Una Primavera
(Valentina Primavera)
Deutschland / Österreich / Italien 2018, Buch: Valentina Primavera, Federico Neri, Schnitt: Federico Neri, Ton, Musik: Macarena Solervicens, mit Fiorella Di Gregorio, Alessia Camilletti, Chiara Primavera u.a., 80 Min., Kinostart: 2. Januar 2020
Ich weiß nicht mehr, wie ich dieses Wissen erlangt habe, aber »primavera« ist das italienische Wort für Frühling. Die zuckerbestäubten Schaumstoff-Erdbeeren von Haribo heißen auch so. Und die fast unfreiwillige Regisseurin, die ihre 58jährige Mutter bei sich in Berlin aufnimmt, als sie nach einem Fall häuslicher Gewalt letztendlich ihren Mann verlässt und das gemeinsame Haus, in das sie wie in die Erziehung ihrer Kinder viel Liebe gesteckt hat, verlässt.
Valentina Primavera hat eher eingeschränkte Filmerfahrung (sie ist im Theater zuhause, wo sie beim Bühnenbild und den Kostümen assistiert), aber sie schnappt sich eine Kamera und dokumentiert, was ihrer Mutter Fiorella widerfährt, nachdem sie die Scheidung eingereicht hat.
Die Zeit in Berlin ist von beengten Verhältnissen und schnell dahinschwindenden Ersparnissen geprägt, aber später wird Fiorella sie als ihre glücklichste Zeit beschreiben, weil sie sich erstmals frei fühlte.
© fugu-films
Sehr früh landete Fiorella in dieser Ehe, nachdem sie miterleben musste, wie ihre eigene Mutter von deren Mann geschlagen wurde. Die Ehe war und ist in Italien der vermeintlich natürliche Aggregatzustand, den man als Frau anzunehmen hat. Als sie den als junges Mädchen, das blitzschnell geschwängert worden war, mal zu hinterfragen wagte, klärte sie ihre Schwiegermutter auf, dass sie »keine Widerworte gegenüber Männern« zu haben habe. So ausgeprägt ist das Patriarchat, wie man schon früh im Film erfährt.
Fiorella leidet sehr darunter, von ihrem Haus, das sie selbst entworfen hatte, getrennt zu sein. Mit 27 hatte sie bereits drei Kinder, kümmerte sich um den Haushalt und hatte auch mal zwei Jobs gleichzeitig, um die Familie durchzubringen. Jetzt haust ihr Mann Bruno allein dort, und es schmerzt sie, wie er das Anwesen herunterkommen lässt. Die Scheidung nach vierzig Jahren bringt zwar Freiheit, aber in ihrem Alter kann sie nicht ohne weiteres ein eigenes Leben stemmen und als Kompromiss teilt man sich das Haus, etagenweise, wobei Bruno sie bedrängt. Nicht so, wie man sich das vielleicht vorstellen würde (zumindest nicht vor der Kamera), sondern indem er ihr dauerhaft unter vielen Tränen sein Leid plagt.
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Und weil Valentina nicht dauerhaft zur Dokumentation vor Ort ist, ändert sich die Situation schnell. Währenddessen dokumentiert Valentina auch das Leben der anderen Frauen der Familie, das ihrer Großmutter, der Schwester und der Schwägerin.
Hierbei wird immer wieder aufgezeigt, dass die Familie als größtes Gut im katholischen Italien abgefeiert wird, und fast durch die Bank verurteilen alle Fiorellas »Zerstörung« dieses Guts. Komplett unabhängig davon, wie sich ihr Mann verhalten hat und verhält.
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Selbst Valentina, die in ihrem Film kaum vor der Kamera auftaucht, wenn sie nicht mit ihrer jugendlichen, etwas rebellischen, aber kaum Hoffnung für die Gleichberechtigung verheißenden Nichte herumtollt, bekommt ihr Fett weg. Weil sie sich für ein Leben ohne Mann und Kind entschieden hat (etwaige Hintergründe werden nicht beleuchtet, weil dies halt kein Film über sie ist), wird sie von ihrem Vater offen beleidigt. Und niemand scheint sie in Schutz zu nehmen, denn auch die Frauen ihrer Generation gehen ganz auf in ihrem Familienschicksal, die von allen Seiten, vor allem den Männern gepredigten Norm, die Frauen ausnutzt und unterdrückt, wie man es sich heutzutage kaum mehr vorstellen kann.
Fiorella beschreibt ihr Eheleben etwa so, dass ihr Mann das Geld (das nicht zuletzt sie erarbeitete) für Autos und Pferde verschwendet hat, und was hat sie erhalten? Beleidigungen, Gewalt und Tränen... und spätestens, wenn das letzte Kind ausgezogen war (Valentina, die jüngste, beispielsweise 2010), hatte sie nur noch das Haus, mit dem sie sich zerstreuen konnte. Und das hat Bruno in kürzester Zeit in ein Chaos verfallen lassen, ihre Pflanzen starben, das Leben, ein Jammertal - und die einzige Lösung: sie zieht zurück in diese Hölle.
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Während der Dreharbeiten gab es eine spektakulären Kriminalfall in Italien, aber Valentinas Schwester Chiara schildert ihn so, als sei es fast normal, dass ein Mann nach einer Trennung die Freundin / Frau mit 32 Messerstichen tötete.
Und als Zuschauer erhält man den Eindruck, dass dies für Italien vielleicht sogar zutrifft.
Ein verstörender, schrecklicher Film, der vor allem dadurch berührt, dass er keine Extreme schildert, sondern einen grässlichen Normalfall, der von allen akzeptiert wird, während die glückliche, in ihrem Beruf aufgehende Regisseurin, weil sie sich weigert, sich ins Joch der Ehe zu begeben, als »unnormal« beschimpft wird.
Die phlegmatischen, machtbesessenen Männer des Films scheuen sich nicht einmal davor, Mussolini zu zitieren, oder solche Sinnsprüche wie »Nur der Tod darf eine Familie zerstören.« Man muss Niederschmetterndes beobachten, ja erleben in diesem Film, aber zusammen mit ihrem Cutter leistet die in ihre Rolle als Regisseurin hineingewachsene Valentina vieles, an dem routinierte Veteranen des Berufs scheitern würden. Schon jetzt eine der wichtigsten Dokumentationen des Kinojahres.