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11. Oktober 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Elternschule (Jörg Adolph & Ralf Bücheler)


Elternschule
(Jörg Adolph & Ralf Bücheler)

Deutschland 2018, Buch, Ton: Jörg Adolph, Ralph Bücheler, Kamera: Daniel Schönauer, Jörg Adolph, Dietmar Langer, Schnitt: Anja Pohl, Musik: You + Your D. Metal Friend, Spirit Fest, Grafik: Saba Bussmann, mit Dietmar Langer, Kurt-André Lion, Gabi Grühn, Janine Mäurer und (u.a.) den Kindern Anna, Greta, Felix, Joshua, Laura, Lucy, Mohammed Ali und Zahra, 117 Min., Kinostart: 11. Oktober 2018

Ich gehöre zu der Handvoll von Leuten, die bei Dokus und Sachbüchern nicht etwa den Wert am bloßen Informationsgehalt festmachen (dann kann ich mir auch den Wikipedia-Beitrag durchlesen), sondern auf filmische bzw. literarische Mittel pochen. Eine durchdachte Dramaturgie ist für mich ungleich wichtiger als eine perfekte PowerPoint-Präsentation mit einer einschmeichelnden Erzählerstimme.

Im Fall von Elternschule ist zwar auch der Film intelligent gemacht (die Herangehensweise an das Thema ist durchdacht, das Material clever ausgewählt und auch dramaturgisch gut montiert), aber ausnahmsweise muss ich mal attestieren, dass man auch einfach viel lernt in diesem Film. Und ich bin nicht mal ein Elternteil, für die dieser Film hin und wieder eine echte Erleuchtung sein wird.

Und super unterhaltsam ist Elternschule trotzdem. Also eigentlich ein Gewinner an allen Fronten!

Elternschule (Jörg Adolph & Ralf Bücheler)

© kinofreund eG 2018

Der Psychologe Dietmar Langer hat ein Konzept entwickelt, dass in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen-Buer durchgeführt wird. Die Abteilung heißt »Pädiatrische Psychosomatik« und hier werden chronische Krankheiten und Verhaltensstörungen von Kindern und Jugendlichen behandelt. In einer meist dreiwöchigen Therapie, zu der auch die jeweilige Hauptbezugsperson des Kindes stationär mit aufgenommen wird.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Eltern dabei ist das oft überraschende Wissen, wie clever die Kinder dabei sind, die Eltern gezielt zu manipulieren. »Der Säugling, der heutzutage geboren wird, der erwartet Überleben im Dschungel. Er ist der weltgrößte Egoist, der mich zum Laufen bringt, denn er kann ja nicht allein für sein Überleben sorgen.« Wenn eine Mutter mal pflichtschuldig einräumt »Ich will für meine Tochter da sein«, erinnert sie Langer daran: »Aber sie dürfen auch Spaß am Leben haben!«

Elternschule (Jörg Adolph & Ralf Bücheler)

© kinofreund eG 2018

Zu Beginn des Films wirkt das mitunter kontinuierliche Kinderschreien wie der Soundtrack eines Horrorfilms, doch mit einer notwendigen Strenge versuchen Langer und sein Team, die Fehler des oft in keinerlei Weise vorbereiteten oder gar ausgebildeten Eltern zu beheben. So ist es etwa ein wichtiger Punkt, dass nicht das Kind bestimmt, wann Essenszeit ist, sondern plötzlich die Eltern. Es gibt einen genau bemessenen Zeitraum, innerhalb dessen man Ernährung erhält, und wenn man dieses Zeitfenster nicht nutzt, erlernt man als Kind sehr schnell, dass man sich damit selbst schadet, wenn die Eltern sich plötzlich nicht mehr um den Finger wickeln lassen. Ein einprägsames Ergebnis dieser Methode lautet etwa so: »Okay. Bitte gib mir noch eine Chance, es einmal zu probieren! Mama, ich will doch nur was zu essen, ich will doch nur was zu essen haben!«

Während die Methode beim Essen Schlafen, Zähneputzen und Anziehen relativ ähnlich verläuft, sind es vor allem die Eltern, die bei der Erziehungsmaßnahme einzubrechen drohen. Das oft jahrelange Bemühen, unnötigen Stress zu vermeiden, sorgte in den meisten Fällen erst für die schwierigen Verhaltensweisen der Kinder, die nahezu wissenschaftlich alle Methoden ausprobieren, ihren Willen durchzusetzen und sehr schnell lernen, wie lange oder laut man schreien muss, um an der Supermarktkasse jenes Duplo etc. zu bekommen.

