Gegen den Strom
(Benedikt Erlingsson)
Originaltitel: Kona fer í stríð, Intern. Titel: Woman at War, Island / Frankreich / Ukraine 2018, Buch: Ólafur Egill Egillsson, Benedikt Erlingsson, Kamera: Bergsteinn Björgúlfsson, Schnitt: Davíð Alexander Corno, Musik: Davíd Þór Jónsson, Kostöme: Sylvía Dögg Halldórsdóttir, Maria Kero, mit Halldóra Geirharðsdóttir (Halla / Ása), Jóhann Sigurðarson (Sveinbjörn), Juan Camillo Roman Estrada (Juan Camillo), Davíd Þór Jónsson (Piano / Akkordeon Band), Magnus Trygvason Eliassen (Trommler Band), Ómar Guðjónsson (Sousaphon Band), Iryna Danyleiko, Galyna Goncharenko, Susanna Karpenko (Ukrainischer Chor), Jörundur Ragnarsson (Baldwin), Jón Jóhannsson (Treibhaus-Gärtner), Charlotte Bøving (Frau von der Adoptionsagentur), Margaryta Hilska (Nika), 101 Min., Kinostart: 13. Dezember 2018
Der isländische Regisseur Benedikt Erlingsson, bekannt geworden mit dem spröde-aberwitzigen Hross í oss (dt.: Von Menschen und Pferden), ließ seinen zweiten Film Kona fer í stríð (Gegen den Strom / Woman at War) zwar in Cannes auf der Semaine de la Critique laufen (wo er auch ausgezeichnet wurde), wollte aber weg vom Stigma des »Festivalfilms«, der das reguläre Publikum kaum oder gar nicht erreicht.
Seine stilistische Veränderung vollzieht sich aber sehr graduell, in den sogenannten baby steps...
Bildmaterial: Pandora Film Medien GmbH
Halla (Halldóra Geirharðsdóttir), eine eher introvertierte Frau in den Wechseljahren, fällt im öffentlichen Leben allerhöchstens in ihrer Rolle als Chorleiterin auf. Im Geheimen agiert sie aber als Umweltaktivistin, von den Medien »Bergfrau« genannt, und versucht das isländische Hochland vor der Aluminiumindustrie zu retten, womit sie sowohl den am eigenen Auskommen interessierten Arbeitern dieser Branche als auch den internationalen Investoren ein Dorn im Auge ist.
Inspiration für diese Figur waren zwei reale Heldinnen: Yolanda Maturana aus Kolumbien und Berta Cáceres aus Honduras mussten jeweils für ihre Überzeugungen mit dem Leben zahlen. Dass Umweltaktivisten quasi zu Staatsfeinden erklärt werden können, ist ein Unding, und mit seinem Film wirft Erlingsson einen Blick auf beide Seiten dieses Kampfes. Zwar sind Vandalismus und Industriesabotage ernstzunehmende Straftaten und keine Kavaliersdelikte, aber die ausgebeutete Natur hat eben kein dickes Gesetzbuch nebst mächtiger Lobby hinter sich, und irgendwer sollte ja auch für sie kämpfen, wenn von den Politikern nur wenig echtes Engagement zu erwarten ist.
Bildmaterial: Pandora Film Medien GmbH
Hallas Kampf wird durchaus poetisiert. Mit Pfeil und Bogen legt sie per Kurzschluss riesige Strommästen à la Don Quixote lahm, verbirgt sich vor Helikoptern, liebkost die Erde wie einen Liebhaber. Sie trägt auch einen eigenen »Soundtrack« in sich, nicht etwa per Mp3-Player, sondern externalisiert über die Auftritte oft traditioneller Musiker, die überall dort an Straßenrändern oder auf Feldern auftauchen, wo Halla ihren aussichtslos wirkenden Kampf führt. Ein wenig wie der klassische griechische Chor, nur bunter und unterhaltsamer.
Bildmaterial: Pandora Film Medien GmbH
»Ich bin keine Verbrecherin, ich will Verbrechen verhindern!« Die Bergfrau wird mit Amokläufer Anders Breivik verglichen, hat aber in ihrer Wohnung gerahmte Fotos von Mahatma Ghandi und Nelson Mandela hängen. Hier und da wirkt der Film etwas plakativ (ich musste an Rambo denken), die Geschichte spielt mit einer gewissen Naivität, die vielleicht zu Erlingssons Vorstellung von Mainstream-Kino gehört, aber man akzeptiert durch den kraftvollen Beginn der Geschichte auch die etwas gefällig dazudrapierte Parallelhandlung um einen ebenfalls verfolgten portugiesischen Touristen und Hallas später auffallend gut ins Drehbuch passende Zwillingsschwester.
Doch wenn man die Sympathien des Publikums auf seiner Seite weiß, darf man zu solchen Mitteln greifen, entscheide ich in diesem Fall.
Bildmaterial: Pandora Film Medien GmbH
Erlingsson besteht darauf, nicht in Genres zu denken, wenn er einen Stoff entwickelt, und selbst ein Begriff wie Märchen klingt für ihn »sexy«, wenn man diese Elemente clever einbindet. Und ein sperrig-poetisches, durchaus humorvolles Öko-Märchen mit einer weiblichen Mischung aus Rambo und Don Quixote passt sogar irgendwie in die Weihnachtszeit. Auf jeden Fall viel spannender als all die überflüssigen Blockbuster wie Bumblebee, Aquaman und Mortal Engines, die ich dieses Jahr allesamt auslassen werde, weil dort der Kampf für den Planeten nur ein Kampf um die Ticket-Millionen ist.