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10. Juli 2020
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Undine (Christian Petzold)


Undine
(Christian Petzold)

Deutschland / Frankreich 2020, Buch: Christian Petzold, Kamera: Hans Fromm, Schnitt: Bettina Böhler, Szenenbild: Merlin Ortner, mit Paula Beer (Undine), Franz Rogowski (Christoph), Maryam Zaree (Monika), Jacob Metschenz (Johannes), Anne Ratte-Polle (Anne), Rafael Stachowiak (Jochen), Julia Franz Richter (Nora), Gloria Endres de Oliveiura (Antonia) José Barros (Miguel), Enno Trebs (Kellner) 90 Min., Kinostart: 2. Juli 2020

Am Donnerstag, den 12. März 2020, zwei Wochen vor dem ursprünglichen Kinostart von Undine, war ich zuletzt im Kino. Und zwar war ein Junkie, der ahnt, dass er bald auf Cold Turkey gehen muss, in vier Pressevorführungen hintereinander. Die Atmosphäre war seltsam, man fragte sich, wie lange die Kinos wohl noch aufbleiben würden... und am Freitag, den 13. kam dann der Lockdown.

15 Wochen ohne Kino, (Film-)Kritiken habe ich auch keine mehr geschrieben, und auch, wenn die Kinos diesen Donnerstag wieder geöffnet sind, bin ich mir nicht sicher, wann ICH wieder ein Kino aufsuchen werde. Zwar gibt es inzwischen wieder Pressevorführungen, aber größtenteils zeigt man nur in kleinen Schachtelkinos Dokumentarfilme, die seit 2019 rumliegen. Wirklich große Filme traut sich keiner in die Kinos zu bringen, aus Angst, das investierte Geld für Wonder Woman, Black Widow und diese seltsamen Filme, die nicht auf Superhelden-Comics basieren, könnten wegen der widrigen Umstände nur einen Bruchteil des möglichen Ergebnisses einspielen. Die einzige PV, die mich einigermaßen locken konnte, fand immerhin im Delphi statt, also einem Kino mit vernünftigen Maßen. Aber deutlich über zwei Stunden eine Atemmaske tragen? Da warte ich lieber ab, bis mal ein Film kommt, der mich wirklich anspricht.

Mittlerweile gibt es statt jener oft angepriesenen »Normalität« eher eine Corona-Gleichgültigkeit. Im Edeka-Markt hält sich kaum mehr jemand an die auf den Fußboden geklebten Mindestabstände, die U-Bahnen sind wieder proppenvoll (und die angekündigten knallharten Bußgelder habe ich noch nirgends eingetrieben gesehen). Und irgendwie soll alles mehr und mehr gelockert werden (der Urlaubswahn schockt mich besonders) und in der Glotze spricht man tatsächlich davon, wie viele Monate es wohl noch weitergehen wird mit Corona... Dabei gibt es laut RKI nicht mal 200.000 Infizierte. Selbst, wenn man die Dunkelziffer vier mal höher ansetzen würde, heißt das im Prinzip, dass in Deutschland nicht mal ein Prozent der Bevölkerung den Virus durchlebt hat. Nach 3,5 Monaten! Bei gleichbleibendem Tempo (und das wird ja offenbar angestrebt) erreichen wir die Herdenimmunität also so in zwanzig Jahren. Immerhin dürfte man in der Zeit auch einen Impfstoff gefunden haben. Aber von einer Normalität sind wir noch weit entfernt.

Scheißegal, aber ich schreib jetzt mal diese Kritik. Es scheint ja noch Leute zu geben, die filmverrückter sind als ich. Ich glaube, ich war ca. neun Jahre alt, als ich das letzte Mal dreieinhalb Monaten am Stück nicht im Kino war. Vielleicht zwischen Bernard und Bianca und Zotti, das Urviech oder so.

Aber aktuell treibt mich da echt nichts hin...

