Motherless
Brooklyn
(Edward Norton)
USA 2019, Buch: Edward Norton, Lit. Vorlage: Jonathan Lethem, Kamera: Dick Pope, Schnitt: Joe Klotz, Musik: Daniel Pemberton, Music Supervisor: Linda Cohen, Trompete: Wynton Marsalis, Song »Daily Battles«: Thom Yorke, Kostüme: Amy Roth, Production Design: Beth Mickle, mit Edward Norton (Lionel Essrog), Gugu Mbatha-Raw (Laura Rose), Bobby Cannavale (Tony Vermonte), Bruce Willis (Frank Minna), Ethan Suplee (Gilbert Coney), Willem Dafoe (Paul), Dallas Roberts (Danny Fantl), Michael Kenneth Williams (Trumpet Man), Alec Baldwyn (Moses Randolph), Leslie Mann (Julia Minna), Josh Pais (William Lieberman), Cherry Jones (Gabby Horowitz), Robert Ray Wisdom (Billy Rose), Radhu Spinghel (Giant Man), Deborah Unger (Brooklyn Bar Waitress), 144 Min., Kinostart: 12. Dezember 2019
Mit den Büchern von Jonathan Lethem kenne ich mich ganz gut aus, und vermutlich würde ich mich noch deutlich besser damit auskennen, wenn ich nicht eines Tages zur Einsicht gekommen wäre, dass mir seine Bücher aus dem letzten Jahrhundert weitaus besser gefallen als seine jüngeren Werke.
Mein absolutes Lieblingsbuch von ihm ist Girl in Landscape (1998), eine Art Sci-Fi-Mischung aus John Fords The Searchers und Nabokovs Lolita, ebenfalls toll ist seine Kurzgeschichtensammlung the wall of the sky, the wall of the eye (1996). Außerdem empfehlenswert sind seine Frühwerke Gun, with Occassional Music (1994), Amnesia Moon (1995) und As she Climbed across the Table (1997). Keines seiner späteren Bücher (etwa Chronic City von 2010 oder You don't love me yet von 2007) konnte mich so erreichen, obwohl er sich erst mit Motherless Brooklyn (1999) zu einem Erfolgsautor mauserte (zugegebenermaßen war das auch sein erstes Buch, dass ich las).
Seine frühen Bücher sind oft wilde Mixturen aus Genres, die nicht unbedingt naheliegenderweise zusammenpassen, wobei gerade Science Fiction und Detektivromane, zwei Genres, die mir persönlich sehr am Herzen liegen, auffällig häufig dabei auftauchen. Verglichen damit wirken die Spätwerke eher zahm, da springen einem die guten Ideen nicht so unmittelbar ins Gesicht, sondern sind besser eingearbeitet. Was auch von einem schriftstellerischen Talent zeugt, aber vermutlich habe ich da jenes Werk aus seiner Backlist, das mich voll ansprechen wird, einfach noch nicht gelesen (ich setze mein Geld auf The Fortress of Solitude von 2003).
Foto: Glen Wilson © 2019 Warner Bros. Entertainment. All Rights Reserved.
Der naheliegende Pitch für Motherless Brooklyn wäre eine Detektivgeschichte, bei der der Ermittler am Tourette-Syndrom leidet. Man begreift sofort, dass das seine Ermittlungen nicht unbedingt erleichtern wird, zudem sind viele literarische Detektive ja solche Masterminds, während das Tourette-Syndrom (ob zu unrecht oder nicht) eher in Richtung geistige Behinderung geht.
Entsprechend gibt es im Film (habe jetzt nicht das Buch danach durchsucht, aber da steht es vermutlich ebenso) auch ein hübsches Zitat, dass davon zeugt, wie seine Gegenspieler Lionel Essrog unterschätzt haben: »We read it wrong. We didn't took you for the ace in Minna's deck.«
Foto: Glen Wilson © 2019 Warner Bros. Entertainment. All Rights Reserved.
Frank Minna (Bruce Willis) ist der Mentor hinter der Detektei cum Limoservice, der Lionel und seine Kollegen jeweils aus einem Waisenhaus aufnahm und zu seinen dankbaren Gehilfen aufzog. Als Frank bei einem Auftrag, bei dem er von Lionel und Gilbert (Ethan Surplee, ich liebe den Kerl!) unterstützt wird, mit einer Kugel im Rücken endet, ist es an Lionel, erstmals im Alleingang diesen Mord aufzuklären, bei dem neben Lokalpolitikern (Alec Baldwin, Josh Pais) und einem seltsamen Architekten (Willem Dafoe) vor allem eine aufstrebende Juristin (Gugu Mbatha-Raw aus Belle) eine Rolle zu spielen scheint.
Edward Norton, der hier als Produzent, Regisseur, Autor und Hauptdarsteller fungiert, hat die Geschichte in die 1950er versetzt, was angesichts der Story, bei der ich leider nicht mehr die Zeit hatte, sie detailliert mit dem Buch zu vergleichen, durchaus sinnvoll erscheint, aber gleichzeitig businessmäßig etwas verwundert, denn so ein zweieinhalbstündiger Kostümfilm mit einem nicht soo erfahrenen Regisseur (Keeping the Faith aus dem letzten Jahrtausend) klingt nicht wirklich nach einem Projekt, das automatisch seine Kosten einspielen wird.
Foto: Glen Wilson © 2019 Warner Bros. Entertainment. All Rights Reserved.
Gleichzeitig wirkt es ein wenig so, als wäre die Figur des Lionel Essrog mit all seinen Ticks ein Angriff auf den Schauspieloscar, der Norton bisher versagt blieb. Allerdings haben sich die Auswahlkriterien der Academy seit etwa Dustin Hoffmans Auftritt als Rain Man stark verändert.
Nach Schilderung dieser beiden Bedenken muss ich aber attestieren, dass Motherless Brooklyn ein ambitioniertes und für denkende Kinogänger lohnenswertes Projekt ist. Wie Norton etwa Musik (schwarzen Jazz) einsetzt, um eine mögliche Linderung für Lionel ins Spiel zu bringen ... oder auch seine sanfte Romanze zwischen Lionel und der bedrohten Laura, das lässt darüber hinwegsehen, dass man die Länge des Films durchaus wahrnimmt und die Auflösung so wirkt, als hätte man den Film schon mal ganz ähnlich gesehen.
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Ich persönlich freue mich schon allein sehr darüber, Norton mal wieder in einer Hauptrolle zu sehen, denn seine Theaterkarriere in New York kann ich aus Budgetgründen nicht so umfassend verfolgen, wie es mir lieb wäre.
Und ungeachtet meiner Befürchtungen, dass dies ein Zusatzgeschäft werden könnte, ist Motherless Brooklyn natürlich exakt diese Art von Film, die man viel zu selten angeboten bekommt.