Foxtrot
(Samuel Maoz)
Israel / Deutschland / Frankreich / Schweiz 2018, Buch: Samuel Maoz, Kamera: Giora Bejach, Schnitt: Arik Lahav Leibovich, Guy Nemesh, Musik: Ophir Leibovitch, Amit Poznanky, Kostüme: Hila Bargiel, Production Design: Arad Sawat, mit Lior Ashkenazi (Michael Feldman), Sarah Adler (Dafna Feldman), Yonatan (Jonathan Feldman), Gefen Barkai (Kader-Kommandant), Dekel Adin (Dosen rollender Soldat), Shaul Amir (Soldat mit Kopfhörern), Itay Exlroad (Tanzender Soldat), Karin Ugowski (Michaels Mutter), 113 Min., Kinostart: 12. Juli 2018
Das erste, was man über Foxtrot wissen sollte, ist die Dreiteilung. Im ersten Teil geht es um die Mitteilung des Todes eines Soldaten - und wie dies seine Eltern aus der Bahn wirft. Im zweiten Teil geht es dann um den Alltagstrott dieses Soldaten (und dreier namenloser Kollegen), was trotz der unglaublich langweiligen Mission zu dramatischen Momenten führt. Im dritten Teil kehrt man zur Familie zurück, weniger depressiv-fatalistisch wie zu Beginn.
Schon diese Konstruktion, bei der sich wichtige Erkenntnisse erst aus den vagen Verbindungen, teilweise aus Ellipsen erschließen, erinnert an einen Comic-Strip, mit den wichtigen Momenten im »gutter«, zwischen den Panels. Diese Betrachtungsweise drängt sich nicht auf den ersten Blick auf, meine Interpretation wurde erst während des Films entwickelt, denn eine vom Soldaten Jonathan in sein Sketchbook gezeichnete graphische Erzählung gehört zu den wichtigen Details (genau wie ein sehr Playboy-ähnliches Pinup-Magazin), die zu den wichtigen Querverbindungen zwischen den drei Teilen führen.
Das Comichafte des Films kann man aber auch im Detail erkennen, der häufiger mit wenigen kraftvollen Bildern, die sich erst beim Betrachter zusammenfügen, seine Geschichte erzählt. Das ist zwar das Hauptprinzip der Montage und somit ein typisch filmspezifisches Erzählprinzip, aber ich musste dabei trotzdem an Comics denken.
Foto: Giora Bejach © NFP Marketing & Distribution
Gleich zu Beginn gibt es etwa einen Finger, der auf den Klingelknopf der Familie Feldmann drückt. Im zweiten Bild öffnet sich die Tür aus der Sicht von außen (also subjektiv aus der Sicht des Klingeldrückers) und man sieht Frau Feldman (Sarah Adler spielt die Dafna). Der Gegenschnitt erfolgt noch nicht, das dritte Comicbild wird quasi unterdrückt, aber aufgrund dessen, was sie sieht, formt sich ihre Reaktion. Als man dann noch aus dem Off eine männliche Stimme hört, die Dafna höflich etwas erklären will, fällt sie in Ohnmacht, die zwei Soldaten, die ihr vom Tod ihres Sohnes berichten sollen, kommen erst ins Bild, wenn sie die die Nachricht ahnende Mutter auffangen.
Viel später (im Mittelteil des Films) gibt es eine Szene, die mir auch in Erinnerung blieb, weil sie in ihrem Symbolcharakter so comichaft war. Der Castingprozess bei Comiczeichnern (ich habe da zuvor auch nie drüber nachgedacht) führt ja irgendwie zur Überdeterminiertheit. Wo ein Regisseur aus sagen wir mal fünf Statisten oder zehn Handfeuerwaffen jeweils die aussucht, die zu seiner Vision passt (oder weitere bestellt), kann der Comiczeichner alles neu kreieren (so er das Talent und die Fantasie dafür hat). Zurück zur Szene: Man sieht von oben schwere militärische Stiefel, die mit klarem Marschbefehl marschieren, dann aber vor einer wohl größeren Pfütze (vielleicht ist es auch ein kleiner See, man sieht ja nur das »Ufer«) stehenbleiben. Wenn man den Stiefeln den Denkprozess ihres Träger überstülpt, »halten sie inne«, »überlegen«. Dann folgt ein Schnitt, und ein anderes Paar Stiefel, das man nicht unbedingt »wiedererkennen« kann, weil es nun komplett schlammverschmutzt ist, marschiert über einen Fußboden. Nun erst lernt man den Träger der Stiefel kennen, weiß aber schon, dass dieser sich mit energischen Schritten nicht von seinem Weg (wie beschwerlich oder matschig er auch sein mag) abbringen lässt.
Foto: Giora Bejach © NFP Marketing & Distribution
Ich weiß fast nicht mehr über den Stiefelträger und seine Rolle im Film, aber seine Fußbekleidung und die zwei »Aggregatzustände«, in denen man sie erblickt, wirkten auf mich zutiefst symbolisch. Das »pars pro toto«-Stilmittel erschien für mich durch die Bild- und Stiefelauswahl nicht nur für den Träger zu stehen, sondern gleich für die ganze Armee, »these boots are made for walking«. Und zu diesem comichaften Symbolcharakter, den man immer wieder im Film erlebt, passt es auch, dass die Familie Feldman natürlich für unzählige Familien steht oder dass die vier Soldaten, deren Alltag wir im Mittelteil erleben, bis auf Jonathan keine Namen haben. Im Abspann heißen sie dann »tanzender Soldat« (vgl. Plakat) oder »Dosen rollender Soldat«.
Letzterer ist auch wichtig für den Symbolcharakter, das Parabelhafte des Films: die vier Soldaten sitzen in ihrem Container und essen Dosenfraß, und danach (schon zum Ritual verkommen) lässt der eine Soldat immer seine leere Dose den schiefen Fußboden der Containerheimstatt herunterrollen. Der Container steht nämlich auch nahe eines Schlammlochs und neigt sich immer mehr, wodurch die Dose von Mal zu Mal schneller rollt - und dieses Bild verrät viel über den Status der israelischen Armee, die langsam den Boden unter den stiefeltragenden Füßen verliert.
Ein Antikriegsfilm an sich verursacht auch in Israel keine Wellen, aber die Art und Weise, wie sinn- und verwahrlost Samuel Maoz die israelische Armee, den Stolz der Nation, darstellt, brachte viele Israeli gegen den Film auf. Der ziemlich absurde Mittelteil des Films (man hebt immer mal wieder einen Schrankenbaum an der von den vier Soldaten betreuten Kontrollstelle, um ein herumirrendes Dromedar durchzulassen) hatte für mich etwas von Becketts Waiting for Godot, nur dass zumindest einer der Soldaten implizit ja quasi nur auf seinen Tod wartet. Nun ist das aus meiner Sicht nicht wirklich etwas Neues, wenn es darum geht, eine Militärlaufbahn zu beschreiben (ich würde sagen, man wartet entweder auf den eigenen Tod oder auf den höchstpersönlich an anderen Personen durchgeführten Mord), aber die Israeli waren schon sehr aufgebracht über den Film, während er in Venedig, wie schon Jahre zuvor Maoz' Debüt Lebanon, ausgezeichnet wurde. Diesmal mit dem Grand Jury Prize.
Foto: Giora Bejach © NFP Marketing & Distribution
Der erste Teil des Films ist starker Tobak. Während die Mutter abgetreten ist (die beiden wohl medizinisch ausgebildeten Soldaten spritzen ihr augenblicklich ein Beruhigungsmittel - ohne jegliche Absprache mit ihrem Mann - was hierzulande m.E. gleich den Tatbestand der Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs erfüllen würde - aber in Israel weiß man halt, dass der Soldat »dein Freund und Helfer« ist), erlebt man nun den ebenfalls traumatisierten Vater [Lior Ashkenazi, der für westliche Kinogänger wohl bekannteste israelische Schauspieler, wenn man Zachi Noy mal kurz aus den Augen verliert] als Michael), der auf Anweisung der Soldaten und eines hinzugezogenen Geistlichen (auch ein Soldat) fortan per Handy-Wecker daran erinnert wird, sich regelmäßig Flüssigkeiten zuzuführen (diese absurden kleinen Details sind wichtig für das Gesamtbild) und vor allem dadurch auffällt, dass er seinen ebenfalls traumatisierten Hund tritt.
Hier bricht eine Familie auseinander (es gibt auch noch eine Tochter), während die Offiziellen ihr Programm abspulen. Die Geschichte hat hier noch eine Überraschung parat, aber vor allem geht es darum, dass Michael selbst schreckliche Armeeerfahrungen gemacht hat und auch schon seine vermeintlich demente Mutter (Karin Ugowski) eine KZ-Überlebende ist.
Foto: Giora Bejach © NFP Marketing & Distribution
Über den Comic und das Pinup-Heft wird in Teil zwei und drei eine Brücke geschlagen zwischen Vater und Sohn, die sich im Film zwar nicht wiedersehen, aber implizit miteinander durch diese Artefakte in Kontakt treten und einen gewissen Seelenfrieden finden. Das ist inmitten der von der Erfahrung Krieg zersetzen Nation der kleine feine Hoffnungsschimmer in diesem Film, und wie sich dieser im Schneckentempo entfaltet, das ist schon große Erzählkunst, die mich als Comicfan (und Beckett-Verehrer) besonders ansprach.
Auch, wenn die dramatischen Szenen des Films für mich zu fragmentarisch bis holprig erzählt wurden. Aber irgendwas habe ich ja immer zu meckern.
Laut meiner Mitschrift beim Abspann heißt der Comiczeichner (der mich gerade in seinem Einsatz einer zweiten Farbe an Darwyn Cooke erinnerte und dessen Zeichnungen für vermeintliche Sketche viel zu perfekt für den Film waren) Asaf Hannukah, aber leider konnte ich nirgends im Netz was zu ihm finden. Vielleicht habe ich den Namen falsch abgeschrieben oder er hat seine Karriere im Storyboard-Bereich verschlissen. Würde mir aber eines seiner Werke kaufen!
Nachtrag: Der Comic-Zeichner heißt Asaf Hanuka (knapp vorbei ist auch daneben). Vielen Dank an Judith G. für den Hinweis! (Habe mir bereits The Divine bestellt...)