Undine (Christian Petzold)

© Schramm Film / Marco Krüger

Petzold-Filme schaue ich seit dem Start von Die innere Sicherheit regelmäßig (ohne Lücke, womit scih nicht viele Regisseure rühmen können), und Pilotinnen und Die Beischlafdiebin habe ich dann auch noch im Kino nachgeholt. Nur seine Tatorts und Polizeirufe habe ich nie religiös verfolgt. Fernsehen ist einfach nicht das selbe wie das Kino-Feeling.

Petzold hat seit längerem bestimmte Themen, die er häufiger behandelt. Bestimmte Arten von »Grenzgängern« faszinieren ihn (Gespenster, Yella), er variert gern Kriminalstoffe (siehe seine Versionen vonThe Postman always rings twice und Casablanca). Er arbeitet gern mit starken Frauenfiguren, die er lange Zeit mit Nina Hoss besetzte, bevor er jetzt mit Paula Beer eine Nachfolgerin fand. Und in den letzten Jahren hat er mit Auseinandersetzungen mit der deutschen Geschichte plötzlich ein größeres Publikum gefunden, von dem er sich vielleicht nicht so einfach wieder trennen mag.

Undine wirkt wie eine Kulmination dieser Themen. Wieder eine tragische Liebesgeschichte, die über einen eigentümlich umgesetzten Märchenstoff nebenbei die Geschichte von Berlin umschreibt. Und das phantastische Märchen kann bei Petzold auch ohne Probleme ein Psychogramm und eine Krimistory sein.

Undine (Christian Petzold)

© Schramm Film

Die phatastischen Elemente dabei, und wie Petzold sie umsetzt, polarisieren dabei schnell mal das Publikum. Was der eine märchenhaft romantisch findet, stößt dem nächstesn als unfreiwillig komisch auf. Aus meiner Sicht ist Undine aber für einen Petzold-Film erstaunlich massenkompatibel unterhaltsam (wenn man sich drauf einlässt).

Hierbei muss ich sagen, dass Petzold sich Mühe gibt, geringere Prozentsätze seines Publikums auf dem Weg zu verlieren. Dafür ist er auch mal bereit, etwas fast kaputt zu erklären oder bestimmte Details so oft in den Fokus zu rücken, bis auch etwas nachlässige Zuschauer die Symbolik nicht mehr übersehen können.

Vor die zentrale Lovestory, die einem gewissen Zyklus folgt, setzt Petzold das Ende der früheren Liebe, ein bisschen wie der Frühling dem Winter folgt.

»Wenn Du mich verlässt, musst Du sterben. Hast Du das vergessen, Johannes?«

Johannes antwortet auf solche Zeilen weder sehr einfühlsam noch unbedingt von Furcht erfasst. »Lass doch den Scheiß.« Und ich frage mich, ob Petzold die Dramaturgie des Folgenden extra so gewählt hat, dass der Zuschauer die Chance bekommt, einiges zu vergessen. Zumindest der Zuschauer, der noch nie wisentlich einen Petzold-Film gesehen hat...

Undine (Christian Petzold)

© Schramm Film / Christian Schulz

Ich gehöre zu den Zuschauern, die deutliche Erwartungen an Petzold-Filme haben. Und die werden auch nur selten enttäuscht (das scheint übrigens auch für Leute zu gelten, die Petzold nicht mögen). Und entsprechend fällt mir schon bei dieser frühen Szene mit Johannes auf, dass man an einem roten Schild vorbeigeht, an dem was von Löschwassereinspeisung steht. Bei Petzold heißt ein Film auch nie zufällig »Undine«.

Ich finde ja selbst Komik, bei der ich mir nicht sicher bin, ob sie unfreiwillig ist, auf einem bestimmten Level unterhaltsam. Wenn man zu viele Filme sieht, muss man sich seine Limonade eben selbst pressen. Davon liefert Petzold diesmal erstaunlich viel. Da taucht etwa ein Kollege auf, der auf den Namen »Florian Silber« hört. Oder nach vielen Verwicklungen sagt Christoph zu einer Ex-Kollegin seiner großen Liebe »Ich suche Undine...« - und die antwortet mit der Gegenfrage »Undine Wibeau?« Als sei dies ein Vorname, der so verbreitet wie Stefanie und Lisa sei. Und dann auch noch dieser Plenzdorf-Nachname (Die neuen Leiden des jungen W.). Das sind in meinen Augen Ablenkungen, die von der Geschichte ablenken und es auch schwieriger machen, den ziemlich abgefahrenen Plot mit seinen vielen Wassersymbolen auch nur ansatzweise ernst zu nehmen. Aber irgendwas wird sich Petzold schon dabei gedacht haben. Und wenn es ihm nur um die Zuschauer ging, die etwas Unterhaltung brauchen.

