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13. Februar 2019 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||
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Vice -
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Läuft auch auf der Berlinale (Wettbewerb, außer Konkurrenz), aber dort nur noch am:
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USA 2018, Originaltitel: Vice, Buch: Adam McKay, Kamera: Greig Fraser, Schnitt: Hank Corwin, Musik: Nicholas Britell, Kostüme: Susan Matheson, Make-Up: Greg Cannom, mit Christian Bale (Dick Cheney), Amy Adams (Lynne Cheney), Steve Carell (Donald Rumsfld), Sam Rockwell (George W. Bush), Tyler Perry (Colin Powell), Eddie Marsan (Paul Wolfowitz), Jesse Plemens (Kurt), Alison Pill (Mary Cheney), Lily Rabe (Liz Cheney), Justin Kirk (Scooter Libby), LisaGay Hamilton (Condoleezza Rice), Naomi Watts (News Anchor), Bill Camp (Gerald Ford), Don McManus (David Addington), Shea Whigham (Wayne Vincent), Stephen Adly Guirgis (George Tenet), Alexander MacNicoll (17 Year Old Dick Cheney), Cailee Spaeny (17 Year Old Lynne Vincent), Kirk Bovill (Henry Kissinger), Alex Kingi (Osama Bin Laden), Alfred Molina (Waiter), 132 Min., Kinostart: 21. Februar 2019
Es hat eine lange Tradition auf der Berlinale, einen oder mehrere der aktuellen Oscar-Anwärter »außer Konkurrenz« im Wettbewerb zu zeigen. Die Studios und Verleiher bekommen die Möglichkeit, zum meist sehr kurz darauf stattfindenden deutschen Kinostart noch einmal geballte Medienaufmerksamkeit zu bekommen, während das Festival von der Starpower auf dem roten Teppich profitiert, ohne die Exklusivität des Wettbewerbs (man zeigt ja am liebsten Weltpremieren und weniger gern Filme, die schon im Vorjahr ihren regulären US-Kinostart hatten). Alles frei nach dem alten Sprichwort »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus«.
In diesem Jahr ist der Nutznießer dieses Arrangements Vice, ein Film, wie er paradigmatisch für die ausklingende Ära Kosslick wirkt. Wichtig sind hierbei das politische Thema und die hochkarätigen Schauspieler. Noch besser ist es natürlich, wenn Christian Bale, Sam Rockwell und Amy Adams alle mal wieder frisch für den Oscar nominiert sind. Als Quasi-Abstinenzler bei der Berlinale dieses Jahr habe ich aber nicht einmal das Interesse herauskitzeln können, wer von diesen prominenten Gesichtern es auf sich nahm, zur Premiere dem Film noch ein wenig späte Starthilfe zu verschaffen. Obwohl ich Sam Rockwell, Amy Adams und Eddie Marsan durchaus zu meinen Lieblingen zähle. Aber wenn ich am Mittwoch mal aus Jobgründen am Friedrichstadtpalast vorbeigehe und am Freitag im Sony Hauskino eine reguläre Pressevorführung eine ziemlich berlinale-fernen Streifens schaue (wegen BVG-Streik mit 4-km-Fußweg hin und vermutlich noch mal zurück), sind das die naheliegendsten Kontaktpunkte, die ich mit der »regulären« 2019er Berlinale habe. Und ich bin darüber gar nicht so traurig, wie man gemeinhin annehmen könnte...
Nachtrag: Offenbar kamen nur McKay, Bale und ein paar Produzenten.
Aber zurück zum Film. Regisseur Adam McKay kenne ich noch aus seiner Comedy-Phase, als er Filme wie Anchorman und Talladega Nights: The Ballad of Ricky Bobby im trauten Kreis seiner Kumpel von Saturday Night Live raushaute. Mit The Big Short verblüffte er dann die Filmgemeinde, weil man so einen ernstgemeinten, politischen und voll in die Award Season hereinpassenden Film so gar nicht von ihm erwartet hat. Vice, sein Film über den einstigen Vizepräsidenten Dick Cheney, wirkt fast wie ein Sequel dazu.
