser Kostümfilm mit dem klaffenden Konflikt zwischen der menschlichen Hässlichkeit und der ästhetisierten Oberfläche mir zu unpersönlich und zu over the top.