Ich erinnere mich noch an diesen früheren Anne-Ratte-Polle-Film Die Nacht singt ihre Lieder (Romuald Karmakar, 2004), wo Teile des Pressepublikums auf der Berlinale sich reichlich über unfreiwillig komische Dialogzeilen beömmelten, und der Regisseur abging wie ein HB-Männchen ohne HB, wie respektlos dies gegenüber seinem Film sei. Christian Petzold schätze ich so ein, dass er Publikumsreaktionen weitaus gelassener aufnimmt.

Undine (Christian Petzold)

© Schramm Film

Um das nochmal klar zu machen: unabhängig von den unfreiwilligen Stellen und dem manchmal ziemlich hoch gestapelten Symbolcharakter dieser Märchen-Krimi-Liebesgeschichte fand ich den Film nicht schlecht, ich vermisse nur eine Subtilität, die Petzold-Filme früher auszeichnete. Die Taucherfigur im Aquarium, die Unterwasserszenen oder das Gespräch über den Bee-Gees-Song, den jeder Rettungsfahrer kennen sollte wirkten auf mich wie Zugeständnisse an ein Massenpublikum, die den echten Petzold irgendwie verwässern, aber natürlich kann ich nachvollziehen, dass man sich als Regisseur auch freut, wenn man für das nächste Projekt mehr Geld zur Verfügung hat, weil man sich nicht absichtlich dem Publikum versperrt. Das ist ein schmaler Grat, auf dem man nur schwer einen Balanceakt hinbekommt, wie ich schon bei diversen Regisseuren miterleben konnte, die zwischen ungeahnten finanziellen Sphären und dem eigenen Stil hin und hergerissen wurden (etwa Martin Scorsese bei Hugo Cabret).

Eine andere Assoziation, die mir bei diesem Film in den Sinn kommt, ist die Band Blumfeld, die an einem Punkt ihrer Karriere dazu überging, in ihre Texte absurde Elemente wie das »Pferd auf dem Flur« einbauten. Keineswegs, um ein zusätzliches Publikum zu generieren (allerhöchstens über die zu erwartende Polarisierung bei den Plattenkritiken), sondern weil sie diese intertextuelle Gratwanderung wohl als eine interessante Herausforderung an ihre intellektuellen Kapazitäten (und die ihrer Hörer) auffassten. Ich glaube, so etwas spielt bei Petzold auch eine Rolle. Oder bei einem Kneipenabend hat ihn jemand herausgefordert, in einen Film eine Figur mit Namen »Florian Silber« einzubauen...

Vielleicht ist das auch ein Insider-Joke unter bestimmten Eingeweihten (also Regisseure etc.) dieser Art von deutscher Filmkunst. Wer weiß, wozu das noch führen wird. Und es gibt bestimmt auch Regisseure, die das blöd finden und nicht mitspielen wollen. Und die deswegen gepiesackt werden. Eigentlich schon fast wieder ein Filmstoff, der mich interessieren könnte. Darsteller wie Lars Eidinger und Eva Löbau spielen Regisseure à la Oskar Roehler und Angela Schanelec und man erlebt die angetrunken, wenn sie mal über die eigenen Filme lachen können. Obwohl: dann müsste man ja über fiktive Filme reden... Da wäre vielleicht eine Doku mit echten angesäuselten Filmschaffenden noch besser. Aber wer würde damit seine credibility aufs Spiel setzen? Zur Not einfach alles skripten und zu den echten eingestandenen Schwächen von Filmen noch 80% neue Storys erfinden...

Nach dreieinhalb Monaten ist dieser Text mir noch stärker entglitten als früher. Aber ich find's okay, das Leben ist aktuell ernst genug.