Jojo Rabbit
(Taika Waititi)
Tschechische Republik / Neuseeland / USA 2019, Buch: Taika Waititi, Lit. Vorlage: Christine Leunens, Kamera: Mihai Malaimare, Schnitt: Tom Eagles, Musik: Michael Giacchino, Kostüme: Mayes C. Rubeo, Production Design: Ra Vincent, mit Roman Griffin Davis (Johannes »Jojo« Betzler), Thomasin McKenzie (Elsa), Taika Waititi (Adolf Hitler), Scarlett Johanssen (Rosie Betzler), Sam Rockwell (Hauptmann Klenzendorf), Stephen Merchant (Hauptmann Herman Deertz), Alfie Allen (Freddie Finkel), Rebel Wilson (Fräulein Rahm), Archie Yates (Yorki), 108 Min., Kinostart: 23. Januar 2020
Bei Jojo Rabbit war ich wirklich gespannt darauf, wie stark sich der Film von der Buchvorlage, Caging Skies (2004) von Christine Leunens, unterscheidet. Zeit genug zum Lesen des Buches hätte ich gehabt, aber der Preis, den man dafür verlangte, war außerhalb meiner Komfortzone.
Soviel steht fest: Caging Skies ist keine Komödie, und darin durchlebt die Hauptfigur, die vermutlich auch als Erzähler fungiert, mehrere Jahre des Aufwachsens. Im Film war ich ein wenig verwundert, dass im Verlauf der Handlung das nahende Kriegsende urplötzlich über die Situation hinwegkommt, dass man annehmen muss, der Film hätte die ganze Zeit eher Mitte als Anfang der 1940er gespielt. Natürlich schafft es außer Richard Linklater kaum jemand, einen aufwachsenden Jungen im Verlauf eines Films tatsächlich überzeugend darstellen zu lassen (bei der zweiten Hauptfigur Elsa hätte man dasselbe Problem), aber ich hätte es im Nachhinein besser gefunden, wenn die reine Chronologie der Geschichte sich realistischer entfaltet hätte.
© 2019 Twentieth Century Fox
Dabei muss man aber sagen: Zu keinem Zeitpunkt geht es Taika Waititi wirklich um ein historisch akkurates Bild von Deutschland während des zweiten Weltkriegs. Der Film spielt im schwer zu verortenden fiktiven Ort Falkenheim, und viele der Namen der Figuren zeugen von einer typischen Ignoranz gegenüber der deutschen Sprache. Natürlich spricht die komplett englischsprachige Besetzung mit einem typischen deutschen Hollywood-Akzent, angereichert um einige deutsche Fachworte, die nicht immer perfekt ausgesprochen werden. Einen Johannes Betzler mag es damals gegeben haben, dass ihn das deutsche Jungvolk »Jojo« Rabbit genannt hätte, ist eher unwahrscheinlich. Noch absurder wirkt der Name von Jojos bestem Freund, »Yorki«, und auch die Schreibweisen von Jojos Mutter »Rosie« (Scarlett Johannson) oder des Gestapo-Vorzeige-Hauptmanns »Herman Deertz«" (Stephen Merchant) wirken sehr fragwürdig (das »tz« tritt im Deutschen nicht ansatzweise so häufig auf, wie man es anderswo anzunehmen scheint).
Aber solche Verarschungen, die ein Großteil des internationalen Publikums vermutlich gar nicht mehr wahrnimmt, ist man mittlerweile auch hierzulande gewohnt. So wie der französischstämmige Raumschiff-Captain Jean-Luc Picard seinen eigenen Namen nicht aussprechen kann oder das Bild Frankreichs, das man in den Filmen um Pepe Le Pew erblickt, sich durch drangepappte Artikel und strenge Körpergerüche auszeichnet, werfen Filmnazis halt mit Sätzen wie »Open up der Door, Schnitzel!« herum oder heißen »Fräulein Rahm« (Rebel Wilson, laut imdb sogar »Fraulein Rahm«).
Einige der Wortwitze werden sogar in der Synchronisation, in der das Deutsche vermutlich etwas weniger fehlerhaft ausfallen wird, gar nicht oder sehr eingeschränkt funktionieren (»A jew!« --- »Gesundheit!« oder »I didn't mean actual shepherds...« oder »The party's over.«).
© 2019 Twentieth Century Fox
Jojo Rabbit (Roman Griffin Davis) ist ein zehneinhalbjähriger Junge, der umfassend von Nazi-Gedankengut indoktriniert wurde, etwas kränklich wirkt und die Abwesenheit seines Vaters durch einen imaginären Freund und Ratgeber kompensiert, der - naheliegend zu jener Zeit - niemand geringerer als Adolf Hitler ist.
Wie einst Charles Chaplin nimmt sich Regisseur Taika Waititi (Sohn eines Maori und einer Mutter mit russisch-jüdischen Wurzeln) das Recht, diese Witzfigur selbst zu spielen. Er spielt sich dabei aber nicht in den Vordergrund, denn der Film nimmt durchweg die Position und den Blickwinkel des kleinen Jojo an, und es ist durchaus faszinierend, wie sich sein Bild des Führers (das ebenso ein Eigenleben führt wie beispielsweise Stofftiger Hobbes) während des Films verändert. So gibt sich Adolf manchmal wirklich Mühe, mit seinem begrenzten Horizont, die Seelennöte seines quasi Schutzbefohlenen sorgsam zu behandeln (dass man Jojo einen Hasenfuß nennt, interpretiert er um, der Hase ist ein durchaus heldenhaftes Tier). Aber nach und nach bleibt es auch Jojo nicht verborgen, dass er selbst der intelligentere und erwachsene Teil dieses seltsamen Duos ist.
Der Tonfall des gesamten Films erinnert ein wenig an La vita e bella von Roberto Benigni, aber aus den überzogenen Scherzen zu Beginn wird immer stärker eine emotional unterfütterte Charakterisierung der Figuren, was man neben Jojo selbst vor allem an dem zunächst fast subtil gegen die Strömung schwimmenden Sam Rockwell sehen kann, der zunächst typisch dumpfbackenmäßig auf die Tugenden des deutschen Volkes pocht, obwohl er selbst karrieremäßig eher ein Volltrottel ist. Und im Verlauf des Films stellt man immer deutlicher fest, dass sein Chargenspiel nicht nur für die paar Kinder, auf die er aufpassen soll, gemünzt ist, sondern er aufgrund seiner eigenen Geheimnisse sehr gezielt an seiner eigenen Nische in dieser wahnwitzigen Welt arbeitet.
© 2019 Twentieth Century Fox
Ähnliches sieht man auch an Jojos Mutter, die doppelt, nein dreifach Grund hat, ihren parteifolgsamen Sohn zu fürchten, dabei aber trotzdem ihre Rolle als Mutter (und Leitbild) mit Liebe und Fürsorge ausfüllt, wodurch sie nach außen wie eine Löwin (oder von mir aus Bärin oder Wölfin, wenn das besser zu den deutschen Klischees passt) wirkt, sie aber alles für ihren Sohn tut.
Und für das jüdische Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie aus Leave no Trace, übrigens eine Neuseeländerin), das hinter einer falschen Wand quasi auf dem Dachboden der Betzlers lebt. Die Paarsynergien zwischen ihr und Jojo tragen den gesamten Film, den man sich auch gut als Zwei-Personen-Kammerspiel vorstellen kann, so wichtig sind die beiden Figuren, verglichen mit den episodenhaft auftauchenden anderen Figuren. Beim Durchblättern des Presseheftes erfuhr ich auch, dass McKenzie als Elsa sich u.a. an den durchtriebenen Titeldarstellerinnen aus Heathers orientieren sollte, als wäre solch eine Rolle als gefürchtete Anführerin einer Highschool ihr Background, bevor die Vormachtstellung der Nazis ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellte. Dass Jojo und Elsa nicht nur erkennen müssen, dass sie im Menschengeschlecht einfach nur Bruder und Schwester sind, sondern sie sich gegenseitig unterschiedlich perfide zu manipulieren versuchen, ist das Herzstück dieses Films, das weit über die Schwarz-Weiß-Malerei von La vita e bella hinausgeht.
Man kann es nicht leugnen, dass einige von Waititis Gags weniger gelungen sind als andere. Mich nervt beispielsweise die zentral in den Trailer geschnittene Szene, wo Yorki durch Tölpelhaftigkeit (meinethalben fehlt ihm auch noch die Reife, als Soldat eingespannt zu werden) eine Panzerfaust in ein Ladengeschäft jagt, und man zu keinem Zeitpunkt reflektiert, dass man nicht einfach wie beim A-Team davon ausgehen kann, dass bei dieser Explosion niemand zu Schaden gekommen ist. Man merkt, dass es Waititi schwerfällt, irgendeine Pointe fallen zu lassen, und natürlich wertet der Humor den Film auch auf bzw. schafft es, die Zuschauer in die Geschichte hineinzuziehen... aber mit ein bisschen mehr Zurückhaltung hätte der Film statt der Sensation der Saison auch ein echter Klassiker werden können.
© 2019 Twentieth Century Fox
Sehr repräsentativ für die Stärken und Schwächen des Films ist auch der Songeinsatz. Ganz auf das englischsprachige Publikum geeicht, bietet man etwa zwei deutschsprachige Versionen mit den Originalinterpreten David Bowie respektive den Beatles, besonders prägnant ist aber »Mit all deiner Liebe« von Jack White, eine Coverversion von »I'm a Believer« von den Monkees, die auf Deutsch noch absurder wirkt (völlig unabhäml;ngig davon, ob man den Text versteht oder ihn für Kauderwelsch hält).
Einige der gelungensten Momente des Films drehen sich übrigens ganz deutlich ums »coming-of-age«, wobei Waititi selbst eine so alltägliche Tätigkeit wie das Binden von Schnürsenkeln, die man als Kind ja auch erst mal erlernen muss, gleich in mehreren Szenen symbolisch auflädt - und ich bin mir einigermaßen sicher, dass diese sehr visuellen Momente Ergänzungen zur Buchvorlage sind.