Der Flohmarkt von Madame Claire
(Julie Bertucelli)
Originaltitel: Le dernier vide-grenier de Claire Darling, Frankreich 2018, Buch: Julie Bertuccelli, Sophie Fillíeres, Lit. Vorlage: Lynda Rutledge, Kamera: Irina Lubtchansky, Schnitt: François Gédigier, Musik: Olivier Daviaud, mit Catherine Deneuve (Claire Darling), Chiara Mastroianni (Marie Darling), Samir Guesmi (Amir), Alice Taglioni (Claire, jünger), Colomba Giovanni (Marie, jünger,), Laure Calamy (Martine), Olivier Rabourdin (Claude Darling), Mona Goinard (Marie als Kind), Johan Leysen (Priester Georges), Amine Mejri (Amir, jünger), Lewine Weber (Martine, jünger), Julien Chavrial (Priester Georges, jünger), Valentin Dériaud, Yasin Houicha, Morgan Niquet, Jérémy Beuvin (Junge Helfer), 95 Min., Kinostart: 2. Mai 2019
Bei Le dernier vide-grenier de Claire Darling handelt es sich um einen Film, bei dem man viel filmisches Potential entdeckt (Regie, Drehbuch, Ausstattung und natürlich die Darsteller), man sich aber auch fragt, wie viel besser einige der Momente wohl in der Buchvorlage besser geklappt haben, weil man sich gerade beim fulminanten Abschluss des Films an einem echten Filmklassiker orientiert (leider wäre es ein Spoiler, den Filmtitel zu nennen, aber wer sich einigermaßen in der Filmgeschichte auskennt, kommt nicht umhin, die deutliche Anspielung zu erkennen), man aber den Eindruck bekommt, dass das bei einer Beschreibung auf einigen Seiten ungleich poetischer, allegorischer und irgendwie auch magisch-realistischer herüberkommen könnte. Von der englischsprachigen Buchvorlage Faith Bass Darling's Last Garage Sale von Lynda Rutledge wurde im Film ein deutlich französischeres Ambiente, die überkandidelt wirkende Titelfigur hat in der französischen Fassung trotz des Nachnamens »Darling« (keine Ahnung, ob es dafür in frankophonen Gebieten Belege gibt, selbst in englischsprachigen Regionen dürfte dieser Name nicht sehr verbreitet sein) ein gewisses Flair: Claire Darling - je nachdem, wie französisch man den Nachnamen ausspricht (ich bin immer noch traumatisiert darob, was Franzosen zu einem Sandwich sagen), kann das schnell ganz normal wirken.
Kaum der Rede wert, dass der Verleih für den deutschen Titel die mittlerweile fast obligatorische »Markierung« verwendet hat: französische Filmtitel brauchen immer eine Madame, einen Monsieur oder eine Mademoiselle, woher soll der Zuschauer denn sonst wissen, dass es ein französischer Film ist?!? Und offenbar muss es in Deutschland Leute geben, die dann auch brav in jeden solchen Film gehen - zumindest reden sich die Filmverleiher dies ein. Ich persönlich kann übrigens mit einem gewissen Stolz behaupten, dass ich bestimmte Filme schon wegen der deutschen Titel gemieden habe, zum Beispiel Docteur Knock - Ein Arzt mit gewissen Nebenwirkungen - nach kurzem Check, ob dies auch der Originaltitel sei (er war es nicht), war schon der Umstand, diesen bescheuerten Titel zu erfinden, ein Garant für mich, dass Leute, die aus irgendwelchen Gründen diesen Film auswählen, um ihn mit solch einem Titel zu vermarkten, offenbar einen anderen Filmgeschmack haben als ich. Zugegeben, dass Omar Sy mitspielte, bestärkte mich in meiner Skepsis, aber ich meide nicht automatisch alle Filme mit Darstellern, die für aktuelle französische Komödientrends typisch. Und Le dernier vide-grenier de Claire Darling ist auch ganz eindeutig keine Komödie.
© Neue Visionen Filmverleih
Ich will mich in der Inhaltsangabe diesmal mal besonders zurückhalten, weil man dem Film die Chance geben sollte, seine Geschichte so zu erzählen, wie er will. Und dem Zuschauer, die nach und nach herausgegebenen Informationen zusammenzusetzen. Nicht zuletzt variiert der Blick auf die Vergangenheit auch.
Im Zentrum steht die betagte Claire Darling (Catherine Deneuve), die einen Großteil der Möbel und das angesammelten Schnickschnack in ihrer alten Villa veräußern will, nicht zuletzt wohl auch, weil sie Jahrzehnte mit den »Geistern«, die in jedem Gemälde, jeder Uhr, jeder Kommode stecken, verbracht hat, und dessen müde ist.
Während sie mithilfe einiger junger Männer einen Flohmarkt im Haushof arrangiert (und dabei auch mal einen der jungen Männer mit einem der Geister ihrer Vergangenheit verwechselt), kommt ihre Tochter Marie (Chiara Mastroianni) zum ersten Mal nach 20 Jahren zurück an den Ort ihrer Kindheit. Damals gab es einen Bruch mit der Mutter, diese hat den Verlust eines Schmuckstücks (es geht hier viel um Dinge, von denen man sich lösen muss) nicht verwunden und wirft der Tochter immer noch diesen Diebstahl vor - in Verlauf des Films offenbart sich dann, was wirklich geschah.
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Zu den beiden Hauptfiguren gesellen sich reichlich andere, Jugendbekanntschaften von Marie, Familienmitglieder und -Freunde (nicht immer auch in der Gegenwart präsent), und als Zuschauer kommt man langsam dahinter, wer mit wem zusammenhängt, welche Rolle diverse Bestandteile des Flohmarkt-Verkaufs so haben etc.
Wenn man bösartig wäre, könnte man sagen, dass man ein Rosamunde-Pilcher-Skript im Lager von Bares für Rares umgesetzt hat, aber dazu geht es in den Familiengeschichten zu wenig um die große Liebe, es wirkt eigentlich eher wie im richtigen Leben: manche Leute finden zueinander, manche verlieren sich aus den Augen, und hier und da bleibt auch mal wer auf der Strecke (Kriminalität als solches existiert im Film, wird aber nicht über Gebühr dramatisiert) und sorgt dafür, dass Risse in der Fassade entstehen, die sich zum Patina gesellen.
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Was in der Filmversion schon mal allesamt sehr gut funktioniert sind die Zeitsprünge mit unterschiedlich alten Versionen der Figuren, was durch eine leichte Fahrigkeit / einsetzende Demenz der Titelfigur thematisch in den besten Momenten auch mal doppeldeutig werden kann. Hier und da wirkt das Patchwork-System der narrativen Montage, wo die selben Figuren an den selben Orten in unterschiedlichen Zeiten aufeinandertreffen, etwas angestrengt zurechtgebogen, aber da man zunächst noch viel über die Familiengeschichte und die Vergangenheit zu lernen und zu entdecken hat, lässt man sich als Zuschauer gern darauf ein. Hier hat der hohe Nostalgiefaktor des Films auch eine mitschwingende Poesie, die auf der Seite wie auf der Leinwand funktioniert.
Der narrative Grundansatz des Films erinnerte mich an die Bücher von Emily St. John Mandel (Station Eleven, Last Night in Montreal), dort gelingt es mir aber besser, den Figuren eine gewisse Grundsympathie entgegenkommen zu lassen, während sich die Geschichten entspinnen und man auch viel über ihre individuellen sozialen Probleme erfährt. In Le dernier vide-grenier de Claire Darling wurde dies durch den Mutter-Tochter-Aspekt der Geschichte, überbetont durch die prominente Besetzung, ein wenig erschwert. Ich kann es schwer in Worte fassen, aber in Büchern und Filmen wird das Timing, wie eine Geschichte sich entfaltet, unterschiedlich gehalten, und in diesem Film ist das Timing nicht immer perfekt. Für 95 Minuten zieht es sich manchmal auch ein wenig, vielleicht hätte man auch mal eine der Nebenfiguren weglassen können und dafür einer anderen mehr Zeit überlassen können.
Ich habe den Film übrigens zweimal gesehen, weil sich der Kinostart nach der ersten Pressevorführung (ca. im September 2018) reichlich nach hinten verschob und ich meinen Eindruck einfach noch mal erfrischen wollte. Dabei muss ich sagen, dass mit zeitlichem Abstand die erste Sichtung positiver im Gedächtnis zurückblieb. Und zwar nicht, weil ich noch zu viel vom ersten Mal wusste, sondern weil ich alles noch eine Spur spannender in Erinnerung hatte, als es mir beim zweiten Mal vorkam.
© Neue Visionen Filmverleih
Es mag vermessen bis arrogant wirken, aber weibliche Betrachter, die die besondere Mutter-Tochter-Beziehung besser nachvollziehen können (ich bin eine andere Art von Familienmensch als die typische Repräsentation in Filmen), könnten sich im Kino sehr viel heimischer fühlen. Für mich gab es kaum wirklich ärgerliche Momente, aber irgendwie war alles ein bisschen »mit halber Kraft«. Viel Potential, aber man wird nicht mitgerissen, wenn man nicht von sich aus in der Geschichte investiert, weil man Anknüpfungspunkte hat. Ich habe erst vor fünf Jahren mit meiner Mutter eine ähnliche Haushaltsauflösung vollzogen, aber dieses sentimentale Schwelgen hat sich da nicht eingestellt, womöglich war mir die Filmwelt dann doch zu weit weg von den realen Problemen der dargestellten Situation.
Mit Bedacht gecastete Kaufinteressierte drapieren sich um die Ausstellungsstücke und schleppen froh etwas weg - aber das läuft alles wie automatisch im Hintergrund ab, die typische Dramatik à la Bares für Rares fehlt komplett. Und das mag nicht unbedingt für mich sprechen, aber zum Teil hätte ich dies als spannender erfunden.