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Wieder geht es darum, was alles falsch läuft oder lief in den Vereinigten Staaten, und auch die Besetzungen ähneln sich (Christian Bale, Steve Carell). Die beiden Filme entsprechen nicht dem Bild, was man gemeinhin von Spielfilmen hat, sondern ähneln in der Dramaturgie und was die erzählerischen Mittel angeht, eher Dokumentarfilmen (oder Sachbüchern, die ja seit eins, zwei Jahrzehnten zunehmend gern in Spielfilme verwandelt werden).
Was Vice dabei zu etwas Besonderem macht, ist der durchaus humoristische (und sehr unterhaltsame!) Stil, in dem Adam McKay diese Art von Film gestaltet. Klassische Dokus, gerade, wenn sie politische Ereignisse nacherzählen wollen, sind ja schnell ziemlich dröge und nicht unbedingt etwas für das ganz große Publikum. Heutzutage sieht man ja einen Großteil der Filmbranche mit den Augen von Leuten, die Fernsehprogramme betreuen (auch, wenn das Fernsehen an sich als untergehendes Medium betrachtet wird, mit dem sich nur noch Ü50-Menschen abgeben). Und bei der Fernsehdramaturgie geht es viel darum, die Leute vom Umschalten abzuhalten, insbesondere auch, wenn mal wieder eine Werbepause ansteht.
Und Vice baut weniger eine anhaltende Erzählung auf, als dass der Film einen immer wieder mit kleinen Tidbits bei der Stange hält, dauernd den Erzählrhythmus verändert und beispielsweise in der Chronologie vor und zurückspringt und das Geschehen an bekannten Ereignissen (und Personen) anbindet, die eine gewisse Grundneugier des Betrachters mit kleinen Portiönchen bedient. Und dies eben nicht nur mit bekannten, gern gesehenen Schauspielern, sondern mit einem durchgehend hohen Unterhaltungswert.
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So beginnt der Film zwar mit den für Dokus typischen Zwischentiteln, konterkariert dies aber sofort. Aus dem Umstand, dass nicht so viel über das Leben Dick Cheneys an die Öffentlichkeit geriet (insbesondere auch während seiner Dienstzeit), wird hier wie folgt umgemünzt: »Dick Cheney is one of the most secretive leaders - but we did our fucking best!« Man bekommt umfassende Recherche versprochen - und in einem vertraulichen Ton an den Erzähler / Filmemacher angebunden. Und dann springt man auch augenblicklich zurück ins Wyoming des Jahres 1963 und präsentiert die Titelfigur in einem Licht, das man nur schwer mit dem bekannten Bild Cheneys verbinden kann: Nach dem Würfeln gerät er sturzbesoffen in eine Polizeikontrolle... und er schafft es kaum, aus seinem Fahrzeug auszusteigen, so dicht ist er.
Dann der nächste Zeitsprung, 2001, das erste Jahr seiner Vizepräsidentschaft, und zwar exakt der Morgen des 11. Septembers 2001, als gerade ein gekidnapptes Verkehrsflugzeug ins World Trade Center eingeschlagen ist, Präsident George W. Buch gerade nicht erreichbar ist und Cheney im »presidential emergency operations center« einige Dinge in die Hand nimmt, beispielsweise in der Verteidigung hart durchgreift (»you have authorization to shoot down any plane deemed a threat!«), bzw. sogar vor den Augen des versammelten Teams einige Befugnisse an sich reißt, für die er normalerweise nicht vorgesehen ist.
Ich will jetzt gar nicht die komplette Karriere Dick Cheneys nacherzählen (womöglich sogar im McKay'schen Erzählstil), aber das Ganze gestaltet sich - und da wiederhole ich mich gefühlt zum dritten Mal - extrem unterhaltsam. Nur bin ich mir auf Dauer nicht sicher, ob »gute Unterhaltung« immer auch einen guten Film darstellt.
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Woran mich Vice extrem erinnerte, war Fahrenheit 11/9 von Michael Moore. In beiden Fällen gibt es durchaus gute Ansätze, aber gerade bei Vice bezweifle ich, ob McKays Herangehensweise in ihrem plakativem Amüsement dem Thema eigentlich gerecht wird.
Es gibt einige großartige Ideen im Film. An einer Stelle wird etwa angemerkt, dass es natürlich hilfreich wäre, wenn Mr. und Mrs. Cheney im Shakespeare-Stil ihre in perfekte Jamben gekleideten Gedanken offenbaren würden - und gestaltet zur Demonstration die folgende Szene einfach mal wie einen Ausschnitt aus Macbeth, ehe man dann zurückspringt zum wortlosen Zähneputzen, wie es im normalen Leben abläuft. McKay spielt mit dem Medium, und das macht auch viel Spaß.
Cheneys Bemühungen, das Vertrauen des als ähnlich fragwürdig eingeführten George W. Bush zu »erschleichen«, wird über einen längeren Zeitraum von einer Analogie begleitet, die quasi zeigt, wie ein erfahrener Angler (Cheney) einen großen Raubfisch (Bush) dazu bringt, auf seinen Köder einzugehen. Solche Praktiken sind filmsprachlich ganz interessant, zeigen rein inhaltlich aber davon, dass McKay der Intelligenz seines Publikums nicht vertraut und deshalb vieles ... ich sag mal »kindgerecht« präsentiert. Ganz unabhängig davon, wie sehr man den Shakespeare-Dialog zu interpretieren in der Lage ist oder jedes Detail bei den Gesprächen zwischen Cheney und Bush versteht: man bekommt als Zuschauer jeweils grob die Storyline hingelegt und bleibt dadurch auf dem Laufenden. Das kann man durchaus auch als Service sehen, den man als Nachrichtenschauer oder Zeitungsleser oft vermisst, aber mir stieß das Ganze hier und dort sauer auf.
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Inszenatorisch ist Vice hochinteressant (toll ist auch die seltsame Erzählerfigur, deren Bezug zu Cheney im Grunde ein dicker fetter Köder für den Betrachter ist), aber der Film ist längst nicht über jeden Zweifel erhaben. So schießt McKay öfters mal über das Ziel heraus und verrennt sich - ganz wie Michael Moore - auf Nebenschauplätzen. So fand er es etwa unumgänglich, in seinen Film einzubauen, wie Ronald Reagan mit dem Wahlslogan »Make America great again« als eine seiner ersten Amtshandlungen die von Amtsvorgänger Jimmy Carter installierten fortschrittlichen Sonnenkollektoren wieder abbaut und quasi »zerschlägt«. Das ist gerade aus heutiger Sicht eine interessante Anekdote, hat aber per se mit der Geschichte Dick Cheneys aber so gar nichts zu tun.
Und so labt man sich einerseits an den tollen Momenten des Films (der Happy-Ending-Nachspann vom glücklichen Hundezüchter - göttlich!), bekommt aber auch immer wieder etwas zum Aufregen, wie etwa die als veritable Lady Macbeth stilisierte Ehefrau Cheneys, die ihn zu seiner gut kaschierten Karrieregeilheit antreibt - was schon etwas frauenfeindlich gerät, wenn man die Anzahl der weiblichen Figuren und deren Charakterzüge statistisch auswertet.
Ein Aspekt, den ich in meinem Text absichtlich heruntergespielt habe (um auch die Ähnlichkeiten zum Dokumentarischen zu betonen), sind natürlich die Schauspieler. Für Amy Adams ist es natürlich eine Herausforderung, solch eine Lady Macbeth zu spielen, Christian Bale bastelt weiter an seinem Anspruch, sich für (nahezu) jede Rolle komplett verändern zu können, Sam Rockwell schafft es erstaunlicherweise fast schon durch seine Mimik, einen überzeugenden George W. Bush zu liefern, und Steve Carrell ist als Donald Rumsfeld immer haarscharf an seinen alten Karikaturen dran, bringt aber auch eine erschreckende Gefährlichkeit mit ins Spiel. Wer Schauspiel mag, wird auch diesen Film mögen, aber ich möchte mein Schlussfazit mal auf den Wunsch reduzieren, dass Adam McKay sich in Zukunft nicht auf das von ihm fast erfundene neue Filmgenre beschränkt, sondern auch mal einen Film dreht, der eben nicht wie eine quirlig überzogene Michael-Moore-Doku (trotz all der positiven Ansätze) daherkommt.
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