Elternschule (Jörg Adolph & Ralf Bücheler)

© kinofreund eG 2018

Grund genug, dass die Eltern bei den ersten Mittagsstunden des Kindes unter Behandlung nicht dabei sein sollen. »Sie sollen körperlich und geistig raus, deswegen bekommen sie von uns keine Informationen, wie das Esstraining läuft.« Denn es gibt auch Eltern, die die Therapie abbrechen, weil sie befürchten, ihr Kind würde dabei verhungern oder erleide ähnlichen dauerhaften Schaden (»Das ist Quälerei, ich gehe morgen!«).

Sehr lehrhaft ist etwa ein Spaziergang, den Langer (oder vielleicht war es sein Kollege) mit einem kleinen Mädchen unternimmt, das dann irgendwann keine Lust mehr hat und ihr gewohntes Konfrontationsprogramm durchzieht - nur leider ohne den üblichen Erfolg. Es klingt schier unglaublich, aber selbst ein Fünfjähriger kann begreifen und erlernen, dass die eigene Weigerung dafür sorgt, dass unangenehme Aktivitäten noch viel unangenehmer werden können - und das man mit ein wenig Kooperation kein stundenlanges Ringen mit einem Stück Broccoli (»die werden jetzt alles ausprobieren, was jemals irgendwann zuhause funktionierte«) vollziehen muss oder dergleichen. »Das leckerste Essen der Welt ist Spinat mit Kartoffelpüree und Ei!« - klingt doch gleich viel vernünftiger als jener Junge, der vor der Therapie dazu übergegangen war, sich ausschließlich nur noch von Bratwurstenden zu ernähren (was mit den 70% Mittelstück passiert, scherte ihn wenig).

Elternschule (Jörg Adolph & Ralf Bücheler)

© kinofreund eG 2018

An der Schultafel oder mit Hilfe von Videoaufnahmen werden die Prinzipien, Probleme und Erfolge geschildert, irgendwann begreifen die Eltern, dass es nicht um »akute Not« des Kindes geht, sondern ein vorhersehbares Verhalten. Der chronische Stress, der zwischen einer Forderung und der daraus entstehenden Forderung entsteht, kann wie in einer mathematischen Formel »herausgekürzt« werden, wenn man erst mal die Regeln begriffen hat. Beispielsweise erringt das Kind erst Aufmerksamkeit, lässt es dann auf einen Machtkampf ankommen und probiert es dann mit demonstrativer Hilflosigkeit. Im Normalfall hält das jede Mami nur so und so lange durch. Aber wenn man dem Kind alternative, plötzlich erfolgreichere (wiel kooperative) Methoden beibringt, kann sich das Verhalten zum Besseren beider Parteien verändern.

Dramaturgisch ist das Ganze wie gesagt gut aufbereitet, und einige Erfolgserlebnisse sind durchaus beeindruckend. Und man kann vor Ort tatsächlich einen »Elternführerschein« erhalten. Wer keine drei Wochen Zeit hat, sollte sich dennoch mal diesen Film anschauen, man lernt einiges, vor allem darüber, dass wie bei diesen ganzen Fernsehshows über »Hundeflüsterer« oft genug auch das »Herrchen« schuld ist am seltsamen Betragen der Lieblinge ...

(Und das gefühlt heutzutage viel eher als früher, als man nicht nur den Hintern versohlt bekam - ich plädiere keineswegs für eine Wiedereinführung! - sondern auch den Eltern gegenüber einfach mit viel mehr Respekt entgegentrat. Wenn man nirgends eine Grenze findet, kann man sich auch nur schwer daran halten...)