Menashe
(Joshua Z. Weinstein)
USA 2017, Buch: Joshua Z. Weinstein, Alex Lipschultz, Musa Syeed, Kamera: Yoni Brook, Joshua Z. Weinstein, Schnitt: Scott Cummings, Musik: Bertrand Rosenkvist, Aaron Martin, mit Menashe Lustig (Menashe), Ruben Niborski (Rieven), Yoel Weisshaus (Eizik), Meyer Schwartz (Ruv), 83 Min., Kinostart: 6. September 2018
Die Leinwand bleibt schwarz, man hört hupende Autos, Schritte, dann wird (nicht hundertprozentig auf die Tonspur abgestimmt) das Straßengewimmel in New York mit vielen orthodoxen Juden gezeigt. Aus der zunächst anonymen Masse im Brooklyner Borough Park kristalliert sich die Titelfigur heraus: Menashe, eine Art gutgenährter Nerd inmitten den strenggläubigen Haredim (in seinem Umfeld stößt unter anderem an, dass er weder Hut noch Mantel trägt, wie es sich gehört).
Foto: Federica Valabrega
Weil seine Frau starb und sich ein alleinerziehender Vater nur schwer mit den chassidischen Prinzipien vereinbaren lässt (nach strenger Auslegung der Thora ist es nicht einmal möglich, als Witwer das alleinige Sorgerecht zu bekommen), soll Menashe am besten eine neue Frau finden. Aller Anfang ist schwer, sagt der Talmud. Menashes Leben ist schon ziemlich eingefahren, er zeigt auch wenig Ambition, sich noch mal komplett neu mit einer Frau zu arrangieren. Der Heiratsvermittler sucht ihm eine passende Witwe her, Menasha traut sich, ihr zu gestehen, sie sei nicht sein Typ. Ihre Antwort ist schon fast ungehalten: »Glaubst Du, Du seist mein Traummann?!?«
Foto: Federica Valabrega
Der liebevolle Umgang mit seinem Sohn steht im Zentrum des Films. Man sieht Menashes kleine Schwächen, aber auch seine (unter anderem moralische) Stärke. Dennoch ist man sich überall einig, dass Rieven am besten bei seinem Onkel (Menashes Schwager ist verheiratet, auch, wenn man die Frau fast nie sieht im Film) aufwächst. Menashes Leben müsse erst wieder »in geordneten Bahnen« laufen.
Regisseur Joshua Z. Weinstein drehte zuvor nur Dokumentarfilme oder arbeitet als Kameramann. Die abgeschlossene Gemeinde der Ultraorthodoxen war dem New Yorker Juden immer fremd, umso mehr verwundert es, dass er sein Spielfilmdebüt mit chassidischen Laien an Originalschauplätzen drehte - obwohl er selbst kein Wort Jiddisch spricht. Menashe Lustig, der Darsteller der gleichnamigen Titelfigur, ist sogar selbst Witwer, Vater und Supermarktverkäufer wie seine Filmfigur. So entstand unter schwierigen Bedingungen ein Film von großer Authentizität, der einen mitten hinein in diese seltsame Welt wirft, auch wenn man dabei eine gewisse Distanz aufrechterhält (zumindest war es bei mir so, weil ich mit keiner Religion so richtig warm werde, und es ja hier vor allem um uralte, nicht unbedingt zeitgemäße Regeln geht, die zu befolgen sind).
Foto: Federica Valabrega
Während des Films hatte ich den Eindruck, als sei man zwar kritikfähig, stelle aber diese Gemeinschaft durchaus fast propagandistisch dar, betont also die Werte, das Zusammengehörigkeitsgefühl, während Menashes Individualschicksal nie wirklich »tragisch« dargestellt wurde, sondern eher wie eine »Unannehmlichkeit«, die mit seiner Entscheidung gegen die vorherrschende Stromrichtung zusammenhängt.
Besonders verstärkt wurde dieser Eindruck durch die letzten Einstellungen des Films (ich bin mir nicht ganz sicher, inwiefern man dies als Spoiler wahrnehmen könnte). Die community zeigt immer wieder ihre Besorgnis darüber, wer alles »normal« sei, über die Welt da draußen gibt es auch mal Urteile wie »Die Gojim machen die Welt kaputt!«. Dazu passt auch die immer mal wieder durchkommende Geräuschkulisse mit den Autohupen etc. Ganz am Schluss des Films wird der Kreis geschlossen zum Beginn: Menashe verliert sich jetzt im Straßengetümmel, wie er zu Beginn daraus hervorkam. Die deutlichste Veränderung besteht darin, dass er jetzt Hut und Mantel trägt (was sich storymäßig sonst noch ergeben hat, will ich nicht detailliert ausplaudern). Dann greift man tatsächlich auch wieder auf die Schwarzblende zurück, hört die Schritte. Und wer besonders aufmerksam ist (ich schreibe in Filmen öfters mal mehr mit, als ich je für eine Kritik benötige), der könnte feststellen, dass man diesmal keine Autohupen hört. Das könnte natürlich ein reiner Zufall sein, der mit dem Originalton zusammenhängt, doch ich sehe darin eine Aussage: Dadurch, dass Menashe jetzt mit dem Strom schwimmt, wird die Welt für ihn angenehmer...
Foto: Federica Valabrega
Auch, wenn ich mit der message des Films nicht immer konform gehe, hat er mir aber gefallen. Wenn man die Thora zitiert, klingt das für mich frauenfeindlich (»Es ist nicht recht, dass der Mensch allein ist. Ich werde ihm eine Gehilfin machen.«), und wenn Menashe beschwört, er könne allein für seinen Sohn sorgen, und fast im selben Atemzug ein Küken in den kleinen Haushalt aufgenommen wird, habe ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie sich dieser Subplot symbolkräftig entwickeln könnte. Aber trotzdem rührt Menashe mein Herz an, und wenn an einer Stelle eine mögliche Ersatzmutter an der Peripherie des Films auftaucht, hätte ich sogar ein plattes Happy-End geduldet, weil dem Film das gelingt, worauf ich als Kritiker und Vielschauer längst nicht immer drauf einsteige: Man fühlt mit mit den Figuren!