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1. August 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Destination Wedding (Victor Levin)

Destination Wedding (Victor Levin)


Destination Wedding
(Victor Levin)

USA 2018, Buch: Victor Levin, Kamera: Giorgio Sacli, Schnitt: Matt Maddox, Musik: William Ross, mit Keanu Reeves (Frank), Winona Ryder (Lindsay) Dj Dallenbach (Bride), Ted Dubost (Groom), Greg Lucey (Frank's Stepfather), D. Rosh Wright (Frank's Mother), Donna Lynn Jones (Frank's Stepfather's Girlfriend), Curt Dubost (Father of the Bride), 90 Min., Kinostart: 2. August 2018

Vorab zwei, drei Sätze zum Plakat. Wenn man das deutsche Plakat mit dem Original vergleicht, fällt auf, dass man am Hintergrund etwas gebastelt hat (das Fenster benötigt man nicht wirklich) und dass der Lichteinfall der Situation in beiden Fällen nicht wirklich zu den abgebildeten Figuren passt (weil heute halt alles mit Photoshop und Freistellern zusammengepfuscht wird). Das deutsche Plakat käme fast besser davon - wenn da nicht die sogenannte tagline wäre: »Was sich neckt, das liebt sich«? Wenn es je einen blöderen, ausgelutschteren Spruch auf einem Kinoplakat gegeben hat (und es ist mir nicht entgangen, das man das gängige Sprichwort in einem Anfall von Kreativität quasi »umgedreht« hat), muss ich ihn in der Zwischenzeit verdrängt haben. Wie viel stilvoller und sophisticated, zweideutig da die Vorlage »Check your baggage«! Normalerweise reicht es ja für deutsche Verleihfirmen, wenn bei einer RomCom im Titel eines der Kennwörter rund um »Hochzeit«, »verlieben« oder »Braut« vorkommt (damit eine Frauengruppe, wenn sie vorm Multiplex die Plakate betrachtet, auch ja weiß, in welchen Film sie gefälligst gehen sollen), aber in diesem Fall musste man unbedingt noch einen draufsetzen. Das hat der Film nicht verdient!

Frank (Keanu Reeves) und Lindsay (Winona Ryder) »necken« sich nicht, sie können sich nicht ausstehen. Da sie aber den Rest der Welt noch stärker verabscheuen als die Zufallsbekanntschaft, mit der sie nun auf der selben Hochzeit landen (Frank ist der Halbbruder des Bräutigams, Lindsay dessen Exfreundin), arrangieren sie sich aber for the time being und diskutieren, ob Keith (besagter Bräutigam) derart geistig umnachtet sein könnte, womöglich sogar versucht zu haben, sie miteinander bekannt machen zu wollen, oder wie es so schön auf Englisch heißt: »You think Keith is trying to set us up?« - »Even he is not that dumb!«

Destination Wedding (Victor Levin)

© 2018 Ascot Elite Entertainment GmbH

Man könnte in dieser Nacherzählung die einzelnen Stationen der halbwegs »gemeinsamen« Reise aufzählen, die Gemeinheiten gegenüber anderen Hochzeitsgästen oder die zusammen wahrgenommenen Punkte des umfassenden Wellness-Pakets, doch das in meinen Augen prägende und wirklich innovative Element des Films ist, dass man eigentlich außer Frank und Lindsay niemanden kennenlernt in diesem Film. Es gibt Statisten, die auf dem Flughafen längere Zeit auf im Kameraausschnitt zu sehen sind (und die machen ihre Sache ziemlich gut), und beim wedding rehearsal gibt es Zwischenschnitte auf Figuren, über die die beiden sich gerade austauschen, aber auch, wenn diese durchaus agieren, haben sie keinen Dialog, der klar zuzuordnen ist, sind somit Statisten, die nicht nur im Leben der beiden Protagonisten ungeachtet der Verwandtschaftsgrade keine Rolle spielen - ganz gleich, ob sie im Abspann klar bezeichnete Rollen haben, vor den Augen der Gewerkschaft sind sie nur Statisten, bekleiden keine Sprechrollen. Die drittwichtigste Figur im Film, so könnte man argumentieren, ist ein Vierbeiner.

