Wild Rose
(Tom Harper)
UK 2018, Drehbuch: Nicole Taylor, Kamera: George Steel, Schnitt: Mark Eckersley, Musik: Jack Arnold, Kostüme: Anna Robbins, Szenenbild: Lucy Spinks, mit Jessie Buckley (Rose-Lynn), Julie Walters (Marion), Sophie Okonedo (Susannah), James Harkness (Elliott), Maureen Carr (Eileen), Adam Mitchell (Lyle), Daisy Littlefield (Wynonna), Ryan Kerr (Rory), Nicole Kerr (Nell), Mark Hagen, Bob Harris, Ashley McBryde (Themselves), 101 Min., Kinostart: 12. Dezember 2019
Wild Rose ist so ein Film, an dem man gut zeigen kann, dass man einen Film auch kaputt machen kann, je nachdem, wie genau man ihn betrachtet.
Im Kern sind die Figuren und DarstellerInnen interessant und sympathisch, die Konflikte und zu erreichenden Ziele spannend. Gerade Jessie Buckley (meines Erachtens nicht verwandt mit Jeff B.) in der Quasi-Titelfigur als aufstrebende Sängerin mit bewegter, weil von Fehlentscheidungen geprägter Vergangenheit, scheint alle Freunde des Films tief ergriffen zu haben.
Rose-Lynn wird zu Beginn des Films gerade aus dem Gefängnis entlassen und ist deutlich entfremdet von ihren beiden jungen Kindern, sie scheint als Mutter auch komplett überfordert bis desinteressiert, träumt stattdessen ihren großen Traum davon, als Country-Sängerin groß raus zu kommen, was offenbar alles andere in ihrem Leben auf schmerzliche Weise in den Schatten stellt.
© 2019 eOne Germany
Man begleitet Rose-Lynn bei ihrem Weg, ihren Traum zu verwirklichen, gleichzeitig aber auch dabei, wie sie ihren Alltag meistert, was dadurch interessanter wird, das bei geringeren Zielen wirklich ein erfülltes Leben machbar scheint.
Als private Putzfrau baut sie eine fast-auf-Augenhöhe-Freundschaft mit ihrer Auftraggeberin (Sophie Okonedo) auf, über deren Kinder, die (aus eingeschränkt nachvollziehbaren Gründen) ganz vernarrt in sie zu sein scheinen, findet sie auch wieder eine Verbindung zu den eigenen Kindern. Und auch die Beziehung zu ihrer Mutter, die sie dauerhaft als Babysitterin ausnutzte, wandelt sich langsam zu einer gesunderen Verbindung.
Die wichtigste Regel, die sie als Musikerin lernt, wird zum Kern ihres Alltagslebens: sie soll Authentizität erreichen, indem sie über ihr eigenes Schicksal schreibt. Und darüber lernt sie ihr Leben als akzeptable Alternative zu ihren Musikerträumen wahrzunehmen.
Dass sie selbst ihrer Karriere als Sängerin (und ihrer Erfüllung als liebende Mutter, wie unfeministisch das auch klingen mag) am meisten im Weg steht, ist ein interessanter innere Konflikt, dazu gibt es noch mindestens zweieinhalb äußere Konflikte, die für die Dramaturgie auch spannend sind.
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So weit der eingeschränkte Lobgesang, kommen wir zum unschönen Teil der Kritik.
Erstens: der Kernkonflikt, dass sie sich bei ihrer Karrierenbildung von ihrer begeisterten Chefin unterstützen lässt, wobei ein Damoklesschwert daraus besteht, dass sie diese von Anfang an belogen hat (nicht, weil sie deren teure Alkohilika wegsäuft, was wie ein Gag am Rande verpufft, sondern, weil sie verleugnet, dass sie selbst Mutter ist), ist leider überhaupt kein Konflikt, obwohl der Film sich redlich Mühe gibt, dies zu ignorieren. Wer nur ein klein wenig Menschenverständnis hat und aus der filmischen Darstellung der Figur der Chefin Susannah ein klein wenig extrapoliert, dem muss klar sein, dass das Eingeständnis, dass sie selbst auch Kinder hat, nur noch zu einer Vertiefung der Freundschaft führen kann - und selbst Rose-Lynn kann dies bei all ihrer Verbohrtheit nicht völlig entgangen sein.
Zweitens: Der Film gibt sich als Independent-Produkt mit deutlichen Merkmalen eines Sozialdramas, das Drehbuch von Nicole Taylor entwickelt sich im letzten Drittel aber wie ein Standard-Mainstream-Ungetüm, das noch dazu auf der Zielgerade alle Ideale eines authentischen Filmemachens verrät und lieber auf Friede-Freude-Eierkuchen macht. An dieser Stelle muss ich mal wieder mein liebstes Zitat des prophetischen Filmkenners Constantin Dagobert Gerstners über das Disney-Vehikel The Hunchback of Notre Dame zitieren: »Und am Ende sind sie alle gute Freunde.« (Weise wie die Lebenserfahrung und Philosophiestudium getragenen Erkenntnisse eine 75jährigen, aber Conny war damals ca. elf Jahre alt.)
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Mehr gibt es eigentlich nicht über den Film zu sagen, ich habe beschrieben, warum man Wild Rose ohne weiteres lieben kann, warum es mir aber nicht möglich ist. Herausstellen kann man noch die grundsolide Leistung der oft unterschätzten Julie Walters und die tollen vier Kinderdarsteller. Und einige trotz allem ganz hübsche Dialogperlen aus dem Drehbuch.
Mutter / Großmutter Marion über Erziehungs-Grundregeln: »You can't promise them something and then disappear...«
Rose-Lynn verteidigt die Validität ihres Traumes: »Nobody wants to see a convicted criminal« - »Johnny Cash was a convicted criminal!«
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Und an der Stelle habe ich den Fehler gemacht, noch mal in meine Notizen zu schauen, denn wie man mit penetrantem golden twilight und ähnlichen Taktiken verzweifelt den Film »aufhübscht«, hat mich schon ziemlich genervt, und über die Mathematik hinter einigen Aussagen über den Lebensverlauf / das Alter von Marion und Rose-Lynn sollte man auch am besten nicht nachdenken. Oder darüber, wie aufopferungsbereit die Musiker von der Band sind, die jetzt auch zu kaum einem Moment des Films wirklich tiefverwurzelt mit Rose-Lynn sind.
Es ist ein großes Kreuz meiner langjährigen Liebe für das Medium Film, dass ich einfach zu genau hinschaue und nebenbei auch noch denke und mitrechne. Das kann einem vieles versauen. Als wenn man die Liebe seines Lebens trifft und nichts Besseres zu tun hat, als mit einer Lupe den winzigen Ansatz eines Damenbartes aufzuspüren (ist auch unfair, weil ich selbst aus pragmatischem Phlegma seit Jahrzehnten Bartträger bin).