Der Unsichtbare
(Leigh Whannell)
Originaltitel: The Invisible Man, USA 2020, Buch: Leigh Whannell, Lit. Vorlage: H.G. Wells, Kamera: Stefan Duscio, Schnitt: Andy Canny, Musik: Benjamin Wallfisch, Kostüme: Emily Seresin, Production Design: Alex Holmes, mit Elisabeth Moss (Cecilia Kass), Aldis Hodge (James Lanier), Harriett Dyer (Emily Kass), Michael Dorman (Tom Griffin), Storm Reid (Sydney Lanier), Oliver Jackson-Cohen (Adrian Griffin), 124 Min., Kinostart: 27. Februar 2020
Ganz großartig mal wieder, wie der Film im Presseheft beschrieben wird, das muss ich einfach zitieren:
Wie alles begann: Die Universal-Monster - Beginn einer neuen Ära
Der Unsichtbare ist eines der klassischen Filmmonster von Universal Pictures und gehört zu einer illustren Gesellschaft: Dracula, der Wolfsmensch, Frankensteins Monster, Frankensteins Braut und der Schrecken vom Amazonas sind seine direkten Verwandten. Einige dieser berüchtigten Figuren haben deshalb überlebt, weil sie auch nach vielen Jahren noch eine ganze Reihe kulturell tief verwurzelter Ängste ansprechen. Sie stehen jenseits wissenschaftlicher Erkenntnisse für Furcht, zeitlose Liebe und Verlust. Und sie passen sich an die Zeit an, in der wir leben."
Warum ich das einfach zitieren muss? Natürlich nimmt man an, dass die werten Kritiker so blöd sind, dass sie gar nicht merken, dass eines der klassischen Universal Monster, die Mumie, in dieser Aufzählung vergessen wurde. Erst vor ein paar Jahren hatte man nämlich versucht, mit Tom Cruise ein ganzes »Universum« von Universal Monstern zu Blockbuster-Ehren anzutreiben. Wurde aber ein übel verrissener Flop und man sprach nicht mehr darüber.
© 2020 Universal Pictures. All Rights Reserved.
The Mummy habe ich nicht gesehen, ich weiß auch nicht, wer außer Dr. Jekyll dort schon für spätere Filme angetriggert worden war. Aber man beginnt jetzt einfach »eine neue Ära«, bescheidener, aber vor allem intelligenter.
Der Stoff, wie ihn einst Herbert George Wells erdachte, wird komplett umgestülpt. Abgesehen von der Unsichtbarkeit, dem Namen ihres Erfinders und dessen nicht sehr positive Charakterzüge ist nichts wiederzuerkennen. Wie beim späten Auftreten von Claude Rains in der Universal-Version muss man auch hier abgesehen von wenigen Bildern ziemlich lang auf den vermeintlichen Hauptdarsteller warten, aber man verzichtet auch in den ersten (gefühlten) 40% des Films fast ganz auf die Spezialeffekte-Orgie.
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Der australische Schauspieler und Horror-Regisseur Leigh Whannell macht sich die Unsichtbarkeit zum Komplizen und arbeitet viel mit der Kamera. Während die vor ihrem Kontrollfreak von einem reichen Lover fliehende Cecilia (Elisabeth Moss) erst mit einiger Verspätung begrifft, dass der Optics-Experte es tatsächlich geschafft haben könnte, sich unsichtbar zu machen, weiß man als Zuschauer schon aufgrund des Filmtitels, was einen erwartet, und wenn Cecilia in einer Nacht-und-Nebel-Aktion versucht, aus dem festungsartigen Architektur-Traum von einem Haus zu fliehen, schwelgt die Kamera immer wieder in leeren Korridoren und man lauert die ganze Zeit dass etwas passiert bzw. sichtbar wird.
Mit dieser Taktik, mit der Hitchcock in The Birds und Spielberg in Jaws abgesehen von wenigen frühen Schocks auch gut fuhren, arbeitet Whannell sehr geschickt. Cecilia befürchtet zwar, dass Adrian sie trotz eines guten Verstecks (bei einem Kindheitsfreund, der mittlerweile harter Cop ist) ausfindig machen wird und traut sich nicht einmal auf die Straße, um den Briefkasten zu leeren... aber sie hat offensichtlich keinen Schimmer, mit welcher Macht sie hier kämpfen muss - denn sie lässt jeweils die Haustür auf und als Zuschauer befürchtet man natürlich, dass dies jemand ausnutzen könnte.
Irgendwann sieht man dann bei kalter Witterung einen sichtbaren Atem, zu dem kein Mund zu sehen ist, und dann gibt es die nicht einmal besonders auffällig inszenierte Szene, bei der ein Messer, das Cecilia gerade noch benutzte, etwas ungeschickt von der Schnittfläche verschwindet.
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Whannell baut auf die unheimliche Bedrohung auf, fügt dann die perfide Genialität des Erfolgers dazu, der es mit ein paar Taschenspielertricks und Griffin-typischer völliger Skrupellosigkeit dafür sorgt, dass ein mögliches Ende des Films darin bestehen könnte, dass Cecilia in einer Klapse sitzt, ihren Pflegern etwas von einem Unsichtbaren vorbrabbelt ... und der sie ganz entspannt nach Lust und Laune dort besucht.
Aus dieser etwas an Terminator II: Judgment Day erinnernden Situation schwenkt der Film dann um zu einem eher herkömmlichen Showdown mit vielen Effekten, der leider unter dem Potential des Films bleibt. Und nach einigen Wendungen folgt dann auch noch eine »Endlösung«, die mancher vielleicht als feministisch bezeichnend würde, die ich aber in ihrer Extremität auch ziemlich problematisch finde.
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Im Verlauf des Films gibt es auch mehrere Logikprobleme oder allzu offensichtliche Entwicklungen im Drehbuch (Adrian vermacht Cecilia ein riesiges Vermögen, wenn sie kein Verbrechen begeht...), aber trotz dieser kleinen Schwächen ist der Film definitiv überdurchschnittlich, gerade was das Genre angeht und die Möglichkeiten des Films, ein Publikum zu finden, das eben nicht irgendwelche blöden Tricks sehen will (der Vorspann hat mich in dieser Hinsicht schon etwas genervt... muss heutzutage wirklich alles aus dem Rechner kommen?), sondern sich auf den interessanten Kampf gegen das Beziehungsjoch und das Patriarchat einlässt.
Außerdem ist The Invisible Man ein Paradebeispiel für meine Entscheidung, Filme wenn irgend möglich im Kino zu sehen und nicht als Stream oder Screener. So bequem es sein mag, Filme auf dem heimischen Sofa zu sehen. Ums Verrecken würde ich den Fernseher nicht so laut aufdrehen, wie man im Kino jede Stecknadel hätte hören können. Zwar funktioniert das sehr gut, und ich kann auch KollegIn K.I. verstehen, die das Zusammenspiel von Sounddesign und Soundtrack (Benjamin Wallfisch) lobt. Aber die musikalische Reizüberflutung hat mich auch über große Strecken des Films ganz schön genervt.
The Invisible Man - eine positive Überraschung mit vielen tollen Ideen - aber auch viel verschenktes Potential, weil man bestimmten Mainstream-Konventionen (der Alibi-Schwarze, das Kind in Gefahr) folgt, als wäre die Mundpropaganda des Otto-Normalverbraucher-Zuschauers wichtiger als jede Form von Individualität.