Beizeiten (so von Heathers und Edward Scissorhands bis Bram Stoker's Dracula und The Age of Innocence) hatte ich mal ein ausgeprägtes Faible für Winona Ryder (in meinem »Jugendzimmer« steht immer noch ein gerahmtes Cover der US-Zeitschrift Interview, auf dem sie im schmucken Tartan-Muster zu sehen ist), und auch Keanu Reeves ist jemand, der meine Adoleszenz begleitete (schon zu Zeiten von Dangerous Liaisons und Bill and Ted's Excellent Adventure war er mir aufgefallen und ich war sogar mal im Hamburger Knust bei einem Gig der Voodoo Queens, bekannt durch ihre Single Kenuwee Head).

Destination Wedding (Victor Levin)

© 2018 Ascot Elite Entertainment GmbH

Seit ihrem »Shopping-Unfall« ist Winona etwas in Vergessenheit geraten, wird von manchen Spätgeborenen fast nur als Anekdote über Johnny Depps Tätowierung »Wino forever« wahrgenommen, hat aber durch ihre Rolle in der endlos gehypeten TV-Serie Stranger Things wieder eine Art Comeback erfahren. Keanu Reeves ist mit Mitte Fünfzig auch nicht mehr der einstige Sunny-Boy, schafft es aber irgendwie, durch Indiefilme und Action-Streifen im Fokus der Öffentlichkeit zu bleiben.

Die beiden treten in Destination Wedding bereits zum vierten Mal im selben Film auf, doch nicht nur ist es ein hübsch gemeines Filmquiz, jemanden zu beauftragen, die anderen drei Filme zu benennen, erst hier haben sie wirklich die Chance, miteinander zu agieren und nicht nur in zwei oder drei Ensemble-Shots eher zufällig gemeinsam auf der Leinwand aufzutauchen. Und mit einem bewundernswerten, sie einenden Mut, extrem uneitel Neurosen hervorzuheben und generell nicht unbedingt um die Sympathie des Publikums zu heischen, stemmen sie dieses selten in vier Wänden eingeengte Kammerspiel mit Bravour.

Destination Wedding (Victor Levin)

© 2018 Ascot Elite Entertainment GmbH

Selbst wenn einen die alte kriegen-sie-sich-oder-kriegen-sie-sich-nicht-Frage eher so gar nicht interessieren sollte, ist es eine Freunde, diesen beiden Verbal-Kampfhunden anderthalb Stunden beim Schlagabtausch zuzuschauen. Die vielen kleinen Macken der von ihnen porträtierten Figuren werden mit der Zeit tatsächlich irgendwie liebenswert, wie Lindsays Hang zur kultivierten Hysterie und rückhaltlosem Grimassieren oder Franks ausgeprägte Neigung für unangenehmes feucht-knarzendes Husten.

Der Dialog rauscht zwar teilweise mit der Wucht von Stromschnellen durch den Film (man sollte keine generelle Abneigung gegen talkies haben), doch ohne einen auffälligen Drang zu gängigen Pointen bleibt schon einiges hängen, selbst wenn man mitunter auf Durchzug stellen sollte. Einer meiner Lieblingsätze: »A narcissist can't die because then the entire world would end.«

Destination Wedding (Victor Levin)

© 2018 Ascot Elite Entertainment GmbH

Ich hatte übrigens den Film über das Gefühl, dass die Musikeinspielungen ähnlich wie bei Woody Allen auf bereits existentem, aber in Vergessenheit geratenem Liedgut besteht, das womöglich sogar schon in die public domain übergegangen ist, musste dann aber beim Nachspann feststellen, dass es dafür tatsächlich einen Komponisten gab, der sich auf diese »fast bekannten« Fahrstuhl-Melodien wirklich gut versteht.

Apropos Woody Allen: Mit einem beliebigen Film des mittlerweile in die Senilität abdriftenden einstigen Superstars, den dieser in seinen noch akzeptablen 1990ern gedreht hat, kann sich Destination Wedding durchaus messen, wobei Allen es vermutlich nie gewagt hätte, sich auf ein solches Zwei-Personen-Stück mit allen darauf lastenden Vorurteilen einzulassen.

Doch wer nur ein gewisses Interesse an den beiden Hauptdarstellern hat, sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen. Wie Olli Dittrich und Anke Engelke oder Ethan Hawke und Julie Delpy haben die beiden Stars aus anderen Jahrzehnten diese gewisse Intensität, die einen in den Bann zieht, selbst wenn sie nur miteinander rumzicken wie Walther Matthau und Jack Lemmon - mit einem Schuss mehr vermeintlich ungewolltem Knistern.

I'm very fond of my cynicism. It's very